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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

werden, sobald das Publicum den Glauben an medicinische Wunder vollständig aufgegeben hat und zu der Ueberzeugung gekommen ist, daß auch im menschlichen Körper Alles nach unabänderlichen Gesetzen vor sich geht, welche nie und unter keinen Umständen umgestoßen werden können. Zur Zeit, wo immer noch Charlatanerie und Betrug in allen Gestalten auf den Geldbeutel der kranken Menschheit Jagd und alle Auswüchse der Heilkunst Propaganda unter dem Laienpublicum machen, da muß durchaus im Interesse des allgemeinen Besten die Medicin vom delphischen Orakel herabsteigen, sich in die Karten sehen und gefallen lassen, daß man ihre Blöße aufdeckt. Die Zeit ist hin, wo irgend eine Wissenschaft das ausschließliche Eigenthum einer gewissen Kaste bleiben kann, und es muß endlich die Zeit einmal kommen, wo man nicht mehr glaubt, sondern weiß.

Schließlich mag zur Unterstützung des Gesagten noch einiger Aussprüche von bekannten Männern der Wissenschaft gedacht werden. Wunderlich (mit dem Ausspruche: wo die Receptensucht aufhört, fängt die Therapie an) sagt: „Es gibt keine Krankheitsform, die nicht ohne sogenannte Medicamente geheilt werden kann, und bei welcher dieselben durch tausend andere Hülfsmittel, welche dem rationellen Arzte zu Gebote stehen, ersetzt werden könnten, und in der Mehrzahl der Fälle ist die Verordnung von Medicamenten geradezu Nebensache, in einer nicht kleinen Zahl entschieden nutzlos und bloße Concession, welche bei dem Aberglauben des Patienten und zur Befestigung seines Vertrauens oft unerläßlich ist.“ – Oesterlen (mit dem Ausspruche: an die Stelle des Heilkünstlers von altem Schlag muß mehr und mehr der Prophylaktiker treten) schreibt: „So lange wir in Arzneistoffen oder Heilmitteln, die bei einem Kranken in Anwendung gekommen, die wesentliche, fast zureichende Ursache seiner Heilung gesehen, ließ sich nicht leicht erklären, warum diese Heilung so häufig ausgeblieben, trotz der Anwendung jener Mittel, oder warum Heilung oft genug zu Stande kam, obgleich keine solche Mittel angewendet wurden, und warum dieselbe Krankheit beim Gebrauch der verschiedenartigsten Mittel gleich schnell und gleich sicher heilen konnte. Dies Alles würden wir aber leicht begreiflich finden, sobald wir uns einmal davon überzeugt hätten, daß die sogenannte spontane Heilungstendenz unter Mitwirkung günstiger Lebensverhältnisse bei den meisten Kranken die eigentliche und nächste Bedingung ihres Genesens ist.“ – Günsburg bezeichnet die Aufgabe der Medicin so: „Die Medicin ist bestimmt, für die Grundübel der menschlichen Gesellschaft Hülfe zu suchen; die Reform des Sanitätswesens ist ihr höchster Beruf. Die physiologische geregelte Erziehung der Jugend ist das größte Präservativ künftiger Generationen; die Regelung der Arbeit, die Hinwegräumung der angewöhnten, aber entfernbaren, krankmachenden Einflüsse in den verschiedenen Zweigen der Beschäftigung, die Läuterung der herrschenden Begriffe über die Würdigkeit und Bedeutung des menschlichen Individuums, sowie über die Verpflichtung der menschlichen Gattung für die Erhaltung und Wiederherstellung des Einzellebens werden von der wissenschaftlichen Medicin dem Gesammtstaate auferlegt. Ihr letzter Zweck ist es, die Gesetze der öffentlichen Gesundheit, die Lebensdiätetik der Staatsbürger durch Untersuchung der krankhaften Producte der jedesmal vorhandenen geselligen Verhältnisse aufzufinden und mit der Allmacht der Wahrheit zum Eigenthum der Gesammtheit zu machen.“ – Richter (mit dem Ausspruche: die Heilkunde verjüngt sich heutzutage durch Naturwissenschaft und Volksvernunft, um dereinst eine neue, höhere Stellung zu dem gesammten Staatsleben einzunehmen) spricht sich ebenfalls dahin aus, daß es die Hauptaufgabe der wissenschaftlichen Heilkunde ist, sowie überhaupt eines Jeden, dem das Wohl seiner Mitbürger am Herzen liegt, die öffentliche Gesundheitspflege auf dem Wege der Gesetzgebung und Verwaltung, sowie hauptsächlich auch durch naturwissenschaftliche Bildung des Volks und Vertreibung jedweden Aberglaubens, in ausgedehntestem Maße zu fördern.

Da nun das Post hoc, ergo propter hoc in der Welt, ganz besonders aber in der Heilkunst, so schlimmen und unverständigen Aberglauben veranlaßt hat und täglich noch veranlaßt, so sei man nicht so voreilig mit der Erklärung eines Ereignisses durch das erste beste Vorangegangene, sondern mache sich mit den Naturgesetzen bekannt, um zu wissen und nicht zu aberglauben.

Bock.




Die Prairien.
Erlebnisse eines deutschen Flüchtlings von C. B.
(Fortsetzung.)


Gewiß verdiente Conanha Häuptling zu sein. Er war ein geistig reger Mensch, der seine Umgebungen übersah. Schweigend saßen wir und aßen, Jeder seinen Gedanken überlassen, als Dick die Annäherung eines Reitertrupps meldete.

„Was soll’s nun werden, Conanha?“ fragte Dick.

„Es sind meine Krieger. Sie wissen das Feuer der Prarie unschädlich zu machen. Ich sagte es!“

„Ist Dir zu trauen?“

„Conanha vertraut dem Zerbrecher und dem Neuntödter.“ Das waren die Namen Dick’s und Ben’s. Neun Indianer hatte Ben erschossen, weil sie seinen Freund scalpirt hatten. „Ist ihnen Conanha zu jung? Er führt die Krieger für seinen Vater, das Adlerauge, der bei den Berathungsfeuern sitzen geblieben, weil ihn das Fieber ergriffen hat.“

„Ich traue Dir, Conanha,“ sagte Harry, „und bist Du treu, so will ich Dir Deinen Vater heilen.“

„Daß mein Freund ein großer Häuptling war, wußte ich, denn keine Pferde, wie Deine, selbst die Conanha’s nicht ausgenommen, schreiten über die Prairie; nur einem hohen Häuptling konnten die besten Jäger und die gefürchtetsten Krieger, die von Niemand besiegt wurden und denen die Prairie gehört, in die Prairie folgen; aber daß Du ein Medicin-Mann seist, wußte ich nicht!“ erwiderte einfach Conanha.

„Wir lernen Alles,“ entgegnete Harry. „Mein junger Freund kommt von jenseits des großen Wassers, er kann Dir aber sagen, was in unsern Gebirgen ist, er kennt, was in der Erde schläft.“ Auch ich sollte in der Meinung des ComancheKursiver Text Geltung bekommen. „Er kennt die Sprache der Völker, die nicht mehr sind, und kann Dir sagen, daß ich Deinen Vater heilen werde, sieben Tage nach Deiner Heimkehr, wenn Du treu und wahr bist. Wir fürchten Dich nicht, aber Du weißt, wir fürchten uns unnütz Blut zu vergießen.“

„Conanha ist treu und wahr! Seine Seele ist ohne Falsch!“ rief der Wilde. „Laß meine Krieger kommen!“

„Wenn Adlerauge sein Vater ist, gilt Conanha’s Wort,“ sagte Ben. „Adlerauge war der beste unter den Dieben,“ fügte Dick leise hinzu, „sonst traute ich auch diesem nicht.“

So wurde der Vertrag abgeschlossen, und uns selbst rührte die Freude, mit welcher die Krieger ihren Häuptling begrüßten. Mit wenigen Worten hatte er ihnen seine Schicksale mitgetheilt, und wir erkannten, daß wir nicht wenig galten, als er uns ihnen in seiner Weise geschildert hatte.

Dick und Ben hatten viel heimliche Zwiesprache. Dick war mit einem Pferde eines der Krieger beritten gemacht, denn ich hatte mich entschieden geweigert, von Conanha das Pferd jetzt anzunehmen, so lange er krank war, und der schlaue Wilde war um so erfreuter darüber, da er doch wohl die Einzelheiten des Kampfes seinen Kriegern verschwiegen haben mochte; und ich war froh, meinen Fuchs tummeln zu können.

Wir ritten scharf aus, ich mit den Hunden voraus, dann folgten Dick und Ben, Harry und Conanha sprachen viel mit einander, und die Krieger bildeten den Schluß. Bald stieß ein neuer Haufen zu uns, ein anderer gegen Abend, sodaß über 100 Krieger hinter uns waren. Blieb aber Conanha treu, so war keine Gefahr zu fürchten, denn wir erkannten bald, in welchem unbegrenzten Ansehen er stand.

Die Sonne neigte sich dem Untergange zu, als sich vor uns ein Thal von unbeschreiblicher Lieblichkeit öffnete.

Unser Weg hatte sich zwischen dem Nord- und Süd-Canadian (Colorado) hingezogen. Die kleinen Flüsse, welche wir bis dahin überschritten hatten, waren Zuflüsse des Nord-Canadian gewesen, und ihre Thäler hatten sich nach N. O. geöffnet. Dies Thal öffnete sich nach S. O. und war gegen den Nord-Wind durch die Höhen vor ihm geschützt. Sein Wasser ergoß sich in den Colorado

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 541. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_541.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)