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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Ihre Art, sich zu bewegen, gab ihr allerdings den Anschein des Stolzes, aber hätte sich nur Jemand die Mühe genommen und durch diese halb verschleierten Augen hindurch in ihr Inneres geblickt, so würde sich sicher aus der kühlen Anerkennung ein so heißes Gefühl entsponnen haben, wie es Elisabeth als genügend zu ihrem Lebensglück für nothwendig hielt.

Es war an einem schwülen, von Regenschauern unterbrochenen Sommertage, als Elisabeth mit einem Anfluge von Ungeduld die Zimmer verließ, wo unter den Gesetzgebungen ihrer Mutter die Fußböden polirt wurden. Der Dunst war ihr unerträglich. Sie faßte zuerst versuchsweise an die Thür ihres Bruders und eilte, als sie diese verschlossen fand, unter die Marquise, die ihr selbst bei stärkerem Regen einen hinreichenden Schutz verhieß.

Hier traf sie ihr Bruder, der bald darauf heimkehrte. Er begrüßte sie lachend als eine „von der holländischen Nationaltugend in’s Exil“ Getriebene und nahm sie seltsam willfährig und eilig sogleich mit in sein Zimmer, das er hartnäckig gegen alle Polirversuche abschloß.

Draußen strömte gleich darauf der Regen vom Himmel hernieder, gleichsam, als habe er nur gewartet, bis die junge Dame unter Dach und Fach sei. Sie äußerte dies und rückte sich ganz behaglich am Fenster zurecht mit den Worten:

„Wie hübsch ist es bei Dir, Matthias! Heute wirst Du mich nicht wieder los!“

„Zugegeben,“ scherzte der Doctor, der sich die Maxime angeeignet hatte, niemals mit ernster Weisheit das zu behandeln, was mit Humor zu erlangen war. „Aber eine Hand wäscht die andere, Elsi!“

Elisabeth, von der anmuthigen Kinderbenennung süß bewegt, hob ihr schönes braunes Augenpaar, leuchtend in voller Theilnahme, zu ihrem Bruder auf und entgegnete:

„Nur heraus mit Deinen Bedingungen! Ich merke schon, es gibt wieder eine Kranke, die außer Doctorhülfe Frauentrost gebraucht. Was ist’s, Matthias? Du siehst seltsam aus – Du wirst roth – Bruderherz, hat Dich die Liebe vom Krankenbette aus getroffen?“

Der junge Arzt schüttelte hastig den Kopf. „Nichts dergleichen! Aber Du sollst eine arme junge Frau aufsuchen, die mir sehr hülflos erscheint –“

„Wer ist es, Matthias? Kenne ich sie? Von Stande?“ fragte das junge Mädchen hastig.

„Vielleicht hast Du schon von ihr gehört,“ antwortete er zögernd und nahm ein Buch zur Hand, augenscheinlich, um sich den scharfsichtigen Blicken seiner klugen Schwester zu entziehen. „Sie ist die Gattin des Regierungsassessors von Dahlhorst –“

„Die ist aber nicht krank, lieber Matthias,“ fiel Elisabeth rasch ein. „Ich habe sie vor einer Stunde hier vorbeigehen sehen und mich über ihr frisches, liebreizendes Wesen gefreut.“

„Nicht sie, aber der Mann ist krank, gefährlich krank, seltsam krank – ich weiß nicht, wie ich mich darüber ausdrücken soll,“ stammelte verlegen der Doctor, der für den Augenblick die Scharfsinnigkeit seiner Schwester sehr unbequem fand.

„Rede offen, Matthias,“ bat sie, ruhig den Blick senkend; „Du weißt, mir kannst Du vertrauen.“

„Gut! Elsi, die Sache steht dort traurig! Ich glaube, sie hungert und dürstet, um auszukommen und ihrem siechen Manne Leckereien zu schaffen.“

Elisabeth sprang entsetzt auf.

„Und ihr lebensfrohes Lächeln?“ fragte sie athemlos.

„Ist Maske! Es fehlen Sachen. Ich habe den Executor von der gerichtlichen Behörde gesehen. Ich weiß nicht Bestimmtes, Elsi, aber die arme junge Dame dauert mich unbeschreiblich!“

„Wie ist ihr Verhältniß zu ihrem Manne?“ forschte das Fräulein etwas mißtrauisch.

„Engelhaft gut! Er ist ein Kind ihr gegenüber – mir scheint, als beuge ihn Schuld unter ihren Willen oder Schwachheit – ich begreife es nicht! Gehe Du hin, meine liebe Elsi, ja?“

Er hielt ihr die Hand hin, sie schlug tapfer ein, aber mit bedenklichem Blicke betrachtete sie den glänzenden Tropfen, der unter seiner Wimper zitterte. Was war das? Sie kannte in dieser unerhörten Weichheit ihren Bruder nicht.

„Geduld! Es wird mir schon offenbar werden,“ dachte sie und fragte nicht weiter.

Eine kleine Weile verstrich unter dem gewichtigen Schweigen, das tiefes Nachdenken verräth. Dann begann der Doctor lachend:

„Weißt Du, wem ich heute meine Visite abstatten werde?“

Elisabeth, ordentlich erschreckt von dem schnellen Wechsel seiner Stimmung, fuhr auf und sah ihn fragend an.

„Ich muß noch hinaus nach Wolfenberg.“ Ein Purpurschein überflog Elisabeths Gesicht. Der Doctor gewahrte es und hielt verwundert inne. „Ah, Du weißt?“ fragte er gezogen.

„Was denn?“ entgegnete sie ungeduldig und nahm ihre Stickerei zur Hand, augenscheinlich, um sich jetzt den scharfsichtigen Blicken ihres klugen Bruders zu entziehen.

„Daß unser Lenchen dort in Wolfenberg beim Lord Felix ist?“

Elisabeth ließ ihre Hände mit der Arbeit sinken, wurde sehr bleich und sagte fest und gelassen:

„Nein, dies wußte ich nicht! Lenchen ist sehr klug! Dort wird sie durch ihre Schauspielertalente das gewiß erlangen, was ihr hier verunglückte!“

„Lord Felix ist natürlich entzückt von ihr,“ berichtete der Doctor weiter, ohne zu ahnen, daß jeder Buchstabe wie mit Widerhaken in das Herz seiner Schwester schlug.

„Und der alte, halb taube, halb irre und gelähmte Papa Mettling kann gar nicht fertig werden, sie zu loben und zu preisen,“ fügte er hinzu.

Ein bitteres Gefühl schien Elisabeth zu durchzittern.

„Lenchen hat ein gutes Herz,“ entgegnete sie dann still und resignirt. „Herr Felix Mettling wird leichter hingerissen werden, als Du – die Verhältnisse werden das Uebrige thun, Lenchen’s hübsches Aeußere wird den Ausschlag geben –“

„Aber Elsi, liebe Elsi, was träumst Du denn?“ unterbrach Matthias die junge Dame, die wie abwesend vor sich hin blickte und Visionen zu haben schien. „Denkst Du, der junge Mettling hätte nicht längst ein so hübsches Mädchen unter seinen Standesgenossen finden können, wenn er nur gewollt hätte?“

„O, daran zweifle ich nicht,“ lächelte Elisabeth bedeutsam und verrätherisch. „Aber Felix Mettling will erobert sein!“ setzte sie hinzu.

„Dann freilich ist Lenchen an ihrem Platze!“ rief der Doctor, laut lachend. „Wenn ich an die Komödien denke, die dies Mädchen zu meiner Eroberung aufgeführt hat, so möchte ich mich ausschütten vor Lachen. Sage nur, Elsi, wie mag die Thörin zu der Idee gekommen sein, mich zu lieben, oder vielmehr, mich heirathen zu wollen?“

„Durch Lectüre!“ antwortete Elisabeth sichtlich traurig. „Sie hat mir gestanden, daß sie niemals an eine Heirath über ihren Stand hinaus gedacht habe, bis sie eines Tages ein Buch gelesen, worin ein armes Mädchen, auch eines Proletariers Kind, mir nichts, dir nichts von einem Grafen geliebt und zur Gräfin erhoben worden wäre. Darauf hat sie sich vorgenommen, ihre eben so großen Verdienste richtig zu verwerthen und wenigstens Frau Doctorin zu werden, weil sich nicht gerade ein halb verrückter Graf zu ihrem Zwecke dargeboten hat.“

„Ich habe niemals ein größeres Erstaunen empfunden,“ rief der Doctor, indem er sich zum Fortgehen rüstete, „als in dem Momente, wo Lenchen, Mama’s Hausmamsell, wie eine Dame geputzt vor mir erschien und mir die Proposition machte, während Eurer Abwesenheit zu „repräsentiren“.

Ein Lächeln glitt über Elisabeths ernste Mienen.

„Es war eine Verirrung ihrer Phantasie,“ entschuldigte sie, „und Du hättest wohl etwas glimpflicher mit ihr umgehen können in Rücksicht darauf, daß sie als ein Zögling unserer Mama zu betrachten war.“

„Sollte ich das Mädchen etwa bei mir behalten und „repräsentiren“ lassen während der zwei Monate, daß Ihr im Bade weiltet?“ fragte Matthias ziemlich schroff, „Sollte ich, der unverheirathete Arzt, einen Funken glimmen lassen, der, vom Leumund zur Flamme angefacht, meinen Ruf für immer in ein zweideutiges Licht zu setzen verhieß? Nein, Elisabeth, die Stelle, wo ich stehe, muß selbst vom medisanten Lächeln verschont bleiben. Da ich mich nicht entschließen konnte, ein Mädchen von untergeordneter Bildung als Gattin zu wählen, so mußte sie auf der Stelle das Haus verlassen, in welchem sie diesen Rang zu usurpiren gedachte. Ich gehöre nicht zu den Männern, die eine Gattin neben sich haben, mögen, in deren Gegenwart sie sich ihren Geistesergießungen überlassen können, ohne eine Kritik zu fürchten. Die Bildung meines Fräulein Schwester hat wenigstens so viel gewirkt,“ fügte er scherzhaft hinzu, „daß ich eine Geistesebenbürtigkeit mit meiner Frau ganz

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 450. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_450.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)