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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

erkennen. Jene andern Gemsen staken noch jedenfalls rechts und links von mir in den sie deckenden Büschen.

Sollte ich jetzt zurückpirschen? – dann kam ich von oben und sie mußten Wind bekommen – ich begriff überhaupt nicht, daß sie mich nicht schon lange gewittert hatten. Aber was anders anfangen? Der Abend brach mit Macht herein, und in dem Thal hinter mir lag schon die Nacht. Eine Möglichkeit blieb noch.

Gemsen, und wahrscheinlich mehrere alte Böcke standen um mich her, ohne bis jetzt eine Ahnung von meiner Nähe zu haben, denn wäre nur einer von ihnen vorher geflohen, so würde das Rudel da oben nicht so ruhig seinen Stand behauptet haben. Die Entfernung bis dorthin war allerdings zu groß, wenn ich aber nun mit hohem Visir auf eines der jungen Thiere hielt? Durch den Schuß wurden die mir nächsten Gemsen erschreckt, und möglicher Weise konnte mir gerade eine vor das zweite Rohr laufen.

Es war das ein verzweifeltes Mittel, aber auch das letzte, vor Dunkelwerden die Sache zur Entscheidung zu bringen. Ich klappte deshalb rasch entschlossen das hohe Visir auf, legte meine Büchse auf einen Stein, nahm eines der jungen Thiere, das möglicher Weise ein zweijähriger Bock sein konnte, auf’s Korn, hielt dann noch etwa anderthalb Hand breit darüber und – drückte ab.

Die Gemse, auf die ich geschossen, zuckte allerdings zusammen, denn die Kugel mochte wohl dicht dabei auf die Steine geschlagen haben, getroffen war sie aber nicht. Das ganze Rudel fuhr im ersten Schreck durcheinander, die paar Kitzgeisen, die gesessen hatten, sprangen in die Höhe, und plötzlich nahmen alle ihre Flucht gerade nach mir herunter.

Die Ursache war leicht erklärlich: der Schall des Schusses brach sich donnernd an der hinter ihnen aufsteigenden steilen Felswand und täuschte sie dadurch in der wirklichen Richtung, von welcher der Schuß dröhnte.

Ganz auf ähnliche Weise hatte ich früher einmal einen starken Bock erlegt, indem mir, als er noch weit entfernt war, der eine Lauf zu früh losging, der Bock aber, durch das Echo des Knalls getäuscht, gerade auf mich zu floh.

Während das Rudel jetzt über das lockere Geröll der Reißen prasselte, sah ich ängstlich nach rechts und links, ob mir nicht einer der alten Grauröcke zum Schuß käme – aber Alles blieb in den Büschen still, und nur das Rudel kam näher und näher. – Jetzt floh es, durch irgend eine Laune der Leitgeis geführt, in einer Schwenkung auf etwa hundert Schritt quer vor mir vorüber, über die Reißen. Sollte ich meine letzte Kugel an eines der jungen Dinger wagen? Und wenn mir dann ein alter Bock noch zum Schuß gekommen wäre? – Plötzlich schrak ich zusammen, als ob ich einen Stich in’s Herz bekommen hätte, denn dicht, dicht vor mir, nicht zehn Schritt von mir entfernt, gerade hinter den Alpenrosen, tauchten ein paar mächtige Krickeln auf, und eine Secunde später stand ein alter Bock in Lebensgröße vor mir und äugte mir scharf und erstaunt in’s Gesicht. Im Nu flog die Büchse an den Backen – das Rudel hörte und sah ich nicht mehr, aber – das hohe Visir. Ich hatte vergessen, es niederzuklappen, und wie ich das Korn suchte, fühlte ich mehr, als daß ich es sah, die veränderte Lage.

Ich hätte vielleicht können ein Stück tiefer halten, aber auf so kurze Entfernung blieb der Schuß dann doch immer ungewiß, auch dachte ich in dem Augenblick nicht daran. Rasch zog ich die Büchse zurück und drückte das Visir nieder – aber der Bock war wie in den Boden hinein verschwunden. Doch er konnte mir nicht mehr entgehen; mit einem Satz war ich auf dem Alpenrosenrande, der mich bis dahin halb verdeckt hatte. Wollte er in die Büsche, so mußte er ebenfalls diesen überspringen, und über die Reißen hin hatte ich nach allen Seiten freien Schuß. Dort rasselten jetzt die Steine, und im nächsten Augenblick floh der alte, feiste Gesell, der aus einer Art Mulde wieder zum Vorschein kam, über das weiße Geröll. Das aber gab unter seinen Schalen nach; er konnte nicht recht flüchtig werden, und wie ich ihm jetzt auf höchstens sechzig Schritt bedächtig auf’s Blatt zielt, brach er mit dem Schuß im Feuer zusammen.

Ich habe mich schon über manchen Schuß gefreut, aber kaum je mehr als über diesen, und ein lautes Hurrah! – denn mit der leeren Büchse brauchte ich keine Rücksichten weiter zu nehmen – brachte wenige Minuten später den bergaufkeuchenden Franzel an meine Seite.

„Haben wir ihn?“

„Dort liegt er, Franzel!“

„Kann er noch fort?“

„Nein, er ist fertig – ein guter Bock.“

„Der ist recht“, sagte Franzel vergnügt, indem er, während ich die Büchse wieder lud, meinem ausgestreckten Arm folgend, der Stelle zukletterte, wo der Bock in den letzten Zuckungen mit dem lockeren Gestein langsam zu ihm niederrutschte. Das Rudel floh indessen der linken Wand zu, die es auf einem schmalen, nur solchen Thieren zugänglichen Pfad hinanstürmte, und rechts von mir sah ich auch jetzt zwei andere Gemsen, jedenfalls Böcke, das Weite suchen. Die aber hatten Ruh, unsere Jagd war gemacht, und still vor sich hinlachend, brach Franzel den jetzt verendeten Bock auf und hob ihn in seinen Bergsack.

„Hab’ ich nicht gewußt, daß wir den Sack brauchen würden?“ schmunzelte er, als er mir meinen Bergstock reichte – „der war noch recht heut’ Abend. Die werden schauen, wenn wir auf die Alm kommen! Aber viel Zeit hatten wir auch nicht mehr zu verlieren, denn ’s wird mit Macht dunkel und der Weg ist schlecht.“

Franzel hatte Recht, und hielt sich auch nicht mit weiteren Worten auf. Schnurgerade glitt er den Hang hinunter, der Stelle zu, wo wir die andere Gemse zurückgelassen hatten. Diese nahm ich in meinen Bergsack, und da wir noch eine gute Stunde von unserer Almhütte entfernt waren, schritten wir jetzt wacker aus, sobald als irgend möglich unser Nachtquartier zu erreichen.

Und was für ein wonniges, seliges Gefühl ist es, nach solcher Tagesarbeit, mit der eigenen schweren Beute im Bergsack, der stillen Jägerhütte in den Alpen zuzuschreiten! Das muß aber wirklich erst einmal selber mit durchgemacht sein, um es ganz begreifen und empfinden zu können; durch Worte läßt sich das im Leben nicht beschreiben.

Daheim war mein Jagdgefährte indessen ebenfalls mit einem jungen Bock eingetroffen, und weil er früher als ich mit seiner Jagd fertig geworden, hatte er noch eine ganze Partie Gemskresse zu einem Salat gepflückt und mitgebracht. Gemskressensalat und gebratene Gemsleber, Kaffee und Schmarren, es soll mir irgend ein Gourmand kommen und behaupten wollen, daß er in seinem ganzen Leben besser gegessen habe!


Die Prairien.

Erlebnisse eines deutschen Flüchtlings von C. B.
(Fortsetzung.)


Harry lachte, und Ben sah mich verwundert an. Staunen und Beifall schienen seine verwitterten Züge auszudrücken; als ich aber schwieg, machte sich ein anderes Gefühl Raum, das der Mißbilligung. Schweigen ist das Kennzeichen der Prairie. In diesem endlosen Raume verhallt jeder Ton. Nur auf die Erde hingeworfen, hörst Du den Flintenschuß, hörst Du den Galopp des Pferdes, den Trab des Büffels. Nirgends kann sich der Schall brechen, überall saugen ihn die tausend und aber tausend Grasspitzen ein. Schweigend grast das Thier, schweigend begibt es sich auf die Flucht, schweigend greift es den Feind an; nur verwundet stößt es einen Schrei des Schmerzes oder der Wuth aus, fast erschrocken darüber. Deshalb erregt auch jeder Laut die Aufmerksamkeit des Prairiebewohners. Auge und Ohr sind immer offen, denn Gefahr droht überall. Wir waren noch nicht weit genug eingedrungen in die Prairie und hatten auch noch keine Lust, uns auf eine Jagd einzulassen, deshalb hielt Ben seine tadelnde Bemerkung zurück.

Mein Unfall gab zu ernsten Erwägungen Anlaß. Zwar hatte ich einen Taschencompaß, allein, noch kein firmer Reiter, konnte mir leicht ein Unfall zustoßen; und, getrennt von den Anderen, war ich rettungslos verloren, da ich noch nicht einmal der Jagd kundig war. Harry übersah die Gefahren unserer Lage und sprach

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 490. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_490.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2023)