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verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

kleiner herrlicher Vignetten und Desseins, die tausend-, zehntausend-, hunderttausendweise bestellt werden, um Seifen und Süßigkeiten, Bonbons und Bänder, Spitzen und Späße, Pomaden und Putzigkeiten aller Art in lockende Gewänder zu hüllen und als Sirenen in den Schaufenstern winken und wirken zu lassen.

Ein Chromotypograph erzählte mir, daß von seinen Bildern, die als Kunstwerke um ihrer selbst willen verkauft werden, immer auch Hunderte als Emballage seiner Handelsartikel dienen. Diese kostbare Art von Verpackung kam vor mehreren Jahren zuerst in Paris auf. Die künstlerischsten Lithographien, von Künstlern sorgfältig colorirt, wurden und werden als Ornamente auf Handschuh-, Spitzen-, Frucht-, Bonbon- und andere Luxusschachteln geklebt und geschmackvoll von feinen Goldstreifen eingerahmt. So standen und stehen sie zu Hunderten in Schaufenstern von Handschuhmachern und Conditoreien, die auf diese Weise zu Bilderläden werden. Aber seitdem die Chromatographie in London eine Fabrikation ward, änderte sich die Sache etwas. Es ist leichter und billiger, von Blöcken farbige Bilder zu drucken, als zu lithographiren, lithographisch zu drucken und die Bilder hinterher noch mit der Hand zu coloriren. Die französischen Schachtelfabrikanten importirten also zuerst englische Chromatographien, die jedoch in Preis und Geschmack wenig Beifall fanden, so daß sich die für solche Sachen ganz besonders graciösen Franzosen selbst dahinter machten und jetzt alle Schaufenster der Erde mit Schachteln schmücken, deren farbiggedruckte und farbiglithographirte Bilder an Schönheit, koketter Sirenenhaftigkeit und Wohlfeilheit die englischen vier- und mehrfach übertreffen. Wenigstens sind sie im Durchschnitt viermal billiger und hundertmal schöner, als die der englischen Verleger, die jedoch fabelhaft großartige Anstrengungen und Capitalauslagen machten, um Markt und Concurrenz zu halten.

Neben der Pappschachtel spielt die metallene eine rasch an Ausdehnung zunehmende Rolle. Die dünnsten, mohnblattartigen Blättchen von Blei, Zinn, Metall, Bronze müssen als Unterjacken für Tabake, Schnupftabake etc. dienen. Dichtere ausgewalzte Blättchen werden in Birmingham von mächtigen, kostbaren Dampfmaschinen millionenweise zu Schachteln, Kästchen, Büchsen von allen möglichen Größen, Formen und schlechterdings unglaublich billigen Fabrikpreisen für alle möglichen Waaren und Handelsartikel so schnell und massenweise fabricirt, daß es förmlich solche Schachteln, Kästchen und Büchsen aus der Maschine herausregnet. Manche davon sind so schön und niedlich, daß man die Waare darin gern blos der Hülle wegen kauft. Eine neue „Idee“ in dieser Schachtelsphäre, ein anziehendes Dessein wird nicht selten besser bezahlt, als die wichtigste Erfindung, und bringt dem ausführenden Fabrikanten goldenen Regen.

Aber auch der Glasbläser verdient durch Flaschen und Fläschchen für wohlriechende Wasser und dergl. mehr, als durch Spiegelscheiben, die er bis zu 5– 6000 Thaler das Stück rein wie Himmelsluft, mauerdick und groß wie Scheunenthorflügel aus dem gemeinen Kiesel zu zaubern weiß. Es ist die Flasche und die vergoldete Etikette darauf, welche die Wohlgerüche und das Wasser darin empfiehlt und an den Mann, besonders an die feine Dame bringt. So steckt viel mehr Capital, Geschick, Kunst und Genie in der Fabrikation der Fläschchen, als in den Artikeln, die darin verkauft werden. Ein Eimer voll reines Wasser, etwas ätherisches Oel, eine homöopathische Dosis reinen Rosenöls – und man hat genug für tausend Fläschchen und tausend Namen. Es ist erstaunlich, welche Fülle und Mannichfaltigkeit von Eleganz und Grazie man in den Fläschchen der Parfümeurs bewundern kann. Daß man kleine, farbige Zuckerkügelchen in Glaskugeln à 1 Penny gefüllt verkauft und die Weihnachtsbäume in London mit Dutzenden und Schocken silberner, goldener, blauer, rother, grüner Glaskugeln für einen Spottpreis ausschmücken kann, ist nicht das kleinste Wunder der modernen Glasfabrikation.

Für viele Kauf- und Handelsleute ist der Töpfer oder vielmehr der höhere Keramiker von größerer Wichtigkeit, als der Bildner in Glas. Wir sprechen nicht von den unzähligen Arten gemeiner irdener Krüge, Flaschen und Töpfe, die ebenso unzähligen nothwendigen oder luxuriösen Handelsartikeln als Behälter dienen, sondern machen nur auf die weißen, seichten Büchsen aufmerksam, die von zwei bis acht und mehr Zoll Durchmesser und entsprechender Tiefe von jeder Art keramischer Mischung bis hinauf zur feinsten Porcellan-Erde für tausenderlei Flüssigkeiten, Schmieren, Oele, Fette, Pomaden und Crêmes millionenweise von mächtigen Dampfmaschinen geknetet, geformt, gedrechselt, polirt und gebrannt werden. Eine gewisse feinere Art dieser Büchsen ist auf den Deckeln mit eingebrannten farbigen Kupferstichen verziert, und sie werden hunderttausendweise als anmuthige verführerische Behälter feiner Fleischsorten, eingemachten Geflügels, von Anchovis und sonstigen Delicatessen verbraucht. Die weißen, kleinen Töpfe für Marmeladen und Gelées allein verkauft man in England zu vier bis fünf Millionen Stück jährlich aus den Fabriken. Noch eine feinere Sorte von echtem Porcellan, mit Blumen und Landschaften von Künstlerhand bemalt, lockt den höheren Koch zum Ankauf kostbarer Confecte, die kokette Dame zu empörenden Ausgaben für Mysterien der Toilette. Die wundervollen Töpfchen enthalten ja Mittel zur Verschönerung der Haut, zur Sicherung ewiger Jugend, zur Erhöhung des Augenglanzes (Arsenik), Vertreibung der Schnurrbärtchen, Auferstehung längst verfaulter Zähne, Färbung und Wiedergeburt der Haare und sonstige Zaubermittel, die nicht unter 1 Thaler oder 1 Louisd’or per Büchse verkauft werden.

Auch der echte Diamant bedarf der „Fassung“. Für sie und deren Ringe, für Armbänder, Halsketten, Diademe und unzählige Kunstwerke des Juweliers muß man kostbare, niedliche Maroquingewänder haben, gefüttert mit Sammet und Seide. Die goldene Uhr, der Edelstein, das Armband, die Brosche müssen dem Käufer in einem sammetgefütterten Maroquin-Prachtkleide vorgelegt werden, sonst schrickt er vor dem Preise zurück. Die Verfertiger dieser Juwelenhüllen gelten als Künstler, werden besser als die feinsten Buchbinder bezahlt und bilden eine beträchtliche Armee unter den Legionen, die keine Industrie-Artikel, sondern nur Kleider für solche fabriciren.

Schon die Zahl dieser Arten von Schneidern ist unabsehbar, sodaß wir gar nicht hoffen können, nur die wichtigsten namhaft zu machen. Von den Papierdüten und Säckchen, die täglich zu vielen Centnern in großen eigenen Fabriken gemacht und ebenso schnell unbeachtet im Kaufladen, beim Bäcker, Conditor etc. verbraucht werden, den Leinwandsäckchen der Sämereienhändler, den Tonnen, Fässern, Holzkasten für gröbere Waaren und Handelsartikel bis hinauf zu den kostbarsten vergoldeten, bemalten, sammetnen und seidenen Couverts, Emballagen und Gewändern der Industrie breitet sich selbst ein unabsehbares Feld industrieller Production und Kunst aus.

Alle diese Hüllen und Gewänder, von denen Millionen in der civilisirten Welt leben, in deren Fabrikation Millionen von Thalern sich reichlich verzinsen, werden im Detailhandel dem Scheine nach immer umsonst zugegeben. Und doch bilden sie selbst einen der fruchtbarsten und lohnendsten Industriezweige, obgleich sie gar keinen eigentlichen Nutzen und Werth haben. Die allerunscheinbarste Hülle würde ganz dieselben Dienste thun, wie die gemalte, künstlerisch geformte, golden und farbenprächtig decorirte Hülle, nur daß sich dann die Waaren nicht so gut verkaufen würden. Das ist der Schlüssel zu dem ganzen Geheimnisse. Die Käufer und Kunden der civilisirten Lebens- und Luxusbedürfnisse verzinsen jährlich ganz unbewußt und nebenher Millionen von Thalern, um ihren Sinn für Schönheit, für Schein und Reiz der Außenseiten zu befriedigen, um die Praxis des Sprüchworts: „die Welt will betrogen sein“ zu erhöhen und auszudehnen.

Das Verpacken und Einkleiden der Waaren ist eine großartige Wissenschaft, die blühendste praktische Kunstproduction und Aesthetik geworden, die sich in manchen Sphären schon bis zum Selbstzweck ausgedehnt hat, sodaß man viele Artikel blos des Gewandes wegen kauft.

Diese Excesse im Schein kosten viel Geld. Nur wo der äußere Schmuck sich in entsprechenden Grenzen und dem Zwecke gemäß hält, wie z. B. in den deutschen Spielwaaren, dieser kosmopolitischen Sprache mit allen Völkern rund um die Erde (– es ist eine der wichtigsten und schönsten Industrien Deutschlands), oder wo die Emballage, die nicht entbehrt werden kann, für etwa dasselbe Geld das Notwendige und Nützliche mit dem Angenehmen und Schönen, mit Geschmack und Grazie verbindet und wirklich gute, civilisirende Waare verschönernd umschließt (wie in der Emballage der Faberbleistifte), stehen Gewand und Waare in richtigem Verhältniß und tragen heiter dazu bei, die Blüthen der Schönheit und freudiger Farben und Formen, womit wir uns gern umgeben, auf alltägliche Dinge und oft häßliche Nothwendigkeiten anmuthig auszustreuen.


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verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1859, Seite 700. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_700.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)