Seite:Die Gartenlaube (1859) 682.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Wasser möglich wird. Es gehört ein bedeutender Körperumfang dazu, so viel Wasser wegzudrängen, daß 15–20 Centner (!) Körpergewicht aufgehoben werden können; aber die Fettlagen unter der Haut des Nilpferdes sind auch so dick, daß sie allein gewiß hinreichen, die günstige Verminderung des bezüglichen Leibesgewichts zu bewerkstelligen. Ich habe bei ruhigem Schwimmen des Thieres niemals eine heftige Ruderbewegung desselben wahrnehmen können; das Wasser um das schwimmende Nilpferd bleibt vielmehr glatt und unbewegt. Gerade das Gegentheil findet statt, wenn sich das Thier wüthend auf einen Feind stürzt oder nach einem erhaltenen Schusse im Flusse herumtobt. Dann schnellt es die Hinterbeine überaus heftig zurück, schießt in förmlichen Sätzen vorwärts, und die Gewalt der Bewegung ist so groß, daß es, wie erwiesen, mittelgroße Schiffe emporheben oder zertrümmern kann.

In den pflanzenreichen, seeartigen Stellen des Abiadt verläßt das Nilpferd auch zur Nachtzeit das Strombett nicht oder nur höchst selten. Es frißt dann bei Tage und bei Nacht von den im Strome selbst wachsenden Pflanzen, wenn es eben hungrig ist. Wie das Zarte und Erhabene so oft dem Rohen und Gemeinen unterliegen muß, so auch hier: der durch die Sinnigkeit längst vergangener, schier vergessener Völker geheiligte, als Bild der Gottheit betrachtete Lotus, der herrliche, königliche Bruder unserer stilllieblichen Wasserrose, dient zur Hauptnahrung des Thieres; die Pflanze, deren Gestalt allein schon ein Gedicht und deren Blüthe von Farbe ätherisch ist, wie von Duft – wird von dem wüstesten, rohesten aller Säugethiere des Festlandes – – gefressen! So wird das freundliche Märchen der plumpen Alltagsweisheit zum Opfer!

Ein fressendes Nilpferd ist ein wahrhaft ekelhafter Anblick. Auf die Entfernung einer Zehntelmeile kann man das Aufreißen des Rachens mit bloßen Augen sehen; in einer Entfernung von etwa hundert Schritte nimmt man deutlich alle Bewegungen beim Fressen wahr. Der ungeschlachte Kopf verschwindet in der Tiefe und wühlt unter den Pflanzen herum, der sich auflösende Schlamm trübt das Wasser weit hin; dann erscheint das Vieh wieder mit einem Maul voll, bezüglich großen, dicken Bündel abgerissener Pflanzen, legt ihn auf die Oberfläche des Wassers und zerkaut und zermalmt ihn nun langsam. Zu beiden Seiten des Maules hängen die Ranken und Stengel der Gewächse lang heraus, und grünlicher Pflanzensaft läuft, mit Speichel untermischt, beständig über die wulstigen Lippen herab. Einzelne halb zerkaute Grasballen werden ausgestoßen und von Neuem verschlungen; die blöden Augen glotzen bewegungslos in’s Weite, und die fußlangen Stoß- und Eckzähne zeigen sich in ihrer ganzen Größe.

Jedenfalls sind diejenigen Orte der Ströme, welche dem Thiere im Strome selbst die Weide gewähren, ihm die liebsten von allen. In jener Inselflur des Abiadt, wo dieser bald zum stillklaren See, bald zum faulenden Sumpfe und bald wieder zum weiten Bruche mit paradiesischer Pflanzenpracht und aller Tücke solchen Reichthums wird, während er selbst nur hier und da als langsam dahinschleichender Fluß sich bekundet, leben Krokodile und Nilpferde zu Hunderten jahraus jahrein ausschließlich im Strombett, ohne sich um die Außenwelt zu bekümmern. Hier wird unser Thier zwischen dem uralten Papyrus, dem Lotos, dem flaumenleichten Ambak- oder Ambadjrohre, Neptunien, Wasserlilien und hundert anderen, uns zum allergeringsten Theile bekannten Pflanzen geboren und verlebt sein ganzes Leben im Strome.

Anders ist es in allen Gegenden, wo Steilufer die Flüsse begrenzen, z. B. im blauen Flusse oder Asrakh, dessen rascherer Lauf keine Seebildung gestattet. Hier muß es auf’s Land steigen, um zu weiden. Etwa eine Stunde nach Sonnenuntergang, dem in den Tropen bekanntlich fast zauberisch schnell die lichte, schöne Nacht folgt, entsteigt er mit größter Vorsicht lauschend und spähend dem Strome und klettert, so plump es auch ist, an den steilsten Uferpfaden hinan. Im Urwalde sieht man seine Wege überall, wo der Reichthum der Pflanzenwelt gute Weide verspricht; in der Nähe bewohnter Ortschaften richten sich die Pfade nach den Fruchtfeldern. Hier fällt es verheerend in diese ein; hier wird es, trotzdem es nur Pflanzen frißt, zum schädlichsten und gefährlichsten Thiere. Denn mit blinder Wuth stürzt es sich auf seinen nächtlichen Weidegängen auf alle sich bewegende Gestalten und vernichtet sie, wenn es dieselben erreicht. Die vier gewaltigen Eckzähne der Kiefern, von denen wenigstens die unteren bei ausgewachsenen Thieren eine Länge von mehr als zwei Fuß erreichen, sind anderen Thieren gegenüber furchtbare Waffen: mit ihnen zermalmt es selbst Rinder zu Brei. Wo Nilpferde hausen, werden die Heerden sorgsam bewacht; denn auch die harmlosesten Geschöpfe reizen das abscheuliche Vieh zu blindwüthendem Zorn. Rüppell berichtet, daß ein Nilpferd vier Zugochsen zermalmte, welche ruhig an einem Schöpfrade standen; ich selbst habe genug ähnliche Geschichten vernommen. Die Eingebornen erzählen, daß es mit dem Maule angreift und erst zu guter Letzt den Gegenstand seiner Wuth mit den Füßen zerstampft.

Der Mensch jener Länder ist dem Thiere gegenüber ziemlich machtlos, obgleich er immer der einzige gefährliche Gegner des Nilpferdes bleibt. Denn außer Blutegeln, Mücken und Eingeweidewürmern wird das Nilpferd von keinem Geschöpfe angegriffen, und alle so schön ausgedachte Kämpfe zwischen unserem Thiere und dem Krokodil müssen unerbittlich in das Reich der Fabel gewiesen werden. Noch einmal, der Mensch ist der einzige Gegner des Nilpferdes. Zur Zeit der Fruchtreife zünden die Dorfbewohner längs des Ufers Feuer an, um das gefräßige Ungeheuer von den Feldern abzuhalten, an einigen Orten unterhält man mit Trommeln einen beständigen Lärm während der Nacht, und gleichwohl sind die Nilpferde nicht selten so kühn, daß sie nur dann nach dem Flusse zurückkehren, wenn eine größere Menschenmenge schreiend oder trommelnd und mit Feuerbränden auf sie losstürmt. Leider ist gegen das Nilpferd ein Mittel, welches bei anderen Thieren regelmäßig von dem besten Erfolge gekrönt wird, nicht anwendbar, und die höllische Natur des Unthieres geht daraus recht deutlich hervor. Das Wort des Gottgesandten Mohammed – Allahs Frieden über ihn! – ist kräftig genug, selbst den Elephanten von allen Feldern abzuhalten, die es in Gestalt eines dort aufgehangenen Amuletes schirmt; das Nilpferd aber mißachtet auch das kräftigste wirksamste Amulet – und sei es selbst von dem Schëich el Ulema in Mekka geschrieben! So bleibt dem armen Gläubigen eben nur das Feuer übrig, um Höllisches mit Höllischen zu bannen.

Die weiblichen Nilpferde, welche ein Junges haben, nehmen dieses auf ihren Weidegängen mit auf das Land und sind dann doppelt gefährlich. Denn die für ihr Kind zärtlich besorgte Mutter sieht auch in dem unschuldigsten Kinde Gefahr und stürzt sich mit der furchtbarsten Wuth auf jeden Feind. Es scheint, daß das Junge lange Zeit von der Mutter geführt und geleitet wird, denn Livingstone sah junge Nilpferde nicht viel größer als Dachshunde, während ich niemals so kleine, sondern höchstens solche beobachtet habe, welche die Größe eines vollkommen ausgewachsenen Ebers hatten, der bedeutend größeren, welche noch immer mit der Alten gingen, nicht zu gedenken. Derselbe Reisende berichtet, daß das junge Nilpferd von der Mutter anfangs auf dem Halse und später auf dem Widerrist getragen werde; ich habe dies nie beobachtet, habe aber keinen Grund, an der Wahrheit des Livingstone’schen Berichtes zu zweifeln. Wir Beide stimmen darin vollständig mit einander überein, daß die Mutter ihr Junges zärtlich liebt; ja ich glaube behaupten zu können, daß sich auch der Vater seines Sprößlings schützend annimmt. Wenigstens sah ich fast immer um ein Junges zwei alte Nilpferde, unter denen die Mutter allerdings leicht zu erkennen war. Sie läßt ihr Kind keinen Augenblick aus den Augen und bewacht jede seiner Bewegungen mit mütterlicher Lust und zärtlichen Sorgen. Zuweilen spielt das ungefügige Thier ganz lustig mit seinem Liebling; da tauchen dann Beide scherzend auf und nieder und unterhalten sich mit Brummen. Es ist wahrscheinlich, daß das Junge im Wasser schwimmend saugt, denn ich bemerkte öfters, daß die Alte mit dem Kopfe über dem Wasser ruhig auf ein und derselben Stelle blieb, während das Junge beständig dicht neben ihr auf und nieder tauchte, jedenfalls um Athem zu holen. Uebrigens weiß man über Erzeugung und Geburt des Jungen, die Zeit der Trächtigkeit der Mutter und dergleichen noch gar nichts Sicheres.

Es ist nicht rathsam, sich einer Nilpferdmutter, wenn sie ihr Kind bei sich hat, zu nahen; denn sie greift auch bei Tage Schiffe und Menschen an, sobald sie Gefahr für ihr Junges wittert. Livingstone’s Kahn wurde von einem weiblichen Nilpferd, dessen Junges Tags vorher mit einem Sperre getödtet worden war, halb aus dem Wasser gehoben und dergestalt erschüttert, daß einer seiner Leute herausgeschleudert wurde, ohne daß die Mannschaft das Thier gereizt hätte. Und ich selbst habe das Necken alter Nilpferde und ihrer Jungen einmal schwer büßen müssen.

(Schluß folgt.)



Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 682. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_682.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)