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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

nebenbei angewandt worden war. Eigentlich sollte doch wohl jeder unbefangene Mensch, der nur den Willen hat, seinen Verstand zu gebrauchen, einsehen können, daß hundert der verschiedensten Krankheiten durch ein Mittel zu beseitigen, eine absolute Unmöglichkeit ist, da in der Natur das Wechselverhältniß zwischen Ursache und Wirkung doch einmal in allen Fällen ein bestimmt gegebenes ist. Etwas verständiger würde es schon sein, wenn sich Einer sagte: „Ich will keins dieser sogenannten Universalmittel verachten, sondern jedesmal, wenn ich krank bin, mir dasjenige aussuchen, welches mir am zweckmäßigsten zu sein scheint, und mir aus jedem dieser Universalmittel ein Specialmittel machen.“ Darin läge schon Logik, und wenn er nun so logisch fortführe, und zu obigen sieben Mitteln noch 93 andere sich dienstbar machen könnte, und dann in jedem Erkrankungsfalle das richtige auszuwählen und anzuwenden verstände, siehe! – dann wäre schon ein ganz leidlicher Prakticus fertig. Welcher Arzt möchte wohl das doppelt-kohlensaure Natron in seinem Arzneischatz entbehren? – Aber Bullrich kann er darum doch nicht werden. Welcher Arzt möchte sich in seiner Praxis wohl ohne Aloe und Jalappe behelfen? – Wollte er aber mit diesen, den wirksamen Bestandtheilen in den Morison’schen Pillen, alle Krankheiten durch die Bank behandeln, man würde ihn bald als Giftmischer zum Thore hinaus bringen. Aepfelwein (bitte aber den Zucker nicht zu vergessen!) trinkt auch wohl der Arzt einmal im Sommer, – aber Petsch!? – O nein! – Daß Wicken-, Linsen- und Gerstenmehl recht nahrhaft sind, weiß jeder Bauer, – aber Revalenta arabica?! (Der pseudonyme Erfinder Barry du Barry hat sich wenigstens nicht den Magen dran verdorben, – er ist reich geworden!) – Das kalte Wasser – alle Achtung! Welcher praktische Arzt hätte wohl den greisen Prießnitz mit seinen nassen Einwickelungen, Abreibungen u. s. w. nicht in gutem Andenken und stets im Gedächtniß? Welcher Arzt würde wohl das kalte Wasser in seinem Arzneischatz entbehren wollen? Keiner! – Aber die sogenannte Hydropathie ist ein eben solches „Universalmittel“, wie die andern alle; als Universalmittel hat das kalte Wasser keinen höheren Werth als – „Franzbranntwein und Salz“. Ja, das kalte Wasser unter der Hand eines Unverständigen richtet oft großes Unheil an und schadet oft rascher, als die langsam tödtenden Gifte Wundram’s, Morison’s u. s. w. u. s. w. Eine Lungenentzündung z. B., die durch einen rechtzeitigen Aderlaß vielleicht beseitigt worden wäre, wird von ungeschickter Hand „hydropathisch behandelt“, – der Kranke stirbt am zweiten oder dritten Tage am – „Lungenschlag“, ja wohl! und zwar in diesem Falle wahrscheinlich weil – nicht obgleich – (siehe oben).

Es ist eine bemerkenswerthe Erscheinung, daß die wundergläubigen Anhänger eines Universalmittels nach der Bekehrung von ihrem Aberglauben meist in den größten Haß gegen den früheren Gegenstand ihrer Verehrung verfallen. So habe ich Jemanden gekannt, der Jahre lang für Wundram’s Kräuterpulver geschwärmt hatte, da machte er eines unglücklichen Tages die Entdeckung, daß er mit den schönen, reinen Kräutern doch auch eine ganze Menge Glaubersalz mit verschluckt hatte, und – armer Wundram, Du warst verdammt! So wird dann das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, und keine Messerspitze voll einer Laxanz, möge sie einen Namen haben, welchen sie wolle, darf jemals wieder die Eingeweide dieses Schwergetäuschten verunreinigen. So geht es natürlich auch oft genug der Wassercur. Ich hörte einen Mann schwören, daß ihm kein nasser Lappen jemals wieder an seinen Leib kommen sollte, nachdem ihn die Schmiercur gerettet hatte.

Die Wissenschaft des Hippokrates sieht diesem Jahrmarktstreiben der Welt ruhig zu, leuchtet mit der Diogeneslaterne schweigend umher, prüfet Alles und behält – leider wenig.




Bilder aus dem Seeleben.
2. Das Schiffsgespenst.

Obwohl ich von Geburt ein Deutscher bin, und daher weder einen Lord der Admiralität, noch irgend ein sehr verehrliches Parlamentsmitglied meinen Gönner und Protector nennen kann, war es mir doch gelungen, mich im englischen Seedienst vom anspruchslosen Midshipman zum ersten Lieutenant auf Ihrer Majestät Fregatte „Minerva“ emporzuarbeiten. Ich hatte bisher immer Glück gehabt; der erste ernstliche Unfall traf mich, als die Minerva vor Boston ankerte – ich erkrankte heftig, so heftig, daß der Schiffsarzt erklärte, ich wäre so gut wie todt, wenn ich auf der Minerva bliebe, die am nächsten Tage nach Portsmouth unter Segel gehen sollte. Das Schiff konnte meine Genesung natürlich nicht abwarten, und da ich dem Capitän niemals Gelegenheit gegeben hatte, meinen Tod zu wünschen, so ließ er mich bereitwillig an’s Land setzen, drückte mir seinen Wunsch aus, mich bald und gesund in Portsmouth auf meinem Posten zu sehen, und überließ mich meinem Schicksale. Tags darauf lichtete die Minerva die Anker.

Nach etwa drei Wochen war ich wieder hergestellt und hätte mich gern ohne allen Verzug nach England eingeschifft. Es traf sich glücklich, daß ein Kauffahrercapitän mit Namen Bentham, dessen Bekanntschaft ich zufällig gemacht hatte, sein Schiff eben für Portsmouth segelfertig machte. Ich begab mich zu ihm und ersuchte ihn, mich als einfachen Passagier die Fahrt mitmachen zu lassen.

„Geht nicht, Sir,“ erwiderte er, „durchaus nicht.“

„Warum?“

„Von wegen dem Rheder. Ich darf Niemanden mitnehmen, der nicht zum Dienst gehört.“

„So nehmt mich meinetwegen als Lieutenant mit.“

„Das ginge an, Sir“, sagte Mr. Bentham schmunzelnd, „Ihr brauchtet Euch darum nicht anzustrengen.“

„Wir sind also einig?“

„Hm – was hab ich davon, wenn ich meinen Rheder betrüge?“

Ich gab ihm zu verstehen, daß der Sold, der seinem Lieutenant gebühre, dann in seine Tasche fließen würde, fügte ein kleines Präsent in Gestalt meiner silbernen Uhr hinzu, die ihm in die Augen stach, wofür er mir großmüthig genug ein altes Fernrohr aufdrang, von dem er sich einbildete, daß es mir gefiele, und schloß mit dem Versprechen, mich morgen bei Zeiten auf der „Patience“ einzustellen.

„Gut denn“, sagte Mr. Bentham, indem er nach Yankee-Manier sich das Kinn frottirte. „Ich hab’ zwar schon einen Lieutenant, ich nehm’ Euch als zweiten in’s Register, wenn’s Euch recht ist. Mein Rheder ist ’n verd– Filz; ’s ist nicht mehr als billig, wenn ich ihn auch ein wenig schnüre.“ –

Als ich am nächsten Tage an Bord der Patience kam, war eben ein neuer Matrose der Mannschaft eingereiht worden. Er lehnte an einer Kanone und sah theilnahmlos den kurzen Ceremonien zu, die meine Ankunft begrüßten. In seinen Zügen drückte sich eine Verzweiflung aus, die mir Interesse einflößte. Ich näherte mich ihm und fragte ihn, warum er so finster drein sehe. Anfangs wollte er mit der Sprache nicht heraus; aber nach einigem Zureden wurde er mittheilsamer. Ich fragte ihn, was er getrieben habe, bevor er auf das Schiff gekommen sei.

„Das kann Ihnen all’ Eins sein, Sir“, entgegnete er. „Wenn Sie aber gerade wissen wollen, warum ich hier bin – ich hatt’ in Boston ein Mädel, Sir – o, Sir! Ein Kernmädel, sag’ ich Ihnen. Ich hab’ sie lieber wie mich selbst, meiner Seel’. – –“

„Nun?“

„Nun, Sir! Vorgestern traf ich einen von meinen Cameraden bei ihr, mit dem ich ohnedies im Unfrieden lebte; ich machte nicht viele Umstände und hieß ihn sich zum Teufel scheeren; er schlug mich in’s Gesicht, und da hieb ich ihm meinen Knittel über den Kopf, daß er hinfiel, wie todt. Ich hatt’ nun nichts Eiligeres zu thun, als auf die Gasse zu laufen und mich von ’n Paar Matrosen anwerben zu lassen; denn besser auf’m Schiff, als auf’m Galgen, dacht’ ich. Vierundzwanzig Stunden hielten sie mich in einer Kneipe versteckt, und als sie mir ’nen falschen Bart ’naufklebten und mich auf das Schiff schmuggeln wollten, da begegnete mir – was glauben Sie, Sir, wer mir begegnete?“

„Euer todter Camerad?“

„Jemmy Consly, wie er leibte und lebte! ’N bischen angegriffen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 588. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_588.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)