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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)


Eben so hartnäckig wie in seinem Geschäft, hält das Volk des Tandelmarktes zusammen, da es sich um seine Vertreibung von seiner Stätte handelt. Mit alten Freibriefen und Dokumenten versehen, wollen sie nur der Gewalt weichen und keine Hand anlegen, um ihre Waaren unter die Bögen der Verbindungsbahn zu schaffen, wo sie künftig wohnen sollen. Es wird ihnen aber nichts helfen, denn die das Jahrhundert beherrschende Eisenbahn hat unter ihre Schienen schon ganz andere Sachen begraben, als einen Tandelmarkt.




Wunderdoctoren und Magnetiseure.

(Schluß.)


Die Erfindung des Somnambulismus. – Auch Bäume werden magnetisirt. – Magnetisirung durch bloße Willenskraft. – Sehen und Hören mit Fußzehen und Fingerspitzen. – Was ein Somambule Alles leisten kann. – Bedingungen beim Magnetisiren. – Vollständige Anleitung zur Erlernung des Magnetisirens. – Ende des Schwindels.

Die Pariser Commission erstattete endlich Bericht über den Mesmerismus und bewies darin sehr klar, daß alle hervorgebrachte Wirkungen auch ohne Streichen oder andere magnetische Manipulationen hervorgebracht werden können, daß ferner alle diese Manipulationen und Ceremonien niemals irgend eine Wirkung hervorbringen, wenn sie ohne Vorwissen des Patienten angewendet werden, und daß deshalb die Erklärung der beobachteten Phänomene in der Einbildungskraft, aber nicht in dem thierischen Magnetismus zu suchen sei.

Dieser Bericht war der Ruin von Mesmers Ruf in Frankreich, und er verließ Paris kurz nachher mit den dreihundertundvierzigtausend Francs, welche von seinen Bewunderern für ihn gezeichnet und gezahlt worden, und zog sich nach Mörsburg am Bodensee zurück, wo er am 5. März 1815 in dem hohen Alter von einundachtzig Jahren starb. Der Samen aber, den er ausgestreut, befruchtete sich von selbst und ward durch die wohlthätige Wärme der menschlichen Leichtgläubigkeit großgezogen und zur Reife gebracht.

Der Marquis von Puysegur, Besitzer eines bedeutenden Landgutes zu Busancy, war einer von denen, welche für Mesmer subscribirt hatten. Nachdem dieser Frankreich verlassen, zog sich der Marquis mit seinem Bruder nach Busancy zurück, um den thierischen Magnetismus an seinen Gutsunterthanen zu erproben und das Landvolk von allen Arten von Krankheiten zu heilen. In der ganzen Nachbarschaft bis auf einen Umkreis von zehn Meilen ward er als mit fast göttlicher Kraft begabt betrachtet. Seine große Entdeckung, wie er sie nannte, ward zufällig gemacht.

Eines Tages hatte er seinen Gärtner magnetisirt, und als er sah, wie dieser in einen tiefen Schlaf fiel, kam er auf den Einfall, eine Frage an ihn zu richten, wie an einen natürlichen Somnambulen. Er that es, und der Mann antwortete mit großer Klarheit und Genauigkeit. Der Marquis ward dadurch angenehm überrascht. Er setzte seine Experimente fort und fand, daß in diesem Zustande von magnetischem Schlaf die Seele des Schlafenden sich erweitere und in genauere Gemeinschaft mit der ganzen Natur, ganz besonders aber mit ihm, dem Marquis, trete. Er fand, daß alle weiteren Manipulationen unnöthig waren, daß er, ohne zu sprechen oder irgend ein Zeichen zu geben, dem Patienten seinen Willen mittheilen, daß er mit einem Worte von Seele zu Seele und ohne Anwendung von irgend einer physischen Operation mit ihm conversiren konnte. Gleichzeitig mit dieser wunderbaren Entdeckung machte er noch eine, welche seinem Verstand zu eben so großer Ehre gereicht. Wie viele seiner Collegen fand er, daß es eine schwere Aufgabe war, Alle zu magnetisiren, die sich bei ihm einfanden, denn es blieb ihm nicht einmal Zeit zu der Ruhe und Erholung, die für seine Gesundheit nothwendig war. In dieser Verlegenheit verfiel er auf ein sehr scharfsinniges Auskunftsmittel. Er hatte Mesmer sagen hören, daß er Stücken Holz magnetisiren könne – warum sollte er nicht im Stande sein, einen ganzen Baum zu magnetisiren?

Sofort schritt er zur Ausführung. Auf dem Gemeindeanger in Busancy stand eine große Ulme, unter welcher die Bauermädchen bei festlichen Gelegenheiten zu tanzen und die alten Leute an schönen Sommerabenden zu sitzen und einen Schoppen von ihrem selbstgebauten Weine zu trinken pflegten. Zu diesem Baume begab sich der Marquis und magnetisirte ihn, indem er ihn erst mit seinen Händen berührte und dann einige Schritte davon zurücktrat, während er Ströme des magnetischen Fluidums von den Aesten nach dem Stamme und von dem Stamme nach der Wurzel dirigirte. Nachdem dies geschehen, ließ er Bänke rings um den Baum errichten und herabhängende Schnuren an den Aesten befestigen. Wenn die Patienten Platz genommen hatten, schlangen sie die Schnuren um die kranken Theile ihres Körpers und hielten einander bei den Daumen fest, um einen ununterbrochenen Mittheilungscanal für das Fluidum zu bilden. Nun hatte der Marquis zwei Steckenpferde – den Mann mit der erweiterten Seele und den magnetischen Baum. Die Verblendung seiner selbst und seiner Patienten läßt sich nicht besser ausdrücken als mit seinen eigenen Worten. In einem Briefe an seinen Bruder vom 17. Mai 1784 sagt er:

„Wenn Du nicht bald kommst, lieber Freund, so bekommst Du meinen außerordentlichen Mann gar nicht zu sehen, denn seine Gesundheit ist jetzt beinahe ganz wiederhergestellt. Ich mache noch fortwährend Gebrauch von der glücklichen Kraft, welche ich Herrn Mesmer verdanke. Jeden Tag segne ich seinen Namen, denn ich stifte vielen Nutzen und bringe viele heilsame Wirkungen auf die armen kranken Leute in unserer Gegend hervor. Sie drängen sich um meinen Baum, und heute Morgen saßen ihrer mehr als einhundertunddreißig darunter. Er ist der beste baquet, den man sich denken kann, und unter allen seinen Blättern befindet sich kein einziges, welches nicht Gesundheit spendete. Alle Kranke fühlen mehr oder weniger die guten Wirkungen davon. Du wirst Dich freuen, das reizende Bild der Humanität zu sehen, welches dieser Baum darbietet. Ich bedauere dabei nur eins, nämlich, daß ich nicht Alle, welche zu mir kommen, berühren kann. Mein Magnetisirter – mein Verstand – beruhigt mich aber. Er lehrt mich, welches Verfahren ich einschlagen soll. Nach seiner Erklärung ist es durchaus nicht nothwendig, daß ich jeden Einzelnen berühre – ein Blick, eine Gebehrde, ja ein Wunsch ist genügend, und der Mann, der mich dies lehrt, ist einer der unwissendsten Bauern meines Dorfes. Wenn er sich in einer Krisis befindet, so kenne ich nichts Gelehrteres, Weiseres und Hellsehenderes, als er ist.“

Während der Marquis von Puysegur auf diese Weise mit seiner Ulme experimentirte, trat in der Person des Chevalier von Barbarin ein Magnetiseur anderer Art in Lyon auf. Dieser glaubte, es bedürfe des Apparats von Stäben oder baquets gar nicht, weil schon die Aufbietung der Willenskraft hinreichend sei, Patienten in magnetischen Schlaf zu versenken. Er versuchte es, und es gelang. Er setzte sich an das Bett seiner Patienten, betete, daß sie magnetisirt werden möchten, und es dauerte nicht lange, so versanken sie in einen ähnlichen Zustand, wie die Patienten des Marquis.

Im Laufe der Zeit tauchten eine beträchtliche Anzahl Magnetiseure, welche Barbarin als ihr Vorbild anerkannten und nach ihm Barbarinisten genannt wurden, in verschiedenen Gegenden auf und man glaubte, daß sie mehrere sehr merkwürdige Curen bewirkt hätten. In Schweden und Deutschland vermehrte sich diese Secte von Fanatikern sehr rasch, und man nannte sie Spiritualisten, um sie von den Anhängern des Marquis von Puysegur zu unterscheiden, welche Experimentalisten genannt wurden. Sie behaupteten, daß alle Wirkungen des animalischen Magnetismus, von welchem Mesmer glaubte, daß sie von einem die ganze Natur durchdringenden magnetischen Fluidum herrührten, schon durch die Willensäußerung einer menschlichen Seele auf die andere hervorgebracht würden und daß, wenn einmal ein Magnetiseur und sein Patient in „Rapport“ mit einander ständen, der Erstere dem Letzteren seinen Einfluß aus jeder Entfernung, selbst wenn sie Hunderte von Meilen betrüge, durch den bloßen Willen mittheilen könne. Einer dieser Leute beschrieb den gesegneten Zustand eines magnetischen Patienten auf folgende Weise:

„In einem solchen Menschen erreicht der animalische Instinct die höchste Stufe, welche in dieser Welt zulässig ist. Der Hellseher ist dann ein reines Thier ohne Beimischung von Materie. Seine Beobachtungen sind die eines Geistes. Er ist Gott ähnlich, und sein Auge durchdringt alle Geheimnisse der Natur. Wenn seine Aufmerksamkeit auf irgend einen der Gegenstände dieser Welt –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 770. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_770.jpg&oldid=- (Version vom 6.12.2023)