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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Garnison- und Parade-Bilder.
Nr. 3. Ein Tag bei dem „Alten“.
(Schluß.)

Der Kanonier richtete sich sichtbar unter dem Eindruck dieser Worte auf. Er schüttelte die Furcht, die bisher jede seiner Bewegungen lähmte, von sich ab, trat dreist bis auf drei Schritte an den Alten heran und meldete, daß er der Sattler K. von der zwölfpfündigen Batterie No. X. sei und von seinem Capitain für den Vormittag beurlaubt wäre, um seine Braut auf einem der benachbarten Höfe zu besuchen.

Der Oberst nahm diese Meldung mit vieler Ruhe entgegen. Indem er den Säbel in die Scheide brachte, wandte er sich an den Adjutanten und sagte: „Denken Sie sich, Lieutenant W., es ist kein Chinese, es ist wirklich ein Kanonier von meiner Brigade, Na, ich werde dem Millionenkerl funfzig Eimer kaltes Wasser über den borstigen Schädel gießen lassen, das wird ihm das verrückte Gehirn wohl wieder in Ordnung bringen.“ Und indem sein Zorn sich in ein leises Brummen verlor, fuhr er fort: „Haben Sie gehört, daß dies Monstrum eine Braut hat? Na, die möchte ich kennen lernen. Wir wollen hoffen, daß der liebe Gott ein Einsehen haben und die Race sich nicht weiter ausbreiten lassen wird.“

Er begleitete diese Worte mit einem Lachen, von welchem die Gipfel der Bäume sich bewegten.

„Aber was machen wir denn eigentlich mit diesem hanswurstigen Millionenkerl?! hob er nach einigen Augenblicken wieder an. „Dem Capitain H. will ich doch auch die Freude gönnen, das Pflänzchen, welches er sich großgezogen hat, in diesem Ausputze zu sehen.“

Er dachte einige Augenblicke nach und fragte dann den Kanonier, der seinem Schicksale mit bewunderungswürdiger Resignation entgegensah: „Deine Braut erwartet Dich?“

„Zu Befehl, Herr Oberst.“

„Gut! meine Kanoniere sollen galant sein. Du begibst Dich jetzt zu der Dame Deines Herzens, verweilst dort eine Stunde und verfügst Dich dann auf den Schießplatz, wo Du Dich auf der Parkwache als Arrestant zu melden hast. An Deinem Anzuge änderst Du nicht das Geringste. Auf der Wache erscheinst Du mit dem chinesischen Sonnendache, Pfeife, Vatermörder etc. Wehe Dir, wenn an dem Blumenstrauße auch nur ein Blatt fehlt! Das Weitere wird sich finden. Und nun Kehrt! Marsch!“

Der arme Sattler ließ sich dies nicht zum zweiten Male sagen; er beeilte sich, aus der gefährlichen Nähe des Brigadiers zu verschwinden.

„Nun, Lieutenant W.,“ brummte der Alte, indem er sich den Schweiß von der Stirn trocknete, „ich hätte nicht geglaubt, daß solche Abscheulichkeiten noch in meiner Brigade vorkommen könnten. Aber wie der Herr, so der Diener. Der Hauptmann H. liebt solche Windbeuteleien. Ich muß einmal wieder dazwischen fahren, wie Ziethen aus dem Busch, sonst wird der Unfug doch zu arg.“

Sich nach der Ordonnanz umdrehend, fuhr er fort: „Um den Skandal zu verdauen, denke ich, trinken wir ein Glas. Mir liegt der Chinese wie ein Pfund Seife im Magen. Ordonnanz, eine Flasche und ein Glas!“

Der Kanonier überreichte das Geforderte. Der Alte trank ein volles Glas und gab hierauf die Flasche an den Adjutanten, dem der starke Madeira nicht zusagen mochte, denn er füllte sein Glas kaum bis zur Hälfte.

Hierauf bestiegen wir wieder unsere Pferde und eilten, um die verlorene Zeit einzubringen, im Galopp dem Kanonendonner entgegen, der uns einladend von den bereits in Thätigkeit begriffenen Batterien entgegenschallte.

Als wir den Schießplatz erreicht hatten, hielt der Oberst sein Pferd an, um in seiner Gesammtheit das Bild aufzufassen, das sich mit so vielen Abwechselungen vor seinen Augen entfaltete.

Die öde Haide bot an diesem Morgen einen sehr belebten Anblick dar. Im Vordergrunde und uns zunächst exercirte die gesammte reitende Artillerie unter dem Commando eines Stabsofficiers an den bespannten Geschützen. Von dorther tönten die schmetternden Trompeten-Signale und das Gerassel des über den harten Haideboden in der schnellsten Gangart dahinsausenden Fuhrwerks entgegen. Die schnelle Gangart, die Leichtigkeit und Sicherheit, mit welcher die verwickeltsten Bewegungen ausgeführt wurden, imponirte ungemein. Weiter zurück schoß ein Theil der Fußartillerie mit Kugeln und Kartätschen nach der Scheibe. Der Donner der Kanonen wechselte mit den Horn-Signalen ab, durch welche sowohl die verschiedenen Bewegungen als auch das Feuer geleitet wurden. Man hörte den dumpfen Schlag, mit welchem die Kanonenkugel beim Rollschuß mehrere Male, bevor sie die Scheibe traf, den Boden berührte, und sah, wir sich der Pulverdampf mit dem Staube mischte, den die hüpfende Kartätsche unter sich aufwirbelte. Im Hintergrunde wurde aus drei Batterien gegen ein Polygon gefeuert, welches in angegriffenem Front eine Festung vorstellte. Da zogen die Bomben und Granaten ihre feurigen Bogen und warfen Garben von Sand auf, wenn sie in dem getroffenen Werke crepirten. Es war ein effectvolles Bild, dessen Gesammteindruck der Oberst mit sichtbarer Freude in sich aufnahm.

In seiner stillen Betrachtung wurde er durch den Adjutanten gestört, der sich hier von ihm beurlaubte. Ich trat in diesem Augenblick in dessen Functionen und kam auch sogleich in Thätigkeit.

Der Alte schickte mich nach der Parkwache, Um dem Officier derselben mitzutheilen, daß sich der Sattler K. als Arrestant melden werde und daß dafür Sorge zu tragen sei, daß dessen Ausputz wohl conservirt bleibe.

Als ich mich mich einiger Zeit mit dem kurzen „Bestellt, Herr Oberst!“ zurückmeldete, befand er sich auf dem rechten Flügel der reitenden Artillerie, wo er soeben den Rapport des commandirenden Stabsofficiers entgegennahm und dann an der Front der Batterie hinunterritt. Er bemerkte jede Schnalle, die falsch lag, und fand auch die geringsten Fehler auf, die hinsichtlich der Beschirrung der Pferde oder in der Ausrüstung der Geschütze gemacht waren.

Vor dem zweiten Zuge der zweiten Batterie hielt der uns schon bekannte Fähnrich. Aus seiner Uniform hing eine goldene Uhrkette im koketten Bogen heraus, was den Alten zu indigniren schien.

„Stecken Sie die Baumelei weg, Herr Windbeutel!“ sagte er mit mehr Ruhe, als sich vermuthen ließ. „So was erinnert mich immer an die Syrupsjungen aus den Krämerläden, wenn sie des Sonntags mit gewichstem Kopf und ungewichsten Stiefeln auf den Promenaden herumlaufen und die Luft mit Heringsgeruch und Moschusgestank verpesten.“

„Dem Fähnrich stieg das Blut in das Gesicht, und er schien nicht übel Lust zu haben, irgend eine Entgegnung zu wagen. Der Oberst hatte sich aber schon von ihm weggewandt, indem er den Capitain v. R. rief.

„Wie sind Sie mit der dienstlichen Führung des Fähnrichs zufrieden?“ fragte er. „Verspricht der junge Mann ein guter tüchtiger Officier zu werden? ich meine einen solchen, der mit unwandelbarer Loyalität an dem Könige hängt, stets seinen Dienst thut, der Ordre gehorcht und nicht über seine Vorgesetzten raisonnirt; oder gehört er zu den mir wohlbekannten Demagogen der Brigade, die von Freiheit und Constitution faseln, weder Pflicht noch Gehorsam kennen und am liebsten mit der Majestät, ihrem obersten Kriegsherrn Arm in Arm auf dem Divan sitzen und mit ihm Cigarren rauchen möchten? Na, so lange diese gelehrten Systemmacher die Uniform meiner Brigade tragen, werde ich sie schon in der rechten Constitution zum Könige und zu ihren Pflichten zu erhalten wissen. Ich hoffe, sie wissen, daß ich T. heiße.“

Der Oberst hatte sich in eine bedeutende Aufregung hineingeredet,


es gelungen, den Allbewunderten zu sehen. Du kannst daher denken, wie nach Beendigung des Stückes Alles aus dem Hause strömte, um ihn zu erblicken. Der weite Platz von dem Schauspielhaus an bis hinab zu dem Ranstädter Thor stand dicht gedrängt voll Menschen. Jetzt trat er heraus, und im Nu war eine Gasse gebildet, Stimmen geboten, das Haupt zu entblößen, und so ging denn der Dichter durch eine Menge seiner Bewunderer, die alle mit entblößtem Haupte und schweigend dastanden, hindurch, während Väter und Mütter ihre Kinder in die Höhe hoben und riefen: „dieser ist es – das ist er!“ Mag ein Anderer davon halten, was er wolle, mir hat es Freudenthränen entlockt.“

Ein anderer Augenzeuge erzählt, daß sich besonders die Studenten sehr lebhaft an dieser Huldigung betheiligten und mit brennenden Fackeln und Kränzen den heraustretenden Dichter empfingen.
D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 674. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_674.jpg&oldid=- (Version vom 19.11.2023)