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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

gesammelt! Da kam nichts darauf an, welchem Stand die Goldwäscher früher angehört hatten, welchem sie vielleicht später einmal wieder angehören würden. Da kümmerte sich Niemand um den Grad von Bildung, den der Nachbar oder Arbeitsgefährte besaß und der sonst in jedem wilden Lande im gewöhnlichen Ansiedlerleben immer eine gewisse Grenze zieht, so daß nur die recht eng zusammenhalten, die sich auch an Bildung näher stehn. Hier galt nur die Kraft und Arbeitsfähigkeit des Einzelnen, und Handwerker und Edelleute, Künstler und frühere Tagelöhner, Kaufleute und Gelehrte, Alles mischte sich bunt und ungescheut durcheinander. Wenn man nur den Namen dessen wußte, mit dem man zu verkehren hatte, das Andere war Nebensache und kümmerte Niemanden.

Fünf Zelte standen also hier oben an Devil’s creek, nur von deutschen Compagnien zu dreien und vieren, das größte sogar von sechs Arbeitern bewohnt, und in den letzten Tagen war noch ein neuer Landsmann hinzugekommen, der sich aber die kurze Zeit seines Aufenthalts von den Uebrigen ziemlich zurückgehalten hatte und wenig mit ihnen verkehrte. Sein Name war Schütz, und seinem ganzen Wesen und Benehmen nach hatte er in Deutschland bessere Zeiten gesehen, als sie ihm hier Spitzhacke und Schaufel bringen konnten. Nichts destoweniger arbeitete er tüchtig, wenn auch immer allein, und war freundlich und gefällig gegen seine Nachbarn, wo sich ihm irgend Gelegenheit dazu bot, ohne sich aber je ihren fröhlichen und oft sehr lauten Abendgesellschaften anzuschließen. Er saß dann still und allein vor seinem Zelt bei einem flackernden Feuer, und las entweder oder starrte auch nur, vor sich hinträumend, in die Flamme.

Im Anfang versuchten die anderen Deutschen, die das für Schüchternheit hielten, ihn davon abzuziehn, und forderten ihn auf, zu ihnen herunterzukommen. Aber er wich ihren Einladungen freundlich. doch bestimmt aus, und man ließ ihn zuletzt seinen eigenen Weg unbelästigt verfolgen. Hatte doch Jeder hier in den Minen das Recht, zu thun, was ihn eben freute!

Daß sich die Uebrigen indessen nicht durch den mürrischen „Einsiedler“, wie er bald allgemein hieß, in ihrer Geselligkeit stören ließen, verstand sich wohl von selbst, und Abend nach Abend versammelte die Schaar um die lodernden Feuer, theils mit Kartenspiel und Trinken, theils mit vaterländischen Gesängen die lange Nacht zu kürzen – und diese Gesellschaft müssen wir uns doch ein wenig näher betrachten.

In dem einen Zelte lagerten drei junge Deutsche zusammen: ein Zinngießer Bollenheck, ein junger Edelmann, Baron Köllern, und ein heruntergekommener Kaufmann oder Reisender Namens Steinert. In dem Nachbarzelt schliefen ein junger Arzt, Dr. Meier, ein früherer Bedienter oder Lakai einer Herrschaft, denn er wußte immer viel von großen Diners zu erzählen, Namens Pauig, und ein Apotheker Rostiz.

Außer diesen waren noch ein paar Maurer aus Hannover, ein Schiffskoch Reutler, ein Bäcker, ein Schmiedegesell, ein Schreiber, ein polnischer Schneider und verschiedene andere Individuen, die keinem bestimmten Stand anzugehören schienen – oder auch zu bescheiden waren, ihn zu nennen. – Kurz, es blieb eine bunte, gemischte Gesellschaft, die sich hier in den schönen Bergen zusammengefunden hatte, nur mit dem einen festen Ziele vor sich: Gold!

So abgesondert die Leute aber auch den Tag über ihren eigenen Interessen nachgingen und ihre Minenrechte wahrten und achteten: Keiner dem Anderen in den einmal beanspruchten „claim“ zu kommen, so schwand doch Abends jeder Unterschied, und gewöhnlich um ein großes Feuer gelagert, plauderten sie nicht etwa von ihren Erfolgen den Tag über, denn die hielt Jeder geheim, sondern von zu Haus, von ihren Reisen, von ihren Erfahrungen in Californien und von den Leuten, die sie unterwegs getroffen und denen sie vielleicht hie oder da in den verschiedenen Minen wieder zufällig begegnet waren.

Hier führte besonders Steinert das Wort, der mit einer Karawane über die Felsengebirge aus den Vereinigten Staaten herüber gekommen war, und auf der Reise die wunderbarsten Abenteuer und Kämpfe mit umherstreifenden Indianerhorden erlebt haben wollte.

Etwa zweihundert Schritt von ihnen entfernt, auf einem kleinen flachen Hügel, der den Lagerplatz überschaute, brannte ein einzelnes Feuer, an dem jener einsame schwermüthige Deutsche ausgestreckt lag und dumpf vor sich hinbrütend in die Flamme schaute.

Dr. Meier hatte schon ein paar Mal den Kopf dahin gewandt, endlich frug er leise seinen Nachbar, den Herrn von Köllern, der auf einem herzugerollten Holzklotz kauerte und gerade in einem Blechmaß Wasser auf die Kohlen schob, sich einen Grog zu machen:

„Sagen Sie einmal, Köllern, Sie haben ja neulich eine lange Unterredung mit dem Einsiedler da drüben gehabt. Was ist denn das für eine Art von Homo?“

„Gott weiß es,“ erwiderte der Gefragte; „ich werde nicht aus ihm klug. Er muß sich in Deutschland in der besten Gesellschaft bewegt haben; jedenfalls hat er studirt, und seine Bemerkungen zeigen einen klaren, hellen Verstand, aber es liegt etwas auf ihm, das er nicht abschütteln kann oder will.“

„Meine Herren,“ mischte sich hier Steinert, der an Köllern’s anderer Seite saß, in das Gespräch, „die Sache liegt tiefer. Lieber Köllern, Sie kennen die Menschen noch nicht so wie ich, Sie haben natürlich die Erfahrung nicht;

Doch Jener dort, den Ihr für fromm gehalten,
Von dem sein Grab so rühmlich spricht,
Der war gewiß ein Bösewicht.“

„Sein Grab?“ sagte der Zinngießer, der jetzt auch aufmerksam geworden war, „wer ist denn gestorben?“

Steinert schüttelte unwillig den Kopf. Dr. Meier aber sagte: „Sie glauben, daß dem Mann irgend ein Verbrechen auf der Seele liegt?“

„Ich bin davon überzeugt,“ erwiderte Steinert, der in seinem zerrissenen und überaus schmutzigen Minenanzug selber weit eher einem Strauchdieb als einem ehrlichen Menschen glich.

„Und wissen Sie etwas Genaueres über ihn?“ frug Rostiz, der sich ebenfalls für den Fremden interessirte.

„Genaueres? hm,“ sagte Steinert, sich den struppigen Bart streichend, „dem Patron braucht man eben nur in’s Gesicht zu sehen. Das, was den peinigt, sind Gewissensbisse, und ich möchte nicht zu tragen haben, was er trägt – Donnerwetter, Köllern, der Grog riecht vortrefflich“ – und damit nahm er ohne weitere Umstände das Blech vom Feuer, roch daran und that einen kräftigen Zug, der es fast bis zur Hälfte leerte.

„Bah,“ sagte Köllern, „wie ein Verbrecher – bitte Steinert, lassen Sie mir auch noch etwas in dem Becher, denn so weit ich mich entsinne, hatte ich ihn für mich selber an’s Feuer gesetzt – wie ein Verbrecher sieht der Mann nicht aus.“

„In’s Herz kann man Niemandem sehen,“ sagte Steinert, sich den Mund wischend – „ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, ich habe mit einem Manne meine erste Seereise gemacht – wir waren Cojennachbarn und ganz vertraute Freunde – auf den ich den größten Eid abgelegt hätte, daß er ein Ehrenmann sei – und doch war es, wie sich später herausgestellt hat, nur ein ganz gemeiner Spitzbube.“

„Sie scheinen bittere Erfahrungen gemacht zu haben, Herr Steinert,“ sagte Dr. Meier, der den Burschen nicht leiden konnte.

Hab’ ich auch, Herr Doctor, hab’ ich auch,“ erwiderte seufzend der Reisende, „aber der Schmerz, den wir dabei empfinden, erhöht auch wieder das Vergnügen:

Bei Gütern, die wir stets genießen,
Wird das Vergnügen endlich matt,
Und würden sie uns nicht entrissen,
Wo fänd ein neu Vergnügen statt?“

„Na, nu laß einmal Deine langweiligen Verse, Steinert,“ sagte aber Pauig, der an einem schönen Abend, als Beide von Grog selig gewesen, mit Herrn Steinert Brüderschaft getrunken hatte. „Komm, laß uns eins singen; daß ist heute der rechte Abend dazu.

Du – Du liegst mir im Herzen,
Du – Du liegst mir im Sinn –
Du – Du machst mir viel Schmerzen,
Weißt nicht, wie gut ich Dir bin.“

„Du – Du!“ fiel der Chor von fünf oder sechs der Uebrigen dröhnend ein, und einmal im Gang, löste bald ein Lied das andere ab, so daß von den Nachbarzelten weiter unten am Hang bald einige Amerikaner und Irländer heraufkamen, die Deutschen singen zu hören.

Von Köllern hatte langsam seinen ihm noch von Steinert übrig gelassenen Grog ausgetrunken und war dann aufgestanden, weiter ab vom Feuer unter einer Eiche hingeworfen, den Mond aufgehen zu sehen, der eben in voller glühender Scheibe hinter den mächtigen Waldesstämmen auftauchte, und sein magisches Licht über die Scene goß. Meier folgte ihm nach einiger Zeit, setzte sich zu ihm nieder,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 566. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_566.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)