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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

sich von dem ungünstigen Einflüsse dieses Vorbildes nicht ganz zu befreien vermocht hat. Dies Vorbild, über dessen Portraittreue ich kein Urtheil habe, wirkt unseren, wenn ich so sagen darf, idealen Vorstellungen von Shakespeare gegenüber in hohem Grade herabstimmend, es fehlt dem auf etwas vorhängendem Halse getragenen Kopf an geistiger Kraft und Energie, und derselbe hat namentlich in den unteren Partien, in dem weichlichen Mund und dem kleinlichen Kinn etwas geradezu Läppisches. Diese Anstöße hat nun unser Knaur allerdings beseitigt, er hat den Kopf gerade emporgerichtet, dem Auge einen freieren Blick, der Stirn größere Klarheit, dem Munde und Kinn mehr Festigkeit verliehen, aber es ist auch in seine Büste etwas Weichliches und Unbestimmtes in den Formen hinübergekommen, welches ihr den Monumentalcharakter benimmt. Ganz und gar vortrefflich dagegen ist der Dante, welcher wesentlich nach der Todtenmaske im Besitze des Königs von Sachsen gearbeitet ist, vortrefflich namentlich im Modell. Denn die Ausführung in Marmor zeigt eine gewisse Befangenheit und Aengstlichkeit des Künstlers gegenüber dem preciösen Material, welche bei der seltenen Gelegenheit, in solch schönem cararischen Marmor zu arbeiten, nur zu erklärlich ist und ihm gewiß nicht zum Vorwurf gereichen kann. Ich bin überzeugt, daß bei einer Ausführung etwa in Sandstein der Dante noch ungleich vollendeter geworden wäre, denn Sandstein ist ein Material, bei dem ein Block, sollte der Meister bei etwas kühnem Draufgehen mit Meißel und Bohrer ja einmal einen unverbesserlichen Fehler machen (sich verhauen, wie man es nennt), für einige Thaler wieder zu beschaffen wäre; an einen solchen Block cararischen Statuenmarmors Nr. 1. aber tritt man mit einem gewissen Respect und einer gewissen Scheu heran. Und diese Scheu unsers Künstlers ist in der Dantebüste fühlbar, welche bei weitem nicht die Schärfe und Entschiedenheit, nicht die Frische und Markigkeit aller Formen besitzt, welche das kostbare Modell zeigt, und welche nur durch vollendete Rücksichtslosigkeit in der Arbeit zu erreichen ist. Und doch hat unsers Meisters Sicherheit und Kühnheit in der technischen Bearbeitung des Marmors schon während der Herstellung der vier Büsten augenscheinlich zugenommen, und die in Arbeit befindliche vierte des Homer verspricht abermals einen Fortschritt gegen den Dante, so daß man getrost behaupten darf, daß Knaur, wenn er eben so oft in Marmor zu arbeiten hätte, wie er in Sandstein und Thon arbeitet, gar bald es den besten, mit Ausnahme vielleicht der römischen Routiniers, gleichthun würde. Was aber die geistige Schöpferkraft, die feine Formempfindung, die Fähigkeit einer durchaus charaktervollen und bedeutenden Behandlung eines interessanten Antlitzes und seiner Steigerung im Sinne des Ideals anlangt, vergleiche man das Modell des Dante und des Homer, und man wird mit Freuden einräumen, daß hier Knaur durchaus auf der Höhe unserer Kunst steht.

Wollte Gott, daß ihm recht bald und recht oft Aufträge zu Theil würden, bei denen er sein ganzes schönes und ernstes Talent zu entfalten die Gelegenheit und die Möglichkeit hätte!

Overbeck.




Berliner Bilder.
Von E. Kossak.
6. Die Herren von Grün.

Nach den Beobachtungen aller aufmerksam schwitzenden Menschen haben wir in diesem Jahre einen ausnahmsweise heißen Sommer, begleitet von einer Menge ungewöhnlicher Erscheinungen, gehabt. Zu allgemeinem Erstaunen ist in unseren gemeinen nordischen Schlendrian etwas von der Ueppigkeit des Südens gekommen. Nicht allein Pflanzen, welche in den norddeutschen Districten sonst nur zur kümmerlichen Entfaltung gelangen, wie der Oleander, prunken mit den reichlichsten Blüthen und erzeugen selbst unter unserem harten Himmelsstriche den zu dieser Gattung gehörigen seltenen Schmetterling, sondern auch unter den Menschen kommen anmuthige Gewohnheiten schönerer und wärmerer Gegenden auf, und verleihen dem Leben unbekümmerter Naturen einen sorgenfreien Anstrich. Das alte Geschlecht derer „von Grün“, welches sich ohne sonderlichen Aufwand von heraldischer Kenntniß bis auf Adam im Paradiese zurückführen läßt, florirt in diesem Sommer wieder und veranlaßt uns, seine Merkmale getreulich aufzuzeichnen, da wir schwerlich wieder solchen italienischen Sommer und eine ähnliche nochmalige Blüthezeit desselben erleben werden.

Was die Lazzaroni vorstellen, weiß jedes Kind, sobald es in der Schule sein Bilderbuch lesen gelernt hat, es weiß, daß diese harmlosen Bürger einer so schönen Stadt, daß man getrost sterben kann, nachdem man sie in Augenschein genommen, einen angeborenen Abscheu vor Arbeit, reiner Wäsche und ungeflickten Kleidungsstücken haben, daß sie leidenschaftlich Maccaroni lieben und entweder im Schatten auf der Straße schlafen, oder die Tarantelle tanzen, vorausgesetzt, daß sie nicht durch ihren Beruf: die Bettelei, von beiden abgehalten werden.

Wer die „Herren von Grün“ sind, ist minder bekannt, da Berlin von den schriftstellernden Touristen weniger beachtet wird, und das genannte Geschlecht außerdem nicht mit gleicher Deutlichkeit im öffentlichen Leben zum Vorschein kommt. Es wäre durchaus unwissenschaftlich und ungenügend, wollten wir die Herren von Grün die Lazzaroni von Berlin nennen, denn sie zeichnen sich vor den Bewohnern von Neapel durch eine ungleich größere Vielseitigkeit und Mannichfaltigkeit ihrer Sitten aus. Versuchen wir demnach, sie so vollständig als möglich zu charakterisiren.

Der Verein der Herren von Grün, diese ehrwürdige Genossenschaft, wird durch diejenigen Personen gebildet, welche im Sommer, von einem tiefen Abscheu vor der Einförmigkeit der Straßen und den Mühsalen der Arbeit erfüllt, die Stadt verlassen und eine Villeggiatur beziehen, ohne eine Villa zu besitzen oder eine Sommerwohnung gemiethet zu haben. Durchdrungen von Poesie, lassen sie die Mauern und Thore, diese traurigen Schauplätze der Accise und Wache, hinter sich und umgaukeln die Residenz wie die lieblichen Genien, deren jedes Ballet, jedes Märchenbuch eine unbegrenzte Anzahl stets zur Disposition hat. Abhold jener regelmäßigen Beschäftigung, wie sie den Stolz des fleißigen, aber leider philiströsen und pedantischen Bürgers bildet, aber gestimmt für eine kaltblütige Meditation, suchen sie ihren Lebensunterhalt auf die leichteste und angenehmste Weise zu erwerben.

Die Jäger und Fischer unter ihnen bilden zuerst eine noch leidlich achtbare Classe und erhalten durch die Beschäftigung mit diesen noblen Passionen einen ritterschaftlichen Anstrich. Im Leben höher gestellt und durch Geburt ausgezeichnet, würden sie die Bewunderung ihrer Nebenmenschen erregen. Die Herren von Grün, insofern sie Jäger sind, suchen Vogelnester auf, fangen Nachtigallen weg, obgleich darauf eine empfindliche Strafe steht, und stellen den Eichhörnchen nach. Später im Herbste machen sie sich kein Gewissen daraus, den etwas verwilderten und der städtischen Häuslichkeit entfremdeten Katzen in den Obst- und Gemüsegärten vor den Thoren heimlich nachzuschleichen und sie ihrer Felle zu entkleiden. Es hat unter ihnen solche gegeben, die auf hübsche kleine Hunde, welche ohne Maulkorb und Halsband unbedachtsam vor die Landhäuser ihrer Gebieter gingen und mit gemeinen Kötern spielten, ihr Augenmerk richteten, sie unter ihre Obhut nahmen und in der Stadt an Liebhaber feiner Hündchen verkauften.

Noch unschuldiger in ihrer Denkungsart und ihrem Treiben sind die Fischer. Schon in den frühen Morgenstunden ziehen sie mit der Angelruthe und einem kleinen Eimer vor die Stadt hinaus und suchen im Schatten der Erlen und Weiden auf dem Floßholz ein behagliches Plätzchen, um ihrer Liebhaberei zu fröhnen. Es kommt ihnen minder darauf an, wenige und große, als viele und kleine Fische zu fangen. Selbst wenn ihre Mühen ohne Ertrag bleiben, fühlen sie sich durch das süße Nichtsthun und die träumerische Stimmung, in welche der Angler beim Anblick des flimmernden Wasserspiegels und der leisen Töne, die aus dem Schilf aufsteigen, versinkt, gar seltsam befriedigt. Fast scheint es, als lebten sie allein von Fischen und verdienten so den Namen von Ichthyophagen. Ihre natürlichen Feinde sind die Fischer von Fach, welche die Gewässer gepachtet haben, und auf sie als muthwillige Störer ihres Gewerbes fahnden. Die fischenden Herrn von Grün suchen sich deshalb meistens unnahbare Stellen für Böte aus, und einige Furchtsame unter ihnen ziehen es sogar vor, nur zur Nachtzeit zu fischen, um den beängstigenden Nachstellungen ihrer erbitterten Gegner

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 499. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_499.jpg&oldid=- (Version vom 3.9.2023)