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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Frieden riethen, trieb er zur Fortsetzung des Krieges. „Es kann sein,“ sagte er, „daß wir nach Orel oder gar nach Orenburg die Fahrt werden antreten müssen. Ich habe schon zwei, drei Mal im Leben mein Gepäck verloren, was thut’s? sterben müssen wir ja doch einmal.“ An seiner Kühnheit erhob sich Alexander’s weiche Seele zu männlichen Entschlüssen und fester Ausdauer. Der Brand von Moskau und der eisige Winter setzten ein Ziel für Napoleon’s Herrschbegierde, unter der russischen Schneedecke lag sein Heer begraben. Bei der ersten Nachricht von dem göttlichen Strafgericht sprach die früher muthlose Kaiserin-Mutter über Tafel zu Stein in verächtlichem Ton die Worte: „Ich würde mich schämen eine Deutsche zu sein, wenn auch nur ein Franzose über den Rhein zurückkäme.“

Da entfärbte sich Stein, und plötzlich sich erhebend antwortete er ihr ernst: „Ew. Majestät haben Unrecht dies zu sagen. Sie sollten nicht sagen, Sie werden sich der Deutschen schämen, sondern sollten Ihre Vettern nennen – die deutschen Fürsten.“

Die Kaiserin Mutter erwiderte beschämt, aber würdig: „Sie haben Recht, Herr Baron, und ich danke Ihnen für die Lection.“

So vertrat Stein als echter Freiherr furchtlos und kühn Deutschlands Ehre und Größe an dem sclavischen Hofe des Czaren. Damals verlangte er auch von Alexander in einer Denkschrift: „Um Deutschland groß und mächtig zu machen, muß es entweder zu einer Monarchie vereinigt, oder dem Laufe des Mains nach zwischen Oesterreich und Preußen oder so getheilt werden, daß man vielleicht einige deutsche Länder unter einem Bündnisse mit Preußen und Oesterreich bestehen läßt.“ Doch gab er aus praktischen Gründen der Theilung zwischen Oesterreich und Preußen den Vorzug, Deutschlands Grenzen aber sollten nach ihm die Maas, Luxemburg, die Mosel, die Vogesen und die Schweiz sein.

Einen Augenblick schwankte Alexander, von der national-russischen Partei bestürmt, den Niemen zu überschreiten und, mit Deutschland vereint, sein Werk zu beenden; da entwickelte Stein seinen Alles fortreißenden Feuereifer für die gute Sache und besiegte alle kleinlichen, egoistischen Hindernisse. Im Namen Deutschlands, das noch stumm blieb, erhob er seine gewaltige Stimme, indem er den ursprünglich nur russischen Krieg zu einem heiligen Befreiungskampf aller Völker erhob. Stein allein bewirkte dies Wunder, und wurde somit der Retter des Vaterlandes. Durch York’s Abfall wurden die nachfolgenden Ereignisse in Preußen vorbereitet, durch Stein’s Eifer und jugendliches Ungestüm die Entscheidung herbeigeführt, und durch die von ihm veranlaßte Einberufung der ostpreußischen Landstände dem Zögern ein Ende gemacht.

Preußen war erwacht, der König eilte nach Breslau, wo er, vor französischen Gewaltstreichen geschützt, jenen denkwürdigen Aufruf „an mein Volk“ erließ. In Breslau, wohin sich Stein begab, erlag er der fortwährenden Aufregung und riesigen Anstrengungen; ein Nervenfieber bedrohte sein Leben. Kaum genesen, eilte er in das Hauptquartier der Verbündeten, denen er bis nach Paris folgte. Hier war er es mit dem gleichgesinnten Blücher, die rastlos vorwärts trieben. Nach der Schlacht bei Leipzig hatten er und Gneisenau sich gelobt, „der Krieg dürfe nur mit der Entthronung Napoleons enden.“ Stein übernahm während des Feldzuges die Centralverwaltung der im Jahre 1813 befreiten Länder, aber diese wurde so eingerichtet, daß sie aus tausend kleinlichen Rücksichten nicht in seinem Geiste fortgeführt wurde. Eben so wenig entsprach der Wiener Congreß und der zweite Pariser Frieden seinen gehegten Wünschen und Erwartungen. Er verlangte Lothringen mit Metz, den Elsaß und Straßburg für Deutschland; doch wurde leider seine Stimme nicht gehört. „Zu Wien,“ schrieb er dem befreundeten Gagern, „haben sie finalement nur halbe Arbeit gemacht, und die Nation über Bund und Bundessystem gar nicht begriffen. Und nachdem wir so sehnlich Eintracht zwischen Oesterreich und Preußen im Großen gewünscht, so wollen wir doch keineswegs ein solches Schmiegen und Assimiliren in Dingen, die sich wenig ähnlich sind, wie Lage und Verhältniß beider Regierungen gegen ihre Völker. Der Fürst Metternich, gewohnt zu verführen, verführte darin das preußische Cabinet, und beschädigte dadurch Beide – ja – uns Alle.“ Unzufrieden mit dem Gange der Ereignisse, der mangelhaften Bundesverfassung, der durch Metternich herbeigeführten Reaction, der sich auch Preußen anschloß, zog sich Stein auf seine Güter in Nassau zurück. Der Tod seiner Gattin lenkte seinen Blick immer mehr von der Erde nach oben, ohne daß er darum einer pietistischen Richtung huldigte. Auch am Abende seines Lebens gönnte er sich noch nicht Ruhe; seine Liebe zu dem Vaterlande bethätigte er durch ein großes literarisches Unternehmen, die Herausgabe einer zeitgemäßen kritischen Quellensammlung zur Geschichte des deutschen Mittelalters, welche er nicht nur anregte, sondern auch mit bedeutenden Geldopfern unterstützte. Geistig noch frisch, fühlte er doch die Abnahme seiner körperlichen Kräfte; längere Zeit schon litt er an Brustbeklemmungen und schlagartigen Zufällen, denen er den 21. Juni 1831 erlag. Seine Leiche wurde nach der Familiengruft in Frücht gebracht, wo er bei den Seinigen ruht.

Stein war mittlerer Größe, gedrungen, mit breiten Schultern und starken Schenkeln; Haltung und Schritt fest wie sein ganzes Wesen. Auf diesem kräftigen Körper ruhte das stattliche Haupt mit breiter Stirn, funkelnden braunen Augen voll Freundlichkeit und Treue, die jedoch im Zorn vernichtende Blicke schossen. Eine mächtige Adlernase, unter ihr der feingeschlossene Mund und das Kinn, welches ein wenig zu lang und zu spitz war, verliehen seiner Physiognomie das Gepräge eines entschiedenen Charakters. Seine Rede war klar, kurz und bestimmt, ohne Umschweife auf das Ziel gehend. Redlichkeit, Wahrheit und unerschütterlicher Muth bildeten den Grundzug seines Wesens. Was ihn aber vor allen seinen Zeitgenossen auszeichnete, war die ungebrochene Willenskraft, eine riesenhafte Energie, der Titanentrotz, der sich nicht vor den Götzen des Tages beugte. An diesem männlichen Trotz scheiterte Napoleon, zerstießen sich die deutschen Fürsten, denen er als geborener Freiherr mit offenem Visire entgegentrat, so oft sie ihn durch Hochmuth oder Feigheit erzürnten. Seine Grabschrift verkündigt nur die Wahrheit, wenn sie von ihm rühmt:

Demüthig vor Gott, hochherzig gegen Menschen,
Der Lüge und des Unrechts Feind,
Hochbegabt in Pflicht und Treue,
Unerschütterlich in Acht und Bann,
Des gebeugten Vaterlandes ungebeugter Sohn,
In Kampf und Sieg Deutschlands Mitbefreier

Ein Denkmal, das die dankbare Nachwelt ihm errichten wird, kann Er entbehren, der sich selbst ein ewiges Gedächtniß in seinem Volke errichtet hat; aber den Deutschen selbst thut es Noth, sich an dem Manne zu erheben, der ein geistiger Hermann als Befreier des Vaterlandes dasteht, alles Bösen Eckstein, alles Guten Grundstein, aller Deutschen Edelstein.

M. R.




Bilder aus dem Seeleben.
2. Das Schiffsgespenst.
(Schluß.)

Ein Ereigniß, das sich Tags darauf zutrug, setzte dem Ganzen die Krone auf.

Ein Matrose, Namens Larson, der ungeschickteste Bursche am ganzen Schiffe, stürzte beim Reffen von der Raa in’s Meer. Er konnte nicht schwimmen, und während das Boot losgemacht wurde, war er schon im Sinken – da tauchte vor meinen Augen und vor denen von etwa zwanzig Matrosen, die im Segelwerk hantirten, dicht hinter ihm Watson’s Kopf aus der See – Watson’s Arm umschlang ihn, Watson hielt den schon Bewußtlosen über dem Wasser, und als das Boot flott und an ihm war, war Watson wieder verschwunden – Larson aber gerettet. Es war in der That merkwürdig, unerklärlich. Außer mir und Mr. Smith gab es keinen Skeptiker mehr an Bord, und die Mannschaft befand sich in einem Grade von Aufregung und Furcht, der uns die höchste Besorgniß einflößte.

Aber die Krisis war nicht ferne. –

Die Sonne war im Untergehen. Ich lag wieder auf dem Sopha in meiner Kajüte, wie ich denn überhaupt mehr da als auf dem Verdeck war, und dachte über die Geschichte mit Watson nach; denn ich hätte das Schiff nicht gern verlassen, ohne der Sache,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 605. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_605.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)