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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

„Mit Freuden, wenn wirklich meine sonstigen Rathschläge zu spät kommen sollten.“

„Es fragt sich jetzt nur vor allen Dingen, ob ich das gute, liebe Mädchen, das mir neue Lebenslust eingehaucht hat, dahin zu überreden vermöchte, bei mir zu leben, bis ich entweder sterbe oder sie sich verheirathet. Sie soll keine Last von mir haben, guter Doctor,“ fügte er mit wehmüthiger Herzlichkeit hinzu. „Sie braucht nur in dem gütigen Tone, worin ihr ganzes Herz liegt, von Zeit zu Zeit mit mir zu plaudern. Sie soll sich nicht anstrengen. Ich verstehe sie besser, als alle andern Menschen. Ihr klangvolles, metallreiches Organ dringt hell in mein Ohr, auch wenn sie nicht sehr laut spricht. Gestatten Sie es immerhin, lieber Doctor, daß sie die paar Jahre, die ich noch zu leben habe, mein ödes Dasein verschönt. Sie thut es mit Freuden, das weiß ich schon, bevor ich sie gefragt habe –“

„Mein Gott, was ich dazu thun kann, soll geschehen,“ fiel der junge Mann etwas neugierig und dadurch ungeduldig ein. „Wer ist die Dame?“

Der alte Herr sah ihn groß an. „Ach – ich habe sie Ihnen noch nicht genannt?“ fragte er. „Ihre Schwester Elisabeth –“

Der Doctor fuhr zurück. „Liebster Papa Mettling –“ stammelte er, denn die königlich stolze Schwester mit der sehr wenig demüthigen Miene schien ihm doch nicht geeignet zur Gesellschafterin eines alten, geistig zerrütteten Mannes.

„Sie wollen es nicht?“ sprach der Kaufherr traurig. „Ich kann es wohl begreifen und mag es Ihnen nicht verargen, obwohl Elisabeth eigentlich allein darüber zu entscheiden hätte.“

„O, ich will es gern zugeben, bester Herr,“ entgegnete der junge Mann gefaßter. „Aber meine Schwester selbst könnte Einwendungen erheben.“

„Sie kommt zu mir – glauben Sie meinem Worte,“ rief Mettling entschieden.

„Meine Schwester ist sehr verwöhnt, lieber Herr! – Sie ist „eine Dame“ in dem ausgedehntesten Sinne des Wortes.“

„Und sie wird als meine Pflegetochter im Stande sein „eine Fürstin“ zu spielen!“

„Ihr Charakter ist gut, ihr Herz weich, aber opferbereit ist sie nicht.“

„Das soll sie auch nicht sein!“ rief der Kaufherr lebhaft. „Sie wird in dem Cirkel glänzen, der mein Haus nach wie vor beleben soll – sie wird die prachtvollen Räume meines Hauses von Gästen überfüllt sehen, und sie wird dennoch ein leises Wort der Ermuthigung für den armen, alten Besitzer desselben haben, der jetzt mit Speise und Trank versehen in einen Winkel gerollt wird, wo er Niemand im Wege ist.“

„Sie thun Felix Unrecht,“ rief der Doctor vorwurfsvoll.

„Meine Beschuldigung soll Felix nicht treffen, denn einem Manne fehlen die feinen Gemüthsregungen; sie spricht nur das aus, was mir bevorstehen wird bei einer herzlosen Schwiegertochter.“

„Mein Gott – und gerade meiner Schwester, die den Ruf der stolzesten Kälte hat, schenken Sie in dieser Hinsicht ein so unbedingtes Vertrauen?“

„Ich habe Ihre Schwester erkannt, lieber junger Freund. Handeln Sie jetzt in meinem Interesse und Sie werden sehen, daß sich mein Herz nicht getäuscht hat.“

„Was wird aber Felix dazu sagen?“

„Er ist einig mit mir! Aber wer meine Gesellschafterin, die dame d’honneur sein wird, das freilich weiß er nicht, und ich bitte, es ihm für jetzt vorzuenthalten.“

Kopfschüttelnd verließ der junge Doctor seinen Patienten, der fernerhin nicht mehr den beliebten Senfteig gebrauchen zu wollen schien, sondern in der Güte und Milde eines Mädchenherzens den Balsam zu gewinnen trachtete, der seinem armen Leben eine neue Quelle des Heiles zu werden verhieß.

Kopfschüttelnd verließ er sogleich die Villa, als er Felix nicht im Salon vorfand. Die Sache war ihm außer dem Spaße! Dazu also sollte Elisabeth von Gott so unendlich reich begabt sein, um einen alten, gelähmten Mann zu erfreuen? Dazu von Gott mit einem wunderbar schönen Organe ausgestattet sein, um einem alten, halbtauben Manne verständlich zu werden?

Nein, diese Selbstverleugnung würde an eine Erhabenheit gegrenzt haben, welche in der Wirklichkeit nahe der Lächerlichkeit verwandt gewesen wäre.

Der Doctor belächelte die kindische Sicherheit, womit der alte Kaufherr auf die Herzensgüte seiner Schwester baute, und es bangte ihm einigermaßen vor dem Eindrucke, den die abschlägliche Antwort Elisabeths auf den neubelebten, exaltirten Kranken machen mußte. Eilig ging er seines Weges, um nur so bald als möglich den Druck von seiner Seele los zu werden, der ihm, bei dem geringsten Anscheine einer Möglichkeit, eine totale Beklemmung verursachte.

Felix wurde von dem unerwartet schnellen Verschwinden des Doctors auch in eine Stimmung versetzt, die eben nicht beneidenswerth war.

Ein Zufall hatte ihn gerade in dem Augenblicke entfernt gehalten, als Strodtmann das Zimmer seines Vaters verließ und ohne Zögern seinen Aufbruch bewerkstelligte. Was für Gründe hatte dieser Mann, den er innig hochschätzte, dazu gehabt? Was hatte er gehört von seinem Vater? Was dachte er über das kleine Zerwürfniß im Hause, dem er bei weitem nicht die ernste Bedeutung beilegte, wie sein Vater?

Lord Felix wurde ein Raub der peinvollsten Ungewißheit. Dazu kamen die Vorwürfe seines Gewissens in Bezug auf Frau von Dahlhorst.

Was in dieser Zusammenkunft Uebles geschehen war, konnte freilich wieder gut gemacht werden, aber löschte sich dadurch der Flecken, den seine Inhumanität auf ihn warf? Sein rechtlicher Sinn war bereit, zu bekennen und zu bereuen, sein gutes Herz war entschlossen, den Irrthum zu vergüten, worein Uebereilung und Naturell ihn gestürzt, aber konnte dies die Schamröthe auf seiner Wange löschen, einem reinen, forschenden Blicke gegenüber, den er als ein Gottesgericht fürchtete?

Lord Felix befand sich also keineswegs in der besten Laune, als Lenchen hoffährtig in seiner Equipage wieder vorfuhr und mit gesteigerter Liebenswürdigkeit von der Verwunderung erzählte, womit man sie in dem Wagen betrachtet habe.

Armes Lenchen! Dein Zauber war gebrochen – Deine Naivetät hatte ihre Anziehungskraft verloren!

„Lassen Sie nicht ausspannen!“ herrschte der junge Herr sie an. „Ich will noch zur Stadt!“ Und sie ging demüthig, seine Befehle auszuführen. Sie dachte aber durchaus nicht daran, daß sie an einem gefährlichen Scheidewege angelangt sei, welcher von der Fülle ihrer Macht abwärts zu gehen drohete. Für jetzt rettete sie ihre angeborene Furcht vor der Herrschergewalt eines Hausherrn. Sie schwieg und weckte seinen Widerspruchsgeist nicht! Kam er erheitert aus der Residenz zurück, so hatte sie gewonnen Spiel.



IV.

Elisabeth hatte ihren Platz noch nicht verlassen, als ihr Bruder, athemlos von Hast und Aufregung, wieder zu Hause anlangte und sie ganz unvorbereitet mit der Frage überraschte, ob sie geneigt sein würde, die Stelle einer Gesellschafterin beim alten Herrn Mettling zu übernehmen, im Falle Felix sich mit Lenchen, der Mama Hausmamsell, verheirathe.

„Warum nicht?“ erwiderte die junge Dame mit einer Gelassenheit, die das Resultat der einsam verlebten Stunde in ihres Bruders Zimmer war. „Hat er einen Wunsch geäußert, der auf diese Offerte hindeutete?“

„Er hat mich geradezu beauftragt!“ rief der Doctor in sichtlicher Empörung und erzählte, wie er den alten Herrn gefunden habe. „Mich überrascht diese Mitteilung nicht,“ meinte Elisabeth. „Ich habe längst die Beobachtung gemacht, daß die Belebung seines geistigen Organismus möglich ist. Um so mehr schmerzte mich die Aussicht auf seine Abhängigkeit von Lenchens unverständiger Pflege.“

„Aber, Elfi – diese Belebung des Geistes kann momentan sein!“ rief Strodtmann.

„Schon der Versuch bringt Freude –“ antwortete sie kurz.

„Du bist ehrenhalber dann gezwungen, bei einem Halbverrückten auszuharren!“

„Wahngedanken bei einem alten und schwachen Manne sind leichter zu ertragen, als wahnsinnige Handlungen eines jungen und gesunden Menschen.“

„Es liegt ein närrischer Widerspruch in Deinem Stolze und diesem Entschlusse, denn Du betrittst hier ein Schlachtfeld des Lebens ohne Hoffnung auf den mindesten Sieg.“

„Rechnest Du den Segen, welchen zwei brechende Augen uns

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