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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Wild-, Wald- und Waidmannsbilder.
Von Guido Hammer.
Nr. 9. Das alte Thier mit dem Kälbchen.


Das alte Thier mit dem Kälbchen.

Nachdem wir in früheren Schilderungen dem Stolze des Waldes, dem Hirsche, den ihm gebührenden Vorrang vor dem schwachen Geschlechte dieser Gattung gelassen, das wir bisher nur nebenbei erwähnt haben, möge uns diesmal ausschließlich das letztere nicht minder willkommenen Stoff zur Beschreibung seiner Lebensart bieten. Auf die Gefahr hin, die Rücksicht der Galanterie zu verletzen, indem ich nicht vom „schönen“, sondern ausdrücklich vom „schwachen“ Geschlechte rede, muß ich doch der Wahrheit die Ehre geben, denn offenbar ist das Wildpret[1] in ästhetischer Beziehung dem männlichen Repräsentanten des edeln Hauses weit untergeordnet. Dieses Gesetz gilt beiläufig gesagt, überhaupt durch die ganze Thierwelt und läßt sich nicht blos an den Säugethieren,[2] sondern auch an Allem, „was fliegt und kriecht“, an den Vögeln, Amphibien, Fischen und Insecten wahrnehmen. Nur bei den meisten Raubvögeln scheint die Natur eine Ausnahme gemacht zu haben, da bei ihnen das Weibchen gewöhnlich stärker und auch schöner ist, als das Männchen. Doch wir kehren zu unserem Wild zurück, um es vorzugsweise in seiner eigentlichsten Bestimmung zu betrachten, eine Bestimmung, die selbst das geringste weibliche Wesen der großen Schöpfung noch so bedeutend erscheinen läßt und die bei jenem besonders anziehend hervortritt, – ich meine seine Mutterpflichten und seine rührende Liebe für die kindlichen Schützlinge.

Ende Mai oder Anfang Juni trennt sich das tragende Thier vom Trupp, um sich in die geschlossensten Dickichte zurückzuziehen, und zwar gern in solche, die nah an belebten Stegen, an Kohlenmeilern, Forsthäusern, oder sonst in Gegenden, wo menschliche Thätigkeit waltet, gelegen sind, um hier sein Wochenbett aufzuschlagen. Der Instinct sagt ihm nämlich, daß es in dieser Zeit vom Menschen

  1. Wildpret gilt hier ausschließlich als das weibliche Geschlecht.
  2. Hat doch Winckelmann sogar den Beweis geliefert, daß auch selbst beim Menschengeschlechte der Mann die größere Schönheit vor dem Weibe voraus habe. Diesem bleibt demungeachtet der Vorzug der Anmuth. Verf.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 413. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_413.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)