Seite:Die Gartenlaube (1859) 604.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Ministerii, vorzüglich des Herrn von Stein. Man wird den König von Preußen beklagen, eben so ungeschickte, als verkehrte Minister zu haben.“ Ein Berliner Schandblatt, „der Telegraph“, im französischen Solde, druckte den unglücklichen Brief mit den Anmerkungen des Moniteurs sogleich nach, Stein’s Gegner und zahlreiche Feinde, welche seinen Einfluß beneideten, seine Reformen verabscheuten, benutzten die willkommene Gelegenheit, ihn zu stürzen, indem sie den König bedrängten, dem Zorne Napoleon’s dies Opfer zu bringen. Er selbst bat wiederholt um seine Entlassung, die jedoch erst nach der Rückkehr des für ihn nach Erfurt gesendeten Grafen Golz erfolgte, der neue, erniedrigende Bedingungen für Preußen mitbrachte und zur schleunigen Entlassung des Ministers rathen mußte. Wie wenig Stein an sich selber dachte, beweist die Antwort, welche er dem Grafen Golz entrüstet gab, als dieser die Befürchtung aussprach, daß Napoleon die in Nassau gelegenen Güter Stein’s einziehen würde: „Glauben Sie, daß an dem Quark etwas gelegen ist, wo es auf das Vaterland ankommt?“

Erst als dem König kein anderer Ausweg übrig blieb, willigte er in Stein’s Verabschiedung durch das Cabinetsschreiben vom November 1808, worin es heißt: „Mein lieber Staatsminister Freiherr von Stein! Da die Nachsuchung Eurer Dienstentlassung zur Nothwendigkeit geworden ist, so ertheile ich Euch solche in Rücksicht auf letztere. Je größer das Vertrauen war, womit ich Euch die obere Leitung meiner gesammten Staatsverwaltung übertrug, und je dankbarer ich Euren Bemühungen, demselben zu entsprechen, Gerechtigkeit widerfahren lasse, desto lebhafter bedaure ich den Verlust eines so eifrigen, treuen und ausgezeichneten Ministers.“

Stein’s Entlassung war ein Donnerschlag für alle Guten, denen der Professor Süvern in einem schwungvollen Gedichte seine Stimme lieh, ein Triumph allen feigen und gemeinen Seelen, welche den edlen, hochherzigen, deutschen Mann haßten und vor Napoleon im Staube krochen. Es war indeß dafür gesorgt, daß die Gemeinheit nicht vollständig siegte und die ausgestreute Saat nicht mehr zu Grunde gehen konnte. Die letzten Augenblicke, welche ihm noch vergönnt waren, verwendete Stein dazu, sein begonnenes Werk zu sichern, den König in der einmal eingeschlagenen Bahn zu befestigen, die Grundsätze einer besseren Verwaltung den Behörden einzuimpfen und würdigen Händen die ihm entwundene Lenkung des Staates anzuvertrauen. Unter dem Namen „Stein’s politisches Testament“ bekannt, veröffentlichte der ihm nahestehende damalige Geheimrath von Schön in einem Sendschreiben an die oberste Verwaltungsbehörde Preußens einen Rechenschaftsbericht über Alles, was Stein gethan und noch thun wollte, wenn ihm dazu Zeit gelassen worden wäre. Jedes Wort dieses Testamentes legte das herrlichste Zeugniß für die Redlichkeit, Wahrheit, Vaterlandsliebe und freisinnige Richtung des großen Staatsmannes ab, dessen Grundsätze, je nachdem sie befolgt oder verworfen werden, Preußens Wohl oder Wehe noch heute in sich schließen.

Krank am Leibe, aber kräftig an Geist verließ Stein Königsberg, um sich vorläufig nach Breslau zu begeben. In Berlin fand er folgenden kaiserlichen Befehl vor, den Napoleon aus dem Lager von Madrid erlassen hatte: „Der Namens Stein, welcher Unruhen in Deutschland zu erregen sucht, ist zum Feinde Frankreichs und des Rheinbundes erklärt. Die Güter, welche besagter Stein, sei es in Frankreich, sei es in den Ländern des Rheinbundes besitzen möchte, werden mit Beschlag belegt. Der besagte Stein wird überall, wo er durch unsere oder unserer Verbündeten Truppen erreicht werden kann, persönlich zur Haft gebracht.“

Stein war geächtet und sein Leben schwebte in Gefahr. Er mußte fliehn; noch in derselben Nacht verließ er heimlich Berlin, um die österreichische Grenze zu erreichen. Glücklich langte er bei der ihm befreundeten Familie des Grafen Reden zu Buchwalde im schlesischen Riesengebirge an. Während der nächtlichen Reise beschäftigte er sich mit einer Neujahrspredigt von Schleiermacher „über das, was der Mensch zu fürchten habe, und was nicht zu fürchten sei,“ die er kurz vorher mit den Seinigen gelesen. Seine Blicke hingen an dem winterlichen Himmel, der bald bewölkt, bald von Sternen erleuchtet war; am Wege grüßten ihn die ewigen Berge unter der weißen Schneedecke des Frühlings harrend; sein ungebeugter Geist war mit Hoffnung, seine starke Seele mit erhabenen Gedanken erfüllt.

Nur kurze Zeit durfte er bei den überraschten Gastfreunden verweilen, da in dem benachbarten Hirschberg französische Truppen lagen. Er wartete nur so lange, bis der ihm von Frau von Stein nachgeschickte Paß für Oesterreich anlangte, um sogleich in Gesellschaft eines alten Freundes, des Grafen Geßler, der ihn in Buchwalde aufsuchte, um sein Schicksal zu theilen, die gefährliche Reise über das Gebirge nach Böhmen und zunächst nach Prag fortzusetzen. Hier verweilte er nur kurze Zeit, da die österreichische Regierung, die ihm großmüthig Schutz gewährte, ihm aus verschiedenen Gründen nach Brünn überzusiedeln anrieth. Dorthin kam auch seine Gattin mit den Töchtern, die eines solchen Mannes vollkommen würdig im Unglück ihren Seelenadel erprobte.

Die über Stein verhängte Acht wurde von deutschen Fürsten, wenn auch nicht an seiner Person, doch wenigstens an seinem Eigenthum vollzogen, indem sich der Herzog von Nassau und der König von Sachsen dazu hergaben, die ihm gehörigen und in ihrem Gebiete liegenden Güter mit Beschlag zu belegen. Die unedle Rache Napoleon’s ging so weit, daß er die preußische Regierung zwang, gegen Stein einen Verhaftsbefehl zu erlassen, wozu diese sich freilich erst dann herbeiließ, als sie den Verfolgten bereits in Sicherheit wußte. In Brünn beschäftigte sich Stein mit der Lage Oesterreichs, indem er vorzugsweise auf die Hauptschäden der dortigen Verwaltung, auf das Unterrichts- und Finanzwesen die Aufmerksamkeit lenkte und zweckmäßige Vorschläge that, die leider nicht befolgt wurden. Beim Wiederausbruche des Krieges setzte er sich mit den österreichischen Ministern und dem volksthümlichen Erzherzog Karl in Verbindung, denen er seine Pläne zu einer Volksbewaffnung mittheilte. Eine allgemeine Insurrection des nördlichen Deutschlands wurde von ihm vorgeschlagen, ohne jedoch zur Ausführung zu kommen. „Nur vom Bauernstand und Mittelstand,“ schrieb er damals an einen Freund, „kann man in Deutschland etwas erwarten. Der reiche Adel will sein Eigenthum genießen, der arme will Stellen und Auskommen, die öffentlichen Beamten beseelt ein Miethlingsgeist. Bringt man diese Classen nicht durch Reizmittel in Bewegung, so werden sie unthätig bleiben und durch ihr Beispiel schaden.“

Von Neuem wurde Oesterreich von Napoleon besiegt, dessen Weltherrschaft gesichert schien. Die deutschen Patrioten verzweifelten, da auch in Preußen mit Stein’s Entfernung sein guter Genius gewichen schien. Das damalige Ministerium Altenstein war den Verhältnissen nicht gewachsen und zeichnete sich nur durch seine Schwäche, Planlosigkeit und Inconsequenz aus. Dachte man doch ernstlich daran, für die auferlegte und unerschwingliche Kriegscontribution Schlesien an Napoleon abzutreten. In dieser Verlegenheit wandte sich der König an Hardenberg, der als einzige Rettung die Rückkehr zu den von Stein aufgestellten Grundsätzen bezeichnete. Der Staatskanzler hielt es für nothwendig, mit Stein selbst sich mündlich über die einzuschlagenden Mittel zu berathen. Zu diesem Behufe hatten die beiden Staatsmänner eine heimliche Zusammenkunft an der schlesischen Grenze auf einer einsamen Baude des Riesengebirges. Dort in der ärmlichen Holzkammer tauschten sie ihre Gedanken aus und faßten Pläne für die Zukunft, welche nichts Geringeres als die Befreiung Europa’s bezweckten. Während die Muthigsten verzagten, die Besten jede Hoffnung aufgaben, blieb Stein unerschüttert wie ein Fels im tobenden Meere. Der Haß gegen den Unterdrücker verlieh ihm eine Kraft, die sich durch keinen Unfall beugen ließ. Immer klarer und selbstbewußter entwickelte sich der Gedanke in seiner männlichen Seele, daß es seine Aufgabe sei, den fränkischen Despotismus zu stürzen und Deutschland zu befreien. Ihn kümmerte nicht, daß die Fürsten vor dem Sieger im Staube krochen, daß das Volk im Todesschlaf zu liegen und das Gefühl seiner Schmach verloren zu haben schien. Ein einzelner Mann, geächtet, heimathslos und verarmt, unternahm er das große Werk, das er auch wie ein Mann zu Ende führte. Mit Recht fürchtete Napoleon einen solchen Gegner, den er selbst die sechste Großmacht nannte.

Unterdeß hatte die Freundschaftskomödie zwischen Alexander und Napoleon ihr Ende erreicht. Der Krieg zwischen Rußland und Frankreich war erklärt. Alexander, der schon früher Stein ein Asyl in seinem Reiche angeboten, berief ihn jetzt an seine Seite als einen ebenbürtigen Bundesgenossen, der mit geistigen Waffen den Feind bekämpfen sollte. Das Glück lächelte im Anfange dem französischen Kaiser, um ihn später um so sicherer zu verderben. Stein’s Muth blieb nach wie vor unerschüttert, und als nach einigen verlorenen Schlachten und der Einnahme Moskau’s die Friedenspartei am russischen Hofe und vor Allen die Kaiserin Mutter und der Großfürst Constantin kleinmüthig zu einem schimpflichen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 604. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_604.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)