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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

ohne Ende! Preiset den Propheten, ihr Brüder! Ich aber will, bin ich erst dem Verruchten entronnen, einen ganzen Sack Datteln zum Opfer bringen.“

Ich habe diese beiden Pröbchen blinder Wuth des Nilpferdes absichtlich ausführlich gegeben, um der Treue meiner Erzählung keinen Abbruch zu thun; sie mögen zugleich beweisen, daß die Jagd des Ungeheuers ohne Feuerwaffen, welche sehr schwere Kugeln schießen, eben kein Vergnügen für Sonntagsschützen ist. Wie ich bereits bemerkte, haben leichte Büchsenkugeln, selbst wenn sie aus geringer Entfernung abgefeuert werden, fast gar keinen Erfolg. Jede Büchsenkugel durchbohrt den Panzer des Krokodils; aber sie ist viel zu schwach, als daß sie die zolldicke Haut und den mehr als zolldicken Schädel des Nilpferdes durchdringen könnte. Rüppell erzählt, daß er mit seinen Begleitern fünfundzwanzig Kugeln aus glattläufigen Gewehren in einer Entfernung von fünf Fuß (!) auf den Kopf eines Nilpferdes schoß, von denen blos eine einzige die Haut und den Nasenknochen durchbohrte; alle übrigen Kugeln waren in der dicken Haut stecken geblieben. Erst nachdem man fünf Kugeln aus einer schweren Büchse in derselben Entfernung auf den Kopf des Unthieres gefeuert hatte, gab es seinen Geist auf. Vier Stunden lang kämpfte die Jagdgesellschaft mit dem angeworfenen Thiere; dasselbe riß einen kleinen Kahn unter das Wasser, wo es ihn zerschmetterte, und schleifte das große Schiff an der Leine des Wurfspeeres nach Belieben hin und her. Freilich war dieses Thier ein altes riesenhaftes Männchen, welches von der Schnauzenspitze bis zum Schwanzende 131/2 französische Fuß maß; seine Eckzähne waren, der Krümmung nach gemessen, von der Wurzel bis zur Spitze 26 Pariser Zoll lang.

Nilpferde von der angegebenen Größe sind gewöhnlich alte, höchst mißmuthige Männchen, welche getrennt von der übrigen Heerde leben und ungemein bösartig sind. Die Sudahnesen behaupten, daß sie von andern Nilpferden vertrieben worden wären und verachtet würden. Sie werden zur furchtbarsten Landplage, weil auch die muthigsten Jäger es nicht oder nur selten wagen, sie anzugreifen. Dies wird man den Leuten nicht verdenken, wenn man bedenkt, daß ihre Jagdwaffen gewöhnlich blos die Harpune und die Lanze sind. Jene sinnreich ausgeführten Speerfallen, welche an Bäumen befestigt und von dem zur Weide gehenden Thiere selbst losgeschnellt werden sollen (Gartenl. 1857 S. 329), sind, in Nordost-Afrika wenigstens, nirgends gebräuchlich; ebensowenig gräbt man Falllöcher,[1] in welche der zur Nachtzeit herumspazierende Weidegänger gelegentlich hinabpurzelt. So viel ich gehört habe, greift man es niemals anders als mit dem Wurfspieße an. Derselbe besteht aus einem Stücke Eisen, einer Hornscheide, der Haftschnur und der Wurfstange. Das Eisen ist zugespitzt oder wie ein Radirmesser zweiseitig zugeschliffen und besitzt einen starken Widerhaken; es steckt fest in einer an beiden Enden dünner werdenden Hornscheide und ist durch eine starke, oftmals um Eisen und Scheide gewundene Schnur hinreichend befestigt. An dem einen Ende der Wurfstange nun befindet sich eine Höhlung, in welche die Hornscheide eingesetzt wird, am anderen Ende der Stange ist die Leine festgebunden. Beim Wurfe dringt die eiserne Spitze sammt ihrer Hornscheide bis zu der Lanze ein; diese wird durch den Wurf abgestoßen und hängt nun nur noch mit dem andern Ende vermittelst der dort angebundenen Schnur an der Harpunenspitze. Andere Jäger befestigen das eine Ende der Leine an der Harpune und das andere Ende an einem leichten Holzklotz, ohne sie mit der Wurflanze zu verbinden.

Mit dieser Waffe und einigen gewöhnlichen Lanzen begibt sich der Sudahnese auf die Jagd, um sein Wild entweder zu beschleichen, wenn es ein Mittagsschläfchen hält, oder ihm aufzulauern. Das Unternehmen erfordert nicht nur gewaltige Kraft, sondern auch List, Verschlagenheit und Gewandtheit.

Etwa um Mitternacht – nur an ganz menschenleeren Orten auch am Tage – schleicht der Spießwerfer längs des Ufers bis zu einer Ausgangsstelle der Thiere und versteckt sich hier im Gebüsch unter dem Winde. Kommt das Nilpferd erst nach seiner Ankunft aus dem Wasser, so läßt er es ruhig an sich vorübergehen und wartet bis zur Rückkehr. Niemals greift man ein zu Lande gehendes Nilpferd an, sondern wartet stets, bis es, so zu sagen, wieder halb im Flusse ist. Dann schleudert der Jäger ihm die Harpune mit aller Kraft in den Leib und flieht in der Hoffnung, daß das über den Wurf erschreckte Thier sich in den Fluß stürzen werde. So geschieht es auch gewöhnlich, wogegen das Ungethüm beim Heraussteigen an’s Land immer seinen Gegner anzunehmen pflegt. Nach dem Wurfe besteigt der Jäger mit seinen Gehülfen entweder sogleich oder am folgenden Morgen eines der bereit gehaltenen Boote und sucht das verwundete Thier, bezüglich das schwimmende Speerstangenende oder den Holzklotz auf. Sobald man diese Merkzeichen gefunden hat, rudert man höchst vorsichtig, mit bereitgehaltenen Wurfspeeren und Lanzen herbei und nimmt nun die Leine auf. Beim geringsten Anziehen derselben erscheint das Nilpferd in rasender Wuth an der Oberfläche des Wassers und stürmt auf das Schiff los, wird aber von dort mit einem Hagel von Lanzen und Speeren empfangen, welcher es häufig zur Umkehr zwingt. Gleichwohl kommt es nicht selten vor, daß es die Barke erreicht und mit den Hauzähnen zerreißt. Dann haben die Jäger einen sehr schweren Stand und müssen sich eiligst durch Schwimmen und Tauchen zu retten suchen. Livingstone erfuhr, daß es, um dem Nilpferde unter solchen Umständen zu entgehen, das Beste sei, in die Tiefe des Stromes zu tauchen und hier einige Secunden zu verweilen, „weil das Flußpferd, wenn es einen Kahn zertrümmert hat, sich allemal nach den Menschen umschaut und, wenn es keinen bemerkt, davongeht“; mir hat man Aehnliches erzählt. Im günstigeren Falle besteigt ein Theil der Jäger nach dem zweiten Angriffe auf den Flußriesen ein zweites Boot und fischt sich mit ihm das Ende einer zweiten Harpune auf. Nun wird das Ungethüm durch das schmerzerregende Anziehen der Harpunenleinen beliebig oft zur Oberfläche des Wassers heraufgezaubert und ihm im Verlaufe der Jagd der breite Rücken derartig mit Lanzen bespickt, daß er wie der Pelz eines Stachelschweines aussieht. Uebrigens führt man die Jagd nur dann mit einem Male zu Ende, wenn man Feuergewehr zur Verfügung hat; im entgegengesetzten Falle läßt man den im Wasser natürlich viel stärkeren Blutverlust das Seinige zur Abmattung des Thieres thun und nimmt erst am folgenden Tage die Verfolgung desselben wieder auf, da ja die schwimmenden Merkzeichen seinen Aufenthalt immer wieder verrathen. Ein glücklicher Lanzenwurf oder Stoß in das Rückenmark oder zwischen den Rippen hindurch in die Brusthöhle bläst schließlich das Lebenslicht des sattsam gemarterten Höllensohnes aus. Dann schleift man den Leichnam stromabwärts bis zur nächsten Sandbank, auf welcher er, nachdem er mit Thauen an’s Land gezogen worden ist, zerlegt wird.

Der Gewinn der Jagd ist nicht unbedeutend. – Die Eckzähne oder Hauer, das edelste Erzeugniß des Nilpferdes – denn sie wandern aus seinem Rachen in Gestalt künstlicher Zähne in den Mund so manches „Löwen“ und so mancher schönen Frau oder „gereifteren Jungfrau“ – werden schon an Ort und Stelle so theuer bezahlt, daß sie allein ein hübsches Sümmchen abwerfen. Aus der zolldicken Haut schneidet man jene vorzüglichen Peitschen, welche die Deutschen in Nordost-Afrika kurzweg „Nilpeitsche“ genannt haben; sie sind unübertrefflich in ihrer Art, höchst dauerhaft, äußerst biegsam, beim Kameelreisen unentbehrlich zum Antriebe der Reitthiere, bei anderen Gelegenheiten zum Dollmetscher seiner Ansichten, allen denjenigen Afrikanern gegenüber, welche bloße Worte nicht verstehen wollen: auch dienen sie als Hauptwerkzeug bei der entsetzlichen, im Morgenlande aber sehr beliebten „Bastonnade.“ Man hat behauptet, daß sie in Europa ihre Biegsamkeit verlören, hat aber wahrscheinlich nur rohe, und nicht zubereitete, mit Theer getränkte Peitschen im Auge gehabt. Mit einem Worte, die Nilpeitschen sind von ausgezeichneter Güte, und die Haut eines Nilpferdes kann deshalb bis zu dreißig Speciesthaler abwerfen, wenn sie zu Peitschen verarbeitet wird. Auch das Fleisch des Ungeheuers ist geschätzt und wird von den Gläubigen, trotz seiner großen Aehnlichkeit mit dem verpönten Schweinefleische, gern gegessen. Das Fett gilt im Ost-Sudahn als die allervorzüglichste Grundlage zur Haar- und Körpersalbe, Telka genannt, welche alle dunkelfarbigen Afrikaner zu gebrauchen scheinen. Kurz, wenn der Jäger seine Beute zu verwerthen weiß, kann sie einen recht netten Ertrag abwerfen.

Der Fang des Unthieres ist mit der Jagd ein und dasselbe; denn alle bisher gefangenen sind jung harpunirt worden. Selbstverständlich muß vorher die Mutter des jungen Thieres erlegt werden, ehe man auf dieses Jagd machen kann, es würde sonst auch ganz unmöglich sein, das angeworfene Thier lebend in seine Gewalt zu bekommen. Dagegen folgt es dem Leichnam der Mutter fast von selbst. Uebrigens wird man aus dem Erzählten die Schwierigkeit des Fanges leicht ermessen können und begreifen, warum


  1. Die Schillukh, Dinkha und Nuëhr am Weißen Flusse sollen jedoch, abweichend von den Sudahnesen wirkliche Fallgruben auswerfen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 702. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_702.jpg&oldid=- (Version vom 26.11.2023)