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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

dahin. Haben aber die einen vollen, vierstimmigen Gesang begonnen, so mischt sich leicht aus der andern Ecke ein brüllender Gassenhauer drein, ein wilder Chor kreischt und krächzt ihn mit, schlägt mit den steinernen Krügen den Tact dazu, und endet seine Lust mit einem allseitigen, schallenden Gelächter und Gejohle. – Streit und Zank kommen hier selten vor: wer den Landfrieden stört, wird schnell vor die Thüre gebracht, von wo er gewöhnlich, nach genossener Abkühlung, still und beruhigt wiederkehrt, als ob nichts vorgefallen wäre; – die Gensd’armen, wie zahlreich sie um ihrer selbst willen auch gegenwärtig sind, kennen diese Lynchjustiz und würden sich erst in ihren Mißbrauch einmischen.

Doch die Zeit eilt – Mitternacht rückt heran, und mit dem Hammer, der 12 Uhr schlägt, schlägt auch der Zapfer das Faß zu. So drängen wir uns, denn dem guten Saft müssen wir nun doch volle Gerechtigkeit widerfahren lassen, also ebenfalls und noch einmal bei der Schenke mit hinzu, um von dem letzten „Banzen“, dem’s heute noch an den vollen Bauch geht, unser Theil mit hinwegzukriegen. Da stürzt, wenn er das Klopfen am Spundloch hört, mancher wackere Recke noch einmal herbei, als habe er heute nicht schon zehn, ja zwölf und vierzehn Mal sich füllen lassen; da rechnet der Wirth mit seinem Bleistift in der Hand die Summe des heute verbrauchten Quantums zusammen und ist zufrieden, daß die Durchschnittszahl von neunzig Eimern (5400 Maßen) überschritten ist; da drücken auch wir seelenvergnügt und urgemüthlich uns wieder in die Ecke, der vor Mitternacht gefüllte Krug gibt uns das Recht, sitzen zu bleiben und gemüthlich das Ende der Dinge noch zu beobachten. Allmählich wird es leerer, Gestalt um Gestalt wankt hinaus, Licht um Licht verlöscht, ein paar dienstbare Geister erscheinen, die Fenster zu öffnen, die stehen gebliebenen Krüge zu sammeln und sie bis morgen – statt aller andern Reinigung – in den Trog des Brunnens zu legen. Ein paar Uebermüthige sind eingeschlafen, die Nachbarn hatten theilnahmlos sie verlassen, der Wirth macht noch die Runde, ermahnt sie zur Heimkehr und sagt auch uns im Vorübergehen bedeutungsvoll „Gute Nacht!“

Und mit diesem „Gute Nacht“ gehen auch wir und legen uns mit dem süßen Bewußtsein nieder, morgen frisch und wohl zu erwachen, denn wir haben hier kein „krankes Bier“, wie in Norddeutschland getrunken.




Türkische Eisenbahnen.

Locomotiven und Türken, das klingt wie rothe Republik und Polizeipräsident, wie Biene und Faulthier. Und doch ist der Türke schon auf dem Wege, seine krummen Beine seufzend in das Coupé zu schleppen und mit Verzweiflung die Erfahrung zu machen, daß man sich darin nur auf das Gesäß und nicht auf die Beine setzen kann, oder dieser Wirtschaft stumm den Rücken zu kehren, auf den Tod zu warten und Tabak dazu zu rauchen.

In der Türkei werden wirklich schon Eisenbahnen gebaut, andere sind projectirt und werden in Angriff genommen. Die erste fertige Bahn auf dem Terrain des Korans ist die zwischen Suez und Alexandria, ein Stück Weg zwischen Indien und England und Europa überhaupt. Um diesen Weg noch bedeutend zu kürzen, beabsichtigt man, zwischen Antiochien, Bagdad und Bassorah die sogenannte „Euphrat-Thal-Eisenbahn“ zu ziehen. Die für diesen Zweck gebildete Compagnie hat sich für die Richtung von der Mündung des Orontes über Aleppo nach dem Taber-Schlosse am Euphrat entschieden. Aleppo mit seinen 70,000 Einwohnern treibt bedeutenden Handel mit eigenen Export- und europäischen Import-Artikeln auf Eseln und Kameelen, welche durch schnellere, unermüdliche Dampfpferdekräfte ersetzt und auf das Zehn- bis Fünfzigfache vermehrt werden sollen.

Kleine Dampfer werden zwischen der Mündung der Bahn und Bassorah am Kopfe des persischen Meerbusens die große projectirte Eisenbahn zwischen dem persischen Meerbusen und dem mittelländischen Meere (= 1200 engl. Meilen) auf dieser Stelle ergänzen, bis sie vollendet sein wird.

Dies wird noch lange dauern; aber schon die Erreichung des alten Culturflusses Euphrat ist von der größten Wichtigkeit für die modernen Verhältnisse und Bedürfnisse der Menschheit, die keine faulen Flecke auf der runden Erde mehr dulden soll und will. Der Euphrat öffnet die große ungeheure Ebene Mesopotamiens bis Bagdad und Bassorah, einst die Mitte des üppig blühenden babylonischen Reichs. Bagdad ist schon jetzt eine bedeutende Handelsstadt für den westlichen Theil Persiens. Die ganze Bahn wird Bombay und Malta auf eine Reise von 14 Tagen nähern. Der Weg über’s rothe Meer kostet 20 Tage bis einen Monat.

Zunächst kommt es der Compagnie auf Vollendung der Strecke von Suédiah, dem Thore Kleinasiens, in’s Innere an. Suédiah liegt an der Antiochien-Bucht an der Mündung eines großen Flusses, der in fruchtbare Getreide-, Seide-, Früchte- und Viehheerden-Thäler führt. Diese Thäler sind durch hohe Waldgebirge gegen trockene Winde geschützt. In letzteren schlummern reiche Kohlen-, Kupfer- und Eisenadern. Das Klima ist weich und warm. Schöne, fließende Berggewässer liefern Frische, Fruchtbarkeit, Kühlung und Schönheit. Die alten Römer machten diese Gegenden, so lange sie Syrien besaßen, zur Perle Kleinasiens und Antiochien zu ihrer Hauptstadt. An der Küste entlang kommen wir nach Smyrna, dem großen Hafen dieser Abtheilung des türkischen Reichs für das mittelländische Meer. Früher war Smyrna der Endpunkt der Karawanenzüge aus dem Innern zum Austausch herrlicher Früchte etc. mit europäischen Fabrikaten. Aber durch Eröffnung einer neuen Handelsstraße über Trebisond und Erzerum verfiel Smyrna. Nur Feigen, Getreide und Farbestoffe hielten es aufrecht. Ein innerer Knotenpunkt des kleinasiatischen Handels ist Aidin. Dieser wird durch eine Eisenbahn mit Smyrna verbunden, sodaß die englischen, französischen, italienischen und deutschen Kaufleute von da aus fleißiger und flüssiger mit Marseille, Genua, Livorno, Triest etc. werden verkehren können.

Im Norden Kleinasiens finden wir Samsun, das ein Knotenpunkt der großen europäisch-indischen Straße über die begonnene Moldau-galizische Eisenbahn und über Diarbekir und Bagdad werden wird. Die türkische Regierung hat eine englische Compagnie zur Erbauung einer Eisenbahn zwischen Samsun, Tokat und Siwas bevollmächtigt. Siwas ist nicht weit von Diarbekir, der ersten wichtigen Stadt im lachenden Tigris-Thale, das sich als fruchtbare Ebene bis Mosul und Bagdad erstreckt und einer Eisenbahn gar keine besonderen Schwierigkeiten entgegensetzt. Die ungeheure Ebene ist üppig fruchtbar mit manchen Städten und Dörfern besäet, die für die Ueberfülle ihres Bodens nur Käufer bedürfen, um fleißig, civilisirt und reich zu werden. Die Eisenbahn wird ihnen Abnehmer auf Hunderte von Meilen verschaffen. Der bisherige Transport auf Thier-Rücken ist langsam, kostspielig und deshalb unfähig, dort Cultur zu begünstigen und zu verwerthen. Alles schläft und faulenzt daher in jenen Thälern alter Cultur. Die Eisenbahn wird ihnen wieder Kraft, Frische und Leben schaffen.

Tokat hat unerschöpfliche Kupferminen. Siwas ist der Mittelpunkt eines an levantischen Produkten reichen Districts. Die große Eisenstraße von Calais bis Galatz, vollendet über Deutschland hinweg und in einem Theile Galiziens, wird dahin und bis Indien führen. Es fehlt nur noch der Theil Eisenbahn durch die Moldau, um einen großen Dampfweg von England bis Siwas herzustellen. Die Pforte hat für die betreffende Eisenbahn 7 Procent garantirt und sich verpflichtet, ein Drittel der Actien zu realisiren, so daß das Unternehmen als gesichert und profitabel betrachtet werden kann. Die Pforte hat sich durch diese und andere Eisenlinien das Thor zu einer neuen, wenn such vielleicht unmuselmännischen Zukunft eröffnet. Die Türkei ist der freihändlerischste Staat in der Welt und quält und brandschatzt die Handels- und Culturartikel fleißiger Menschen von allen Zöllnern am wenigsten. Wird erst wirklich producirt und gehandelt in der Türkei, so kommt der Segen des freien Verkehrs auch zu seiner segensreichen Geltung. Leider steht nur zu befürchten, daß sich höhere, westliche Civilisation an Grenzen und Häfen festsetzen und sich Steuern erbitten wird.

Das sind Eisenbahnen für die asiatische Türkei. In der europäischen finden wir auch eine Menge theils projectirte, theils bereits begonnene Bahnen. Die wichtigste ist hier zunächst die von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 578. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_578.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)