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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Fragmente aus Italien.

Von Moritz Hartmann.
I. Aus Turin.
Tendenz der Denkmäler und der Literatur. – Das Monument einer Habsburger Königin. – Zartgefühl des Volkes. – Achtzehn Theater. – Das alte Turin. – Das Ghetto und sein schönes Judenmädchen. – Die Waldenser.
(Schluß.)


Was aus den Marmor- und Erzlettern der Denkmäler, könnte man auch von den Leinwänden der Maler der letzten Decennien ablesen. Da sind meist Allegorien, die das gegenwärtige Elend oder die schöne Zukunft Italiens ausdrücken, oder historische Gegenstände, welche Großthaten alter Zeiten, meist aus den Freiheitskämpfen der lombardischen Städte gegen die Kaiser, darstellen. Man wollte lehren, aufmuntern, durch das Beispiel der Väter entzünden. Man meißelte, malte, schrieb Tendenz. Carlo Alberto bezahlte diese Bilder aufs Königlichste, weit über seine Kräfte, und machte Bestellungen in allen Ateliers zwischen Alpen und Charybde; das königliche Schloß in Turin ist eine Gallerie, eine illustrirte Leidensgeschichte Italiens geworden.

Und erst die Literatur! Wollten wir auf die Tendenzliteratur eingehen, die immer in Italien existirt und deren neueste Epoche wenigstens bis auf Alfieri zurückleitet, wir würden nicht fertig, wir müßten Bände darüber schreiben. Und sie hat Herrliches hervorgebracht, Leidenschaftliches, Tragisches, höllisches Gelächter, tief in die Seele einschneidende Satiren. Wir nennen nur Giusti, Giuseppe Giusti, den tieferen Beranger Italiens.

Und der arme Goffredo Mamelli, der in Rom gefallen ist, kaum zweiundzwanzig Jahr alt, der Dichter des Jahres 1848!

Es ist doch hübsch, daß zu allen Freiheitsbewegungen der modernen Zeit die Poesie ihr Contingent gestellt hat. Polen hat seinen Mickiewitz; in Ungarn fiel Alexander Petöfi auf dem Schlachtfelde; Frankreich hat Lachambaudie und Victor Hugo; Deutschland Freiligrath, Kinkel, Ludwig Pfau. Italien hat von Silvio bis auf Mamelli eine ganze Schaar Verbannter, Eingekerkerter, Gefallener.

Es ist Zeit, daß man wieder anfange italienisch zu lernen.

Doch wir wollen uns in dieser vom Blute der Schlachtfelder rauchenden, politisch-diplomatischen Zeit nicht bei Kunst und Literatur aufhalten; nur auf einen Augenblick wollen wir, da wir einmal von Monumenten gesprochen, in die Kapelle treten, die sich hinter dem Hochaltar in der Kathedrale findet, in die man auch vom Schlosse aus gelangen kann und die die Monumente enthält, welche Carlo Alberto mehrern seiner Vorfahren errichten ließ. Diese Kapelle ist ein Kleinod und es soll Niemand daran vorübergehen, dem daran liegt, einen in allen Phasen wohlthätigen, durch und durch ästhetischen Eindruck zu empfangen. Diese Kapelle ist eine schöne, von einer kunstvollen Kuppel überdeckte Rotunde. Sie ist ganz mit schwarzem Marmor ausgelegt, von schwarzen, monolithen Säulen getragen und von oben durch ein dämmriges Licht beleuchtet. Von diesem schwarzen Grunde heben sich prächtig, doch einfach und trotz der combinirten Composition anspruchslos die weißen Marmormonumente ab, die erhöhten Hauptgestalten mit den entsprechenden symbolischen oder allegorischen Figuren. Die Arbeit ist vortrefflich, die Gruppirung höchst geschmackvoll und künstlerisch. Man sieht hier die besten Specimina der modernen italienischen Sculptur und man fängt zu glauben an, daß diese, wie die Kunst überhaupt, hier eine schöne Zukunft haben. Rührend neben diesen prächtigen, gestaltenvollen Königsmalen nimmt sich das Monument der letztverstorbenen Königin Adelaide aus. Es sieht aus, als wollte es gar nicht ein Monument darstellen, als wäre die Person, die es darstellt, für dergleichen zu bescheiden gewesen und als hätten die Leidtragenden und der Künstler diese Bescheidenheit geschont. Königin Adelaide sitzt im einfachen Kleide, alles Schmuckes baar, wie sie zu Hause unter ihren Kindern gesessen haben mag, eine rührend häusliche und schöne Erscheinung. Nur die große Unterlippe erinnert, daß sie eine Habsburgerin gewesen. Die böse Lippe hatte ihr viel zu schaffen gemacht. Sie war vom Volke von Turin sehr geliebt und sie´hatte das Bedürfniß geliebt zu sein, denn sie war gut. Aber sie hatte hier die Jahre 1848 und 49 durchzumachen, die Zeit, in der man sich gegen ihre Familie schlug und jede Erinnerung an den Feind das Volk außer sich brachte. Wenn sie nun im Publicum erschien, biß sie sich auf die große Unterlippe und suchte sie so viel als möglich zu verbergen. Man bemerkte das und war ihr für diese erfolglose Bemühung doppelt dankbar und zugethan. Auch benahm sich das Volk während der ganzen Zeit ihr gegenüber mit dem höchsten Zartgefühl. Bei öffentlichen Aufzügen oder Demonstrationen, die in Folge einer Revolution in der Lombardei oder eines Sieges über die Oesterreicher statt fanden, vermied man Gassen und Plätze, die sie von ihren Fenstern aus sehen konnte; in den Theatern wurde jede politische Kundgebung, die ihr Familiengefühl verletzen konnte, unterdrückt, sobald sie in ihrer Loge erschien, und durch Applaus ersetzt, der ihrer Person galt. Als sie starb, war die Trauer herzlich und allgemein, und das stille und anspruchslose Denkmal der Habsburgerin in dem kleinen Pantheon wird vom Volke mit größerer Andacht und Theilnahme betrachtet, als alle die prächtigen Monumente der Savoyarden.

Wir wollen also nicht von Kunst sprechen. Wie schade! In Italien, in Turin, das eine so herrliche und so unbekannte Gallerie besitzt und in dieser Gallerie den Papst Paul von Titian mit der berühmten Hand, der allein so viel werth ist, wie manche andere Gallerie, und die Veroneses, die Rembrandts, die Dürers, die Wouvermans etc.! Vorbei! vorbei!

Wir sind in den Straßen!

Da ist das Haus Alfieri’s – ganz nahe dabei das Haus, in welchem J. J. Rousseau als Kammerdiener das Band geflochten und die That einem armen Stubenmädchen in die Schuhe schob und katholisch wurde – einige Schritte weiter und wir sind auf dem Weinmarkt – an einer Straßenecke. Sie ist bedeckt von Theaterzetteln, die einander mit großen Lettern und bunten Farben zu überschreien suchen. Natürlich, die Concurrenz ist groß. Die Stadt Turin mit ihren 50000 Einwohnern hat 18, sage achtzehn Theater, darunter vier große, das königliche Theater, das Nationaltheater, das große Theater, das teatro Carignan, mehrere ziemlich große, die meist die Namen berühmter Leute tragen, wie Alfieri, Rossini, Scribe, Nota, viele kleine, wie Gerbino, Martiniano, Gianduja etc. Letzteres ist eigentlich ein Marionettentheater, gehört aber mit zu den populärsten und beliebtesten. Gianduja ist der Name einer Volksfigur, die den Turiner personificirt, der Turiner Hampelmann, wie der Meneghin der Mailänder Hampelmann ist. Letzterer ist jetzt in Turin ziemlich heimisch geworden, und da man sich mit Mailand eins fühlt, wird er auf jede Weise und bei jeder Gelegenheit, oft sehr gewaltsam, angebracht. So weiß ihn das Theater Gerbino oft in französischen Rührstücken und Melodramen auftreten zu lassen und vergißt es nie, aus dem Zettel anzukündigen „con Meneghino“. Der Meneghin spricht mailändisch, wie Gianduja piemontesisch spricht, so daß ich Ihnen von den Witzen, die das Publicum so sehr lachen machen, nichts zu erzählen weiß. Gerbino, Alfieri etc. geben auch sehr ernste, oft sehr schauderhafte Stücke, die meist aus dem Französischen übersetzt sind, eben so wie die kleinen Possen, mit denen die Vorstellungen eingeleitet werden; doch erscheinen beide, Melodram und Posse, von italienischen Schauspielern aufgeführt, ganz verändert. Das Melodram wird pathetischer, das französische Vaudeville, selbst das feinere Proverbe wird una brillantissima farsa. Aber wie sehr diese Schauspieler, nach unsern Begriffen, übertreiben, man muß doch zugeben, daß natürliches Talent in starker Dosis vorhanden ist, und man fühlt, daß die Ristori keine vereinzelte Erscheinung sein kann. Wäre das Interesse des sogenannten feineren Publicums nicht von der Oper absorbirt und hätte Italien ein Nationaltheater, was bei den bisherigen Zuständen freilich eine Unmöglichkeit war, Italien würde gewiß große Schauspieler haben. Jetzt aber, da man im recitirenden Schauspiel nur die Farce und die materiellste Thränenrührung sucht, sind die Talente verwildert. Doch muß man zugeben, daß diese verwilderten Talente, wenn sie Stücke geben, vor denen das gebildete Publicum Respect hat und die für classisch in der Form gelten, wie z. B. dieser Tage Frariesia di Rimini von Silvio Pellico, sich mit Takt zusammenzunehmen und zu mäßigen wissen. – Bevor Piemont Preßfreiheit hatte, waren die kleinen Theater von einer gewissen politischen Bedeutung, denn Gianduja warf oft eine Wahrheit in’s Publicum, die kein Schriftsteller zu schreiben und kein Drucker zu drucken den Muth hatte. Konnte man Gianduja einsperren? Doch, man that es, aber man machte sich lächerlich. Heute hat Gianduja seine Rolle der Presse überlassen müssen, aber er hat darum die Politik nicht aufgegeben; er zieht in die Schlacht von Palestro, er schlägt sich mit Gyulai, er macht sich über den Erzbischof von Genua und seinen Hirtenbrief lustig. Die Theater sind alle liberal und national gesinnt und richten ihr Repertoir darnach ein. So wird im jetzigen Augenblicke ein großes Spectakelstück eingerichtet, das die Schrecken der Inquisition darstellt und in welcher die Geistlichkeit zum ersten Male auf die Bühne gebracht wird – nicht um ihr Lob zu singen. Wir leben eben in der Zeit der Hirtenbriefe und es geht die Sage, daß der König mit dem Interdicte belegt werden soll. Da will die patriotische Bühne dem Volke zeigen, aus welcher Quelle solche Maßregeln fließen.

Die alte Zeit im neuen Turin erinnert mich, daß es auch noch ein altes Turin gibt. Ach, es ist nicht mehr viel davon übrig! An der schönen, romantischen Kathedrale vorbei, deren Thüren mit so altehrwürdigen und lieblichen Sculpturen bedeckt sind, deren naive, alte Bauart man vandalisch mit moderner Färberei entstellt hat, gelangen wir in die wenigen krummen und winkligen Gassen, die von dem althistorischen Turin, in dessen Nähe Hannibal eine Schlacht geschlagen, übrig geblieben. Aber selbst diese Häuser deuten aus kein hohes Alterthum. In den Winkeln und Gängen ihres Innern webt wohl noch jahrhundertaltes Zwielicht, aber die Vordermauern sind modern, einförmig und kasernenhaft. Die Feuchtigkeit, die Schlechtigkeit des Pflasters und der Schmutz erinnern noch an die Zeiten schlechter Municipalverwaltung, die sich im modernen Turin, dem reinlichen, ordentlichen, anständigen, gänzlich verwischt haben. Zwei Gebäude erinnern uns an zwei unglückliche Dichter. Das eine, die sogenannten Thürme des Ovid, die, mit phantastischen Zinnen aus Ziegeln aufgeführt, in der That auf römischen Grundmauern ruhen sollen, haben der Sage nach den verbannten Dichter als Gefangenen beherbergt. Er wurde von Rom hierher transportirt und von hier nach Genua, wo er nach Tomi eingeschifft wurde. Heute sind diese Thürme, wie die Blenden vor ihren kleinen Fenstern beweisen, noch immer Gefängnisse, und ein eingerahmtes Stück Gemäuer daran trägt das Zeichen der Jesuiten. Ein anderes Haus in der Nähe sagt mit goldener Inschrift auf marmorner Tafel, daß es dereinst Torquato Tasso, den Dichter des befreiten Jerusalems, beherbergte. In der That hat Tasso eine Zeit lang hier gelebt, aber nicht immer in dem alten Hause; er war auch der Gast des Grafen und Herzogs, dessen Schloß und Gärten er als Gärten der Armide beschreibt. Sic transit! – Von den Gärten der Armide ist heute keine Spur mehr vorhanden, und das Schloß der Armide und des Fürsten ist heute eine Tabakfabrik. Rauch ist die Herrlichkeit der Welt! –

Ein Stück altes Turin, obwohl mitten im neuen gelegen, ist das Ghetto. Man muß sich da nicht ein Prager, oder Frankfurter, oder römisches Ghetto vorstellen; es hat so luftige und breite Gassen und so moderne Häuser, wie der Rest der Stadt, alt sind hier nur die Juden, die trotz aller Religionsfreiheit,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 723. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_723.jpg&oldid=- (Version vom 27.11.2023)