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verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Alles daran. Ich hatte zwar ein Mittel in der Hand: die an Ort und Stelle in dem Heimann’schen Garten von mir selbst aufgenommene Abbildung von dem Fuße des wahrscheinlichen Diebes. Ich hatte sie vorhin mit’ dem Fuße Keller’s nicht verglichen, um nicht dem vielleicht Unschuldigen einen kränkenden Verdacht zu zeigen. Ich mußte zuvor die Vergleichung an Heimann vornehmen. Ich that dies. Sie paßte nicht. Heimann hatte einen weit größeren Fuß. Der Keller’s war, wie flüchtige Blicke mich schon vorläufig überzeugt hatten, kleiner, und zu ihm konnte die Abbildung wohl passen. Aber wenn sie auch auf das Genaueste paßte, was hatte ich gegen das Vorurtheil der Leute damit gewonnen? Ihnen war es ja geradezu unwahrscheinlich, daß Keller bei Heimann gestohlen habe. Und wie gern und leicht bricht das einmal erwachte Mißtrauen über alle Schranken hinaus! Ich hatte die Abbildung für mich allein aufgenommen; kein Mensch war dabei zugegen gewesen. Ich selbst, ich am meisten, mußte in den Verdacht einer mein ganzes künftiges richterliches Wirken vernichtenden Parteilichkeit gerathen. Es war wohl nur ein glücklicher Zufall, der mir einen anderen Gedanken gab. Ich vernahm zunächst noch die Nachbarn Keller’s, die sein Hilferufen gehört hatten und als die ersten zu seiner Hülfe herbeigeeilt waren. Ich erfuhr von ihnen nichts Neues, nichts, was zur näheren Auskunft der Sache dienen konnte. Sie hatten in dem Keller’schen Garten, auf einem Blumenbeete unmittelbar am Hause, Keller und Heimann miteinander ringend angetroffen. Keller hatte Heimann gehalten, und Letzterer hatte bei ihrer Ankunft keinen Versuch weiter gemacht, zu entkommen. Keller hatte behauptet, Heimann habe ihm sein Geld geraubt; dieser dagegen hatte gesagt, daß Keller ihn bestohlen und er nur sein Eigenthum wieder geholt habe. Das Geld war in Heimann’s Händen gefunden worden. Die Leute waren empört über die freche Aussage des auf der That ergriffenen Räubers, der einen braven, allgemein geachteten Mann zum Diebe machen wollte. Die Empörung war eine allgemeine; doch hoffte ich, sie bald vernichten zu können. Keller hatte nach Beendigung seines Verhöres in dem Gemeindehause bleiben müssen. In seine Wohnung hatte ich gleich nach meiner Ankunft im Dorfe ein paar Gensd’armen zur Bewachung gesandt.

Ich ließ den angeblich Beraubten wieder vorkommen. „Sie werden mich zu Ihrer Wohnung führen.“

„Sehr wohl, Herr Director.“

„Und die Stelle anzeigen, wo Sie Ihr Geld vergraben hatten.“ „Die Erde liegt dort noch umher.“

„Haben Sie in derselben Gegend noch mehr Geld oder Kostbarkeiten vergraben?“

Er zuckte eben so unwillkürlich wie unmerklich mit den Augen, aber er antwortete ruhig: „Das war mein ganzes Bischen Armuth.“ Ich ließ den alten kleinen Bauer vorkommen, der vor mehreren Abenden mich zuerst auf Heimann aufmerksam gemacht und heute das größte Wort geführt hatte. Keller mußte in der Verhörstube bleiben. Ich befragte das alte Bäuerlein. „Es ist ein Vierteljahr her, daß Ihr bestohlen seid?“

„Ja, Herr.“

„Nach Eurer Angabe sind Euch ungefähr achtzig Thaler gestohlen?“

„Achtzig Thaler, Herr, und ein goldener Ring.“

„In welchen Münzsorten war das Geld?“

„Es waren Thalerstücke. Zwei Mannsfelder Thaler waren darunter.“

„Wie hattet Ihr das Geld verwahrt?“

„Es lag in einem alten ledernen Beutel.“

„Ist der Beutel mit gestohlen?“

„Ja, Herr.“

„Wie sah der goldene Ring aus?“

„Es war der Trauring meiner seligen Frau, die Buchstaben F. K. waren hineingegraben.“

Der Einwohner Keller war während dieses kurzen Verhörs auffallend unruhig geworden. Er blickte fortwährend fromm zum Himmel empor und demüthig zur Erde nieder.

„Ihr begleitet mich zu dem Keller’schen Hause,“ fuhr ich zu dem alten Bauer fort.

„Wie der Herr befiehlt“

„Ihr könnt mir auch einen Gefallen thun.“

„Von Herzen gern, Herr.“

„Es werden noch mehrere Personen anwesend sein, die in letzterer Zeit bestohlen sind.“

„O, genug, Herr.“

„Ihr könnt sie mitbringen.“

„Sie werden mitkommen.“

„Laßt uns aufbrechen.“

Der angeblich Beraubte war noch einen Augenblick sehr blaß geworden, dann zeigte er auf einmal die größte Ruhe und Sicherheit? Wußte er sich wirklich sicher? Oder hatte er sich mit jenem stillen, halb verzweiflungsvollen Trotze bewaffnet, mit welchem der Verbrecher der drohenden Gefahr der Entdeckung gegenüber sich und Andere sicher zu machen sucht?

Wir brachen nach seiner Wohnung auf. Draußen vor dem Gemeindehause harrte erwartungsvoll die Menge. Der kleine alte Bauer war schon in sie hineingestürzt, mitzutheilen, daß ich zu der Wohnung des Beraubten wolle, und in meinem Auftrage seine ebenfalls bestohlenen Genossen zur Begleitung dahin aufzufordern. Eine brennende Neugierde verzehrte die sämmtlichen Anwesenden, was ich in dem Hause wolle, was die Bestohlenen dort sollten. Hunderte von Menschen folgten uns nach dem Hause. Das hatte ich gewollt. War ich auf der richtigen Spur, so konnte ich nicht Zeugen genug haben. Ich ging an dem Hause Keller’s vorbei und begab mich sofort in den Garten. Keller, der kleine Bauer, die anderen Bestohlenen mußten mir hineinfolgen. Die Menschenmenge mußte draußen bleiben. Sie kletterten neugierig auf die Hecken, in die Bäume der Nachbargärten. Sie wollten Alles sehen, was in dem Garten passirte, und sie sollten Alles sehen. Heimann hatte ich in dem Gefängnisse des Gemeindehauses unter Wache zurückgelassen. Ich ging mit den Personen, die mir in den Garten gefolgt waren, zu der Stelle, wo das Geld vergraben gewesen war. Sie war unmittelbar unter einem Parterrefenster des Hauses. Das Fenster gehörte zu der Wohnstube Keller’s, die ihm zugleich zum Schlafgemach diente. Es zog sich dort ein schmales Blumenbeet an dem Hause vorbei. Die Blumen waren sorgfältig gepflegt, und mehrere an kleine weiße Stäbe angebunden. Ich besichtigte zuerst den Platz, wo das Geld gelegen hatte. Es war nur ein kleines Loch in die Erde gegraben, die aufgeworfene Erde lag noch daneben. Das aufgeworfene Loch befand sich gleich rechts an einem Rosenstock. Der Rosenstock gehörte zu denjenigen Blumen, die an die kleinen, weißen Stäbchen angebunden waren.

„Dort war Ihr Geld vergraben?“ fragte ich den Eigenthümer des Hauses und des Gartens, indem ich auf das Loch zeigte.

„Ja, Herr.“

„Und Sie haben in diesem Garten, in diesem Beete, kein anderes Geld, keine sonstigen Kostbarkeiten vergraben?“ „Nein, Herr, ich sagte es Ihnen schon.“ Er sprach mit jener wirklichen oder ertrotzten Sicherheit.

Drei Fuß von dem Rosenstock stand ein Büschel Schwertlilien, sie waren gleichfalls an ein kleines weißes Stäbehen gebunden. Ich ging hin und winkte einen der Gerichtsexecutoren herbei. „Executor, nehmen Sie den Spaten.“

Einer der Gensd’armen, die ich zur Bewachung des Hauses hingeschickt, hatte den Spaten, mit dem das Loch gegraben war, in Verwahrung genommen, er gab den Spaten dem Executor. „Graben Sie hier ein Loch, Exccutor.“ Ich zeigte nach dem Büschel Schwertlilien.

Die Bestohlenen sahen mich und dann sich untereinander verwundert an.

„Was mag er wollen?“ fragten sie sich leise. Sie fragten es lauter.

„Was ich will?“ nahm ich mit erhöhter Stimme das Wort. „Der Mann, den wir Alle jetzt für den Dieb und Räuber halten, behauptet, nicht er, sondern dieser, den wir für den Bestohlenen halten, sei der rechte Dieb. Die Gerechtigkeit, ehe sie einen Menschen verurtheilt, fordert, daß Alles untersucht werde, auch Alles, was der Angeschuldigte behauptet, und sollte es Anderen noch so ungereimt klingen. Man ist ihm das schuldig. Seit einem halben Jahre sind in dieser Gegend mehrere Diebstähle vorgefallen. Ihr Alle vermuthet, und die Vermuthung hat viel für sich, daß überall eine und dieselbe Person der Thäter sei. Ist nun die Behauptung Heimann’s richtig, daß Keller ihm sein Gelo gestohlen habe, so hat Keller auch andere Diebstähle verübt. Dann muß sich ferner auch Folgendes finden: Wie der Dieb, um seiner Sicherheit willen, namentlich wenn bei ihm eine Haussuchung stattfinden sollte, jene

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verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1859, Seite 423. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_423.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)