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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Maire das Haus demoliren!“ Da lachten die Andern sie aus mit den Worten: „Das haben wir schon vor zwei Tagen besorgt.“ Der Platz, auf dem das Haus gestanden, ist, trotz des Mangels an Bauplätzen mitten im Ort, bis heute noch nicht wieder bebaut, sondern scheint für alle Zeiten geächtet.

Doch wir haben der Schilderung von der Kühnheit der Brotteröder im Jahre 1806 vorgegriffen und kehren deshalb zum Anfang der westphälischen Regierung zu der genannten Zeit zurück, um auch dem Fahnendieb Becker wieder zu begegnen.

In Schmalkalden lag zu Ende des Jahres eine kleine Abteilung der französischen Armee, aus Fürst-Primas-Truppen bestehend. Sie hatten einen Transport von erbeuteten preußischen Kanonen aus der unglücklichen Schlacht bei Jena mit sich, von denen eine bespannt war und zwölf andere auf sechs Wagen sich befanden, um nach Mainz escortirt zu werden. Nachdem zu Brotterode schon am Christheiligabend (24. Decbr.) Volksaufläufe und heimliche Besprechungen statt gefunden, rottete sich am ersten Weihnachtsabend eine beträchtliche Anzahl Männer, größtentheils gewesene althessische Soldaten, unter Anführung des Kaufmannssohnes Andreas Ritter, eines wilden Raufboldes, zusammen; doch die Seele des Aufstandes war ein Schnallenschmied von der Classe der Sporer, Caspar Scheidler, später Ortsschultheiß, ein kühner, aber besonnener Mann. So zog der Insurgentenhaufen aus, über die Dörfer Kleinschmalkalden, Seligenthal, nach dem Dorfe Floh, überall Verstärkungen, sowohl von entlassenen Soldaten als Landleuten, an sich ziehend. Sogar Beamte, z. B. der Brotteröder Förster Leo, wie es scheint einer der Anstifter, befanden sich im Zug, Außer Andreas Ritter waren zwei Anführer der frühere Gardist Moritz Peter aus Floh und Gottlieb Ulrich aus Seligenthal, Vogellips genannt. So suchte sich das Volk auf eigene Faust zu helfen, da es vergebens auf den Beistand der hessischen Prinzen zu ihrem eigenen Vortheil gerechnet hatte, denn schon vor Ausbruch des Aufstandes ging der Förster Leo damit um, die entlassenen hessischen unzufriedenen Soldaten zu sammeln, begab sich aber erst nach Philippsthal, um sich bei den dort residirenden Prinzen Verhaltungsbefehle zu holen; allein diese hatten ihn eines Anderen belehrt.

In der Dunkelheit des Morgens vom zweiten Weihnachtstag kamen die Insurgenten vor der Stadt Schmalkalden an, erzwangen die Eröffnung des Weidebrunner Thores und zogen sogleich vor die Hauptwache. Nachdem hier ein Theil der französischen Soldaten (Italiener) verwundet und zwei gefangen genommen worden, auch die Hauptwache erstürmt war, suchten die übrigen das Weite. Hierauf bewaffnete sich die Schaar mit den von den Einwohnern abgelieferten Büchsen und sonstigen Waffen, die sich theils auf dem Rathhause, dem Oberamte und der Renterei befanden, um vor allen Dingen die franzosenfreundlichen Beamten zu züchtigen. Als solche galten besondes der Obereinnehmer Koch und der frühere Amtsschultheiß, jetzt Cantonsmaire Becker. Beiden wurden die Häuser demolirt, wobei Letzterem noch einmal auf eine handgreifliche Art von dem Schnallenschmied Caspar Schmauch der verfluchte Fahnenraub in’s Gedächtniß zurückgerufen wurde. „Damiet Dau weißt vun wäm Dau se kregt hahst die Mullschälle, ihch heiß Kopp[1] Schmuhch uhn bihn aus Brottero, Dau Kirmesdieb, Dau!“ Becker machte sich aber so schnell wie möglich aus dem Staube, da noch Mehrere Schmauch’s Beispiel nachzuahmen suchten. Die erbeuteten Kanonen wurden im Triumph nach Kleinschmalkalden, einem halb gothaischen und halb hessischen Ort, zunächst an Brotterode auf der Straße nach Stadtschmalkalden gelegen, gebracht und hier sogar ein Stück auf einen steilen Berg gefahren, um damit die Gegend beherrschen zu können, die andern vor dem Wirthshause auf hessischer Seite aufgefahren und von Posten in althessischen Uniformen bewacht. – Am dritten Weihnachtstag erscholl das Gerücht, die Franzosen kämen die Laudenbach (Ludemich in der Volkssprache), das Thal südwestlich unterhalb Brotterode, herauf, um an dem Ort Rache zu nehmen. Da wurde schnell die Sturmglocke gezogen und Alt und Jung, Männer und Weiber, gutwillig oder gezwungen, zogen das Thal hinab, mit allerhand improvisirten Waffen, Dreschflegeln, Aexten, Hacken, vor Allem mit den erbeuteten Gewehren, bis zum Drusenthale bei dem Dorfe Herges, einem wildromantischen Grunde, abwechselnd von hohen Felsen zu beiden Seiten gebildet. Auf diese kletterte man und faßte Posto, um durch Herabschleudern von Felsstücken den heranrückenden Feind zu vernichten. Doch dieser blieb aus; das Gerücht schien unbegründet, und Abends kehrte die kriegerische Schaar heim nach Brotterode.

Dem Gerichtsamtmann Reichard daselbst, einem sehr wackern und geachteten Mann, schien der tollkühne Aufstand gegen die französische Regierung denn doch zu gewagt, und auf seinen Rath wurden die Kanonen wieder nach Schmalkalden gebracht, von wo sie nach Meiningen geführt werden sollten, was aber erst am 1. Januar 1807 gelang, da man sich auf dem Wege nach Herrenbreitungen an der Werra derselben noch einmal bemächtigt hatte.

Bald aber kam die Kehrseite.

Am 6. Januar verlangte der französische General die Auslieferung der Rebellenführer bis zum 10. des Monats nach Hersfeld und Wiederablieferung der Waffen. Beiden Forderungen konnte die Behörde zu Schmalkalden nicht sogleich genügen, auch der Versuch einer Deputation von drei Schmalkaldern, die erst nach Cassel und dann nach Braunschweig zu dem Generalgouverneur Lagrange ging, um das Unheil abzuwenden, mißlang, denn es rückten Anfangs Februar einige Tausend Mann, zwei Regimenter Piemontesen, in der Herrschaft Schmalkalden ein, und eines schönen Morgens 3 Uhr war Brotterode von einem Bataillon Infanterie nebst Artillerie umzingelt. Nur den eifrigen Bemühungen des braven Amtmann Reichard gelang es, daß dem Orte, der leicht mit Feuer und Schwert hätte vernichtet werden können, eine schonendere Behandlung zu Theil wurde. Vier der Rädelsführer aber wurden mit weggeführt, Andreas Ritter, Caspar Schmauch, Caspar Kürschner und Caspar Scheidler. Schon am folgenden Tage wurde der Letztere mit einem gleichfalls weggeführten Färbergesellen zu Schmalkalden entlassen; ebenso nach einiger Zeit Caspar Kürschner. Ritter und Schmauch wurden nach Mainz, dann nach Metz und endlich nach Besannen geführt, ersterer auch zum Tode verurtheilt, aber noch begnadigt. Der schlaue Vogellips (Gottlieb Ulrich) aus Seligenthal rettete sich vor der Gefangennahme, als die damit beauftragten Italiener seine Wohnung umstellten und durchsuchten, dadurch, daß er rasch die Kleider seiner Schwester anzog, sich ganz unbefangen auf den Melkschemel unter die Kuh setzte und so lang melkte, bis er den günstigen Zeitpunkt ersah, über mehrere Dächer zu entkommen.

So endigte der tollkühne Aufstand der Brotteröder um Weihnachten des Jahres 1806. Auch die Dornbergische Insurrection 1809 hatte hier ihre Anhänger und besonders an einigen Kaufleuten Unterstützung gefunden, jedoch der verfrühte Ausbruch derselben in Ober- und Niederhessen hielt hier die weitere Bewegung gänzlich nieder. Das schlichte Bergvölkchen der Brotteröder aber hat gezeigt, zu welchem kühnen Muthe echte Vaterlandsliebe begeistern kann.




Post hoc, – ergo propter hoc;
weil’s darauf kommt, – darum’s auch daraus kommt oder: weil darnach, – also auch darum.
(Fortsetzung.)

Die Heilkunst (d. i. das Gewerbe zum Curiren von Kranken, und ja nicht etwa mit der Heilkunde, d. i. die medicinische Wissenschaft, zu verwechseln) – sie würde sicherlich zur Zeit einen weit höhern Standpunkt einnehmen, wenn nicht die meisten Heilkünstler, verführt durch das Post hoc, ergo propter hoc, in ihrer Eitelkeit und in dem Glauben an ihre Heilmacht, Alles was sich während ihrer Behandlung einer Krankheit im Kranken Gutes zuträgt, den von ihnen verordneten Arzneien und Behandlungsweisen zuschrieben, dagegen alles Schlimme der Natur in die Schuhe schöben, obschon es sich in den allermeisten Fällen gerade umgekehrt verhält.

Und warum thun sie dies? Sie kennen die Naturheilungsprocesse (s. Gartenlaube 1855, Nr. 25) nicht, von welchen in fast allen Krankheiten die Aenderungen in den Erscheinungen abhängig sind, und wollen sie auch gar nicht kennen lernen. Weil sie niemals eine Krankheit sich selbst überlassen, ohne Arzneien und nur diätisch behandelt

  1. Caspar.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 539. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_539.jpg&oldid=- (Version vom 23.9.2023)