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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

und Erfahrungen die Nothwendigkeit dieses Zusammenhanges klar und deutlich nachgewiesen haben, ehe man an dieselbe glauben darf. Ja, wenn die meisten Gichtbrüchigen durch einen Kalbsknochen von der Gicht befreit blieben, wenn viele der beschrieenen Kinder wirklich immer krank würden u. s. f., dann wäre allerdings Grund vorhanden, diese Folgen jenen Ursachen zuzuschreiben. Aber ob ein gewisser Folgezustand nur eine Zufälligkeit oder wirklich eine durch das Vorhergegangene bestimmte Nothwendigkeit ist, darnach fragt die aber- und leichtgläubige dumme Menschheit nicht; je unwahrscheinlicher, unnatürlicher, unvernünftiger Etwas ist, desto lieber glaubt sie daran, wie man recht deutlich in der Heilkunst, zumal an der Homöopathie sieht.

Es ist eine Versündigung an dem Menschenverstande, daß der Glaube an die Kraft der Amulete noch bis auf den heutigen Tag fortbesteht. Und warum? Blos deshalb, weil Einige, die solchen Hokuspokus an sich hatten, zufälliger Weise nicht krank, verwundet, erstochen oder erschossen wurden. Selbst die sonst so aufgeklärten, intelligenten und oft als freigeisterisch verschrieenen Franzosen stehen in diesem Punkte mit den abergläubischsten Türken und Beduinen auf ganz gleicher Stufe, denn fast jeder französische Soldat trägt gegen Tod und Lebensgefahr ein Amulet, und fallen Tausende von Trägern eines Amulets in der Schlacht dem Tode anheim, so bleiben die wenigen Lebengebliebenen dennoch ihrem Glauben an die Wirksamkeit der Amulete treu und behaupten, die Amulete der Gebliebenen seien nicht echte gewesen. Aber nicht blos gemeine Soldaten sind von diesem Aberglauben befallen, sogar Stabsofficiere tragen Amulete, selbst General Canrobert ist mit einem solchen versehen; General Bosquet und Forey sollen Splitter vom heiligen Kreuz an sich tragen, und vom Prinz Napoleon wird behauptet, daß er im Besitz eines vor Hieb und Stich bewahrenden Amuletes sei. In der Krim fanden die Aerzte bei manchem Todten oft christliche und türkische, ja sogar jüdische Amulete zugleich vor. – Amulete gegen Krankheiten kann man heut zu Tage noch bei sonst ganz gebildeten Leuten, sogar bei Männern, finden, und wie viele Mütter ihre Kinder mit unsinnigem Hokuspokus behängen, damit diese leichter zahnen oder vom bösen Halse, von krummen Beinen oder andern Gebrechen frei bleiben, wird Jedem bekannt sein.

Von dem Jäger-Aberglauben wollen wir ganz schweigen, denn dabei begreift man wahrlich nicht, wie ein erwachsener verständiger Mensch, und noch dazu männlichen Geschlechts, alles Ernstes und gegen seine bessere Einsicht mit Hartnäckigkeit daran fest halten kann. Was soll man z. B. von einem Manne denken, der, weil ihm beim Ausmarsche auf die Jagd eine „glückliche Jagd“ gewünscht wird, oder weil er etwas vergessen hat, gleich von der Jagd absteht, umkehrt und wieder nach Hause geht? – Gegen den Aberglauben und das „Post hoc, ergo propter hocder Frauen, da kämpfen natürlich Götter selbst vergebens. Weil eine Ehe Freitags geschlossen wurde, darum ist sie eine unglückliche (nicht aber etwa darum, weil die Frau eine gefall-, mode-, putz-, vergnügungs-, herrsch-, zank-, rach- und eifersüchtige, alberne Person ist); – weil Fahrenden Schweine entgegenkamen, darum stürzte der Wagen um (nicht aber darum, weil der Kutscher betrunken war); – weil nicht Salz, Brod und ein neuer Besen zuerst in eine neue Wohnung geschafft wurden, darum erlebten die Bewohner derselben Unglück über Unglück darin; – weil Eine mit dem unrechten Beine das Bett zuerst verließ, darum hatte sie den ganzen Tag üble Laune; – weil eine Mutter ihrem Kindchen die Nägel das erste Mal nicht abbiß, sondern abschnitt, darum lernte dieses Kind später stehlen; – weil ein Mädchen vor beendigtem ersten Lebensjahre in den Spiegel schaute, darum wurde es stolz, und weil es im ersten Jahre rothe Schuhe trug, darum konnte es in der Folge kein Blut sehen. – Eine Menge Weiber halten ferner fest an folgendem Aberglauben: wenn man sich Freitag Morgens die Nägel abschneidet, so bekommt man kein Zahnweh; am besten ist es, wenn man am Charfreitage damit beginnt. – Vor der Trauung binde sich die Braut nicht die Strumpfbänder, damit sie leicht gebären kann; während der Copulation habe die Braut Geld in den Schuhen, so fehlt es ihr nie daran; sie trete dicht an den Bräutigam heran, daß sie nicht von ihm geschieden werde; sie trete ihn auf den Fuß, daß sie das Hausregiment erhalte. – Wenn eine Magd anzieht, so fahre sie sogleich in’s Ofenloch, damit sie sich bald an den Ort gewöhne. – Ein Frauenzimmer lasse sich Niemanden an ihre Schürze abtrocknen, er wird ihr sonst gram. – Bleibt eine schwangere Frau vor dem Brodschranke stehen, so bekommt das Kind die Mitesser. Entwöhnt eine Mutter ihr Kind in der Baumblüthe, so bekommt es bald graue Haare. - Der Bräutigam schenke der Braut kein Buch, sonst wird die Liebe verblättert; gibt er ihr eine Scheere oder ein Messer, so wird die Liebe zerschnitten. Gegen unfreiwillige Liebe hilft folgende Sympathie: man ziehe neue Schuhe an und laufe schnell, bis die Füße schwitzen, dann ziehe man den rechten Schuh aus, gieße Bier oder Wein darein und trinke, so wird man der Person von Stund an gram. – Wessen Excremente in’s Feuer geworfen werden, dessen Gesäß bekommt einen Ausschlag. – Doch genug des Blödsinns; noch gibt es Tausende von unsinnigen, auf den lächerlichsten Aberglauben gegründeten Regeln und Gebräuche, welche zur Zeit noch sehr oft, selbst von sonst vernünftigen Frauen in Anwendung gebracht werden. – Daß Frauen an Träume glauben, ist bei ihrer großen Disposition zum Aberglauben und bei ihrem kleinen Denkvermögen ganz natürlich.

Der schimpflichste aller Aberglauben, welcher Menschen zu den unmenschlichsten und entwürdigendsten Grausamkeiten getrieben hat und welcher zunächst ebenfalls auf krasser Unwissenheit und falscher Beurtheilung von Ursache und Wirkung beruht, ist der Hexenglaube. Weil eine alte unsaubere Frau mit rothen Augen in einen Stall sah, darum gaben die Kühe darin keine Milch mehr, einige Sauen starben, und Knecht und Magd wurden krank. Dafür mußte die arme Frau aber auch eine Hexe sein, gefoltert und schließlich verbrannt werden. – Die letzte gesetzliche Hinrichtung einer Hexe auf deutscher Erde fand 1783 in Glarus statt; und im Jahre 1793 wurden in Polen an der südpreußischen Grenze noch zwei Hexen verbrannt. Wie viel Hexen früher auf gesetzlichem Wege durch Rösten, Sengen und Brennen gemordet wurden, mögen einige wenige Thatsachen beweisen: in Braunschweig wurden zwischen 1590 und 1600 so viele Hexen verbrannt, oft an einem Tage 10–12, daß die Richtstätte wie ein Waldbrand anzusehen war; in dem Fürstenthum Neiße sind von 1640 bis 1652 an 1000 Hexen verurtheilt worden, und es waren Kinder von 1 bis 6 Jahren darunter; in Osnabrück starben 1640 über 80 Hexen den Feuertod; in der Grafschaft Werdenfels wurden in 7 Tagen 46 Hexen eingeäschert; in Quedlinburg starben 1589 an einem Tage 133 Hexen den Feuertod. In unserm Jahrhundert sind nun zwar die Hexenprocesse, nachdem Wissenschaft und Humanität fortgeschritten sind, eingestellt worden, allein die untersten ungebildetsten Classen halten doch noch in Etwas an dem alten Aberglauben fest. Noch im Jahre 1832 wurde in der Gegend von Danzig eine Unglückliche als Hexe in das Meer hinausgefahren und auf grausame Weise ertränkt; ja sogar 1854 wurde in einem schlesischen Dorfe einer alten Frau, die als Hexe galt, deshalb die Leichenbegleitung versagt. An einen bösen Blick eines Menschen glauben zur Zeit selbst gebildete Kartenspieler noch.

Gegen Krankheiten sind seit Alters her bis auf die allerneueste Zeit die unsinnigsten und lächerlichsten Dinge angewendet worden, und dies ist allenfalls, wenigstens bei Laien, deshalb zu entschuldigen, weil man nach der Anwendung dieser Dinge (post hoc) fast stets Aenderungen in den Krankheitserscheinungen eintreten und die Krankheit sehr oft zum Guten verlaufen sah. Diese Aenderungen traten nun aber nicht etwa in Folge dieser Anwendung (ergo propter hoc) ein, sondern trotz derselben und zwar deshalb, weil innerhalb unseres Körpers von der Natur solche Einrichtungen getroffen sind, daß krankhafte Veränderungen in diesem oder jenem Organe Processe nach ziehen, durch welche zuvörderst die Krankheit in ihren Erscheinungen abgeändert wird und dann jene krankhaften Veränderungen entweder vollständig oder nur theilweise, bald schneller, bald langsamer entfernt werden (d. s. die Naturheilungsprocesse). Sie sind es auch, welchen der Patient in den allermeisten Fällen, trotz Arzt und Arzeneien, seine Heilung zu verdanken hat. – Wenn nun aber auch bei der Behandlung von Krankheiten dem Laien eine falsche Beurtheilung des Post hoc, ergo propter hoc verziehen werden kann, so sollte bei einem vernünftigen Menschen doch immer die Unwissenheit und Leichtgläubigkeit nicht so weit gehen, um die unnatürlichsten Dinge als wirkliche Heilmittel anzusehen. An sympathetische Curen (durch Schäfer, Hufschmiede, alte Weiber u. s. f.), sowie an Heilung einer Krankheit durch homöopathische Nichtse zu glauben, dazu gehört wahrlich ein Grad von Urtheilslosigkeit, der dem menschlichen Geiste die größte Schande macht. Trotz dem gibt es noch eine Menge Menschen, die auf das Versprechen des Blutes und der Rose, das Abschreiben des kalten Fiebers, die verschiedenartigen sympathetischen Heilungen der Warzen, Muttermäler und Geschwülste, das Binden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 472. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_472.jpg&oldid=- (Version vom 15.8.2023)