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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

wurden. Wir sahen, daß Conanha schon seine Geständnisse bereute und unsere Kenntniß fürchtete. Er glaubte uns vielleicht auch in seiner Hand, umgeben von seinen Hunderten, bestimmt durch den Beirath der andern Häuptlinge.

„Wir müssen die Sache zu Ende bringen!“ sagte Harry. „Nach meiner Meinung sind dort in der Hütte christliche Frauen, die der Heide in seinen Wigwam schleppen will, wir werden das nicht dulden!“

Unsere Lage konnten wir leicht übersehen, im Kampfe mindestens Einer gegen Hundert. Ich war der Unerfahrenste; man denke nur daran, daß wenig mehr als eine Woche verstrichen war, seitdem ich sicher zu Pferde sitzen konnte. Ich sage aber nur die einfache Wahrheit, wenn ich berichte, daß ich auch keinen Augenblick Furcht hatte, obgleich ich die Gefahr vollständig übersah. Es ward dieser Muth wohl getragen von dem Bewußtsein, einer höheren Race anzugehören, ähnlich dem Muthe, den die wenigen tausend Engländer den Hunderttausenden gegenüber zeigten, als sie den Aufruhr der Sepoys niederschlugen; bei mir noch von dem edlen Zwecke. Für eine gerechte Sache eintreten, das gibt den wahren Muth. Ich überließ es meinen Gefährten, die Mittel zu berathen, wie wir unsern Zweck erreichen möchten.

„Wir haben mit den Dieben noch eine besondere Rechnung, mein Junge,“ sagte Dick zu mir, „die wollen wir erst abmachen. Vielleicht ist sie kürzer, als wir denken. Ueberdenkt, wie Ihr’s anfangt, Ben geht mit mir!“ wandte er sich zu Harry und Ben; und Beide schritten thalaufwärts hinter uns in das Gebüsch hinein.

„Was sollen wir machen?“ eröffnete ich die Berathung, in der ich nur eine Null sein konnte, denn ich hatte auch nicht einen Gedanken, keinen Plan.

„Weiß ich’s?“ sagte Harry ernst. „Hattest Du, Willy, einen Plan, als Du meine Schwester Ella aus dem Wasser zogst?“ wandte er sich rasch zu mir. „Machte nicht Alles der Augenblick?“

„Ich – Ella?“ rief ich.

„Und Du hast es wirklich nicht gewußt?“

„Nur einmal in der Prairie schoß mir der Gedanke durch den Kopf, daß die Gerettete Ella ähnlich gesehen –“

„Sie ist’s wirklich gewesen. Die Augenblicke sind zu ernst und gezählt. So höre denn. Ella war ohnmächtig, doch nicht besinnungslos. In diesem Starrkrampfe hätte sie rettungslos untergehen müssen. Sie sah Deine Bemühungen und gelobte sich, Dir ihr Leben zu opfern, wie Du das Deinige wagtest. Verkenne nicht Ella’s hochherzige, edle Natur! Sie wurde von mir selbst aus dem Wasser geholt, und ich hielt ihre Erzählung für eine Einbildung, da ich trotz aller Nachforschung nichts von Dir erfahren konnte. Du wirst Ella’s Gelübde noch höher schätzen, wenn Du erwägst, daß sie Dich für geisteskrank hielt. Du warst es in einer Art. Als Dich Ella mir zeigte –“

„Dort im Wagen?“

„Ganz recht! – mußte ich Vaterstelle bei ihr vertreten. Ich wollte Dir gern die Hälfte meines Vermögens abtreten. Bei Ella – sie war auch an den Folgen erkrankt, Du fandest sie noch leidend – war ihre Dankbarkeit fast Gemüthsleiden geworden. Brachte ich Euch Beide zusammen, bei ihrer nervösen Aufgeregtheit war Alles zu fürchten. Unsere Sitten sind andere, der Umgang zwischen den Geschlechtern ist freier – verdenke es mir nicht, wenn ich Dich erst gesund ihr gegenüberstellen wollte. Du thust es nicht, Willy? Sieh, ich bin Dein Bruder geworden!“

Harry sprach das Letztere so weich und lieb, daß ich ihm Alles verziehen hätte, und doch hatte ich ihm nur zu danken. Ich reichte ihm die Hand und sagte: „Wie sollte ich –“

„Sei Du mir Freund und Bruder!“ fiel Harry ein. „Es ist möglich, daß einer von uns hier fällt, denn die Sache ist ernst. Ella wird uns betrauern, aber nicht bedauern. Sollte ich aber bleiben, versprich mir, meine Stelle bei ihr einzunehmen! Lernt Ihr Euch lieben, meinen Segen habt Ihr, Ihr seid Euer werth. Jetzt müssen alle Bedenklichkeiten fallen, denn wir stehen am Rande des Grabes!“

Ich reichte ihm stumm die Hand. Was sollte ich erwidern? Gewiß hatte Ella einen tiefen Eindruck auf mich gemacht, aber ich hatte in der letzten Zeit nur ihr spöttisches Lächeln gesehen. Ich hatte schon als Mann in Deutschland gestritten, wenn auch mit Wort und Schrift. Aber ich hatte mich den Volkshaufen entgegengeworfen, als viele Männer vor ihrer Wuth zitterten, und sie gebändigt. Freilich war ich dafür eingefangen und für meine Meinung verurtheilt worden, die nichts mit Umsturzplänen und Verbindungen dazu zu thun hatte. Mich hatte wirklich Ella’s Spott in meinem Stolze verletzt. Ich fühlte das Kindische und sagte zu Harry: „Wir werden Beide zurückkehren, und dann wird uns das Leben mit seinen Wegen nicht auseinander reißen, das weiß ich. Ella und Du, Ihr könnt auf mich rechnen!“

„Du bist mein Bruder im eigentlichsten Sinne des Wortes!“ sagte Harry, „und nun ist es gut. Wir wollen nun berathen. – Dort in der Hütte sind Frauen, wahrscheinlich Creolen, die nach dem Süden wollten. Conanha ist bei ihnen und hat sie zum Schweigen gezwungen. Das Einfachste wäre, wir ritten auf die Hütte zu und holten sie heraus. Morgen ist es schon zu spät, und so nahe, wie jetzt, kommen wir ihnen erst nach dem blutigsten Kampfe und der heftigsten, langwierigsten Verfolgung, Ich hasse auch das Blutvergießen. Blut will wieder Blut.“

„Das ist auch meine Meinung. Doch sehe ich kein anderes Mittel, als uns auf die Pferde zu verlassen. Wissen wir aber, wie viele Frauen darin sind? Mehr als vier können wir nicht tragen. Und mit den Frauen vor uns auf den Pferden können wir nicht kämpfen, sind unsere Pferde denen der Wilden nicht überlegen.“

„So ist es leider!“ sagte Harry, „und wir opfern sie und uns gewiß. Denn haben die Wilden Blut gekostet, sind sie unersättlich.“

„Könnten wir nicht die Expedition aus dem Fort benachrichtigen?“

„Ehe wir die im Osten gefunden haben, sind diese Hunde auf dem geraden Wege schon in Sicherheit. Aber Eins können wir, wir können diesen Gedanken als Drohung benutzen! Hier siehst Du den Wilden in seiner wahren Gestalt,“ fuhr Harry fort, „hinterlistig, wortbrüchig; auf eine Leidenschaft setze ich noch meine Hoffnung – auf die Habsucht. Du hast Dich wohl zum letzten Male von einem Wilden täuschen lassen. Ich und die Andern waren nicht zu täuschen, aber wir wollten seiner Teufelei auf die Spur kommen, indem wir auf seine Feigheit bauten. Denn glaube nur, wir haben von diesen Hunderten nichts zu fürchtest, so lange die Pferde unter unsern Beinen und die Waffen in unserer Hand. Haben wir ein Gebüsch zur Deckung, so würde nur die höchste Raserei sie zum Angriff bringen, denn sie wissen, daß wir ihnen auch an physischer Kraft überlegen sind, und so gefürchtete Jäger, wie Ben und Dick, das wissen sie, können sie mit ihren Künsten nicht locken.“

„Aber warum nahm uns Conanha in sein Lager?“

„Weil er uns auf dem Wege sah. Er wollte uns durch sein Vertrauen kirren. – Wenn nur ein Versteck in der Nähe wäre, das uns zum Rückhalt diente!“

Ben und Dick traten aus dem Gebüsche. Beide trugen Packete in der Hand, die sie an die Erde warfen.

„Einen alten Jäger überlisten die Diebe doch nicht,“ sagte lachend Ben. „Sie sind richtig eingekehrt in unser Winterquartier und haben unser Vorrathshaus ausgeräumt, aber in unsere Schatzkammer sind sie nicht eingedrungen.“

„Nun, was habt Ihr denn da, Ben?“ fragte ich neugierig.

„Wollen’s lieber mitnehmen, das nächste Mal würden sie besser nachsehen und möchten’s finden. ’s ist besser aufgehoben unter Christenmenschen. Was es ist? Das Schießgeld, kein gesuchtes Gold, sondern sauer verdient in langen Jahren. Dick und ich haben’s nie verbraucht.“

Es konnte ein hübsches Sümmchen in dem langgestrecktem Beutel stecken. Unmöglich konnte aber Dick’s Packet lauter Gold enthalten. Auf meinen fragenden Blick antwortete er ernst: „’s ist eine Arbeit von zwanzig Wintern, die ich hier in diesem Thale verlebte, erst allein, dann mit Ben. Ueber dreißig Jahre meines Lebens sind hier aufgezeichnet.“

Er breitete vor uns eine Büffelhaut aus. Alle seine Jagdzüge durch die Prairien, von Nord nach Süd, von Ost nach West waren darauf verzeichnet. Was ihr aber unschätzbaren Werth gab, das waren die Flußnetze, die Erhebungen, welche er als stetige Marken seiner Wege sauber angeführt hatte. Es war eine Arbeit, die zwanzig Jahre erfordert hätte, bei allen Hülfsmitteln; dieser Mann hatte sie in zwanzig Wintern geleistet mit den unscheinbarsten Werkzeugen, unterstützt von einer ausgebildeten Beobachtungsgabe. Mit mathematischer Genauigkeit hatte sein Auge die Höhen gemessen, die Entfernungen berechnet. Wir fanden das später, ahnten es aber schon, als wir unsern Weg auf der Karte verfolgten.

Der Entwurf war einfach. Die Oberfläche der Büffelhaut

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 543. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_543.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)