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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Magier und Geister in Berlin.
Von E. Kossak.

Als vor sechs oder sieben Jahren über Europa jene absonderliche Geisteskrankheit hinzog, welche man mit dem Namen „Tischrückerei“ bezeichnete, wurde wohl jeder achtsame und wißbegierige Mensch in den tollen Wirbel verwickelt und betheiligte sich an der Sache, wenn auch nur auf Seiten der Opposition. Es lohnte wohl kaum der Mühe, noch einmal auf den ganzen Handel zurückzukommen, wenn man nicht allmählich verschiedenartige Schwindel damit verbunden und schließlich das Ganze in ein verrücktes System gebracht hätte, welches auch in dem aufgeklärten Berlin zahlreiche Anhänger zählt und literarische Erzeugnisse der tollsten Art in’s Leben ruft, von welchen ich weiterhin berichten werde. Zur Belustigung aufgeweckter Leser und zur Züchtigung aller Geisterbändiger will ich daher meine persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse im Felde der Tischrückerei und Psychographie niederschreiben, und zufrieden sein, wenn es mir gelingt, auch nur einen Bekenner der neuesten Magie von diesem Holzwege des Geistes abzubringen.

Zunächst will ich vorausschicken, inwiefern ich mich selber an diesen mysteriösen Operationen aus Neugierde betheiligt habe. Selbstverständlich wollte Jeder bei seinen Versuchen sich so viel als möglich gegen eine „tendenziöse Tischrückerei“, Betrug oder Muthwillen sicherstellen, und ich beschloß deshalb, die Fähigkeiten meiner eigenen Kinder für den sogenannten „Vitalismus“ zu prüfen, da ich bereits in andern Häusern die Empfänglichkeit oder Geschicklichkeit der Kleinen für dieses unbekannte Etwas wahrgenommen hatte, gleichzeitig aber auch mit gerechten Bedenken gegen die ganze Geschichte erfüllt worden war.

An einem Sonnabend-Nachmittage, als zwei kleine Mädchen zu meinen beiden Töchtern gekommen waren, ließ ich also die vier Kinder, in deren Gegenwart, wie ich ausdrücklich bemerke, allerdings wiederholt von dem Rücken der Tische gesprochen worden war, an ein kleines dreibeiniges Tischchen treten und ihre Fingerspitzen mit der Gebehrde eines Klavierspielers ganz leicht auf die Platte legen. Kaum waren fünf Minuten verflossen, als das winzige Möbel in eine wahnsinnige Bewegung gerieth und so rasche Umdrehungen machte, daß die Kleinen nicht folgen konnten, sondern übereinanderstolperten. Die Erscheinung wiederholte sich noch öfters und zuweilen so heftig, daß die auf den mittleren Pfeiler geschraubte Platte sich losdrehte und den Kindern vor die Füße fiel. Diese Umdrehungen wechselten mit heftigem Klopfen der Tischbeine, während dessen der Tisch selber wiederholt umfiel, ohne daß es mir gelang, absichtliche Bewegungen und Manipulationen der Kinder zu entdecken. Dagegen äußerte selbst dieser kleine, nur wenige Pfund schwere Tisch nicht die mindeste Lust, sich zu regen, wenn wir anwesenden Erwachsenen, darunter einige Damen aus der Nachbarschaft, die Hände auf die Platte legten, wie ich denn auch unter den Händen von Erwachsenen niemals einen Versuch habe gelingen sehen. Es kam mir nun darauf an, die später sogenannte „spiritualistische“ Seite zu prüfen, und ich hieß die Kinder, dem Tische zu befehlen, die einzelnen Zahlen eines in meiner Brieftasche steckenden Lotterielooses, die Zahl der Thalerstücke in meiner Börse, der Schlüssel in meiner Hand durch Klopfen anzugeben, allein es schmerzt mich im Interesse der Berliner Magier, der Wahrheit gemäß bekennen zu müssen, daß auch nicht eine der verlangten Angaben richtig war, obgleich ich vorschriftsmäßig meine Hände in die Kette der Kinderhände mischte. Sämmtliche Zahlen waren falsch, und ich sah wohl, daß in Betreff aller angeblich erzielten richtigen Antworten absichtlicher Betrug der Mitwirkenden obwalten mußte. Ich beschloß, die Sache auf sich beruhen zu lassen, da sie mir nicht den geringsten vernünftigen Zweck zu verfolgen schien, und habe auch weiter keine wandelnden Tische gesehen, obgleich ich noch später zufällig bei einigen total mißlungenen Experimenten zugegen war.

Indessen das unterhaltende und vergnügliche Ende sollte noch nachkommen. Ein alter Herr, Rendant D. Hornung, mochte gleich aus Allem eingesehen haben, daß mit rohem Klopfen und der plumpen Anwendung von Tischen nur sehr unvollkommene Mittheilungen aus dem sublimen Reiche zu erzielen seien, welches er hinter den sich drehenden Tischen zu wittern glaubte; er verfertigte also ein in Reihen geordnetes Alphabet nebst einem Zahlensystem, an welches ein bewegliches Gestell mit einem auf die einzelnen Buchstaben deutenden Stifte geschraubt wurde, und hoffte, daß dieses storchschnabelartige Instrument durch das geheimnißvolle Fluidum der Vitalisten oder Spiritualisten in Bewegung gesetzt, und die Mittheilung von Wissenswürdigkeiten dadurch sehr erleichtert werden würde. Den tiefsinnigen Mann hatte seine Erwartung nicht getäuscht, unter befähigten Händen bewegten sich alle Gestelle; der Psychograph oder Seelenschreiber war erfunden, und sein Verkauf für einen oder zwei Thaler konnte als ein ganz einträgliches Geschäft angesehen werden.

Es ist nun sehr bemerkenswerth, daß man die durch den Psychographen gegebenen Aufschlüsse damals noch keineswegs einer etwaigen Geisterwelt beimaß, sondern in unendlicher Unschuld den Psychographen wie ein lebendes, bald redseliges, bald tückisches und verschwiegenes Wesen ansah, ihn mit Du anredete, mit ihm förmlich unterhandelte und ihn gleich dem Patiencespiel und Kartenlegen nur als ein angenehmes Orakel betrachtete. Sein ganzer Habitus machte ihn vorzüglich bei allen jenen Damen beliebt, die bereits die Tücken des Gottes Amor kennen gelernt und in seiner Verehrung mit manchen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten. So wohnte in meiner Nachbarschaft eine ziemlich junge wohlhabende Wittwe, die unaufhörlich mit Heirathsangelegenheiten beschäftigt und daher fortwährend in der traurigen Lage war, dem verstockten Schicksale Fragen stellen zu müssen. Zwar hatte sie bei mehreren in befreundeten Familien aufgestellten Psychographen schüchtern Rath eingeholt, allein mit diesen obstinaten Instrumenten war kein vertrauliches Verhältniß möglich, und erst als ihre jüngere Schwester aus der Heimath zum Besuche erschien, ein zwar lediges, aber höchst unternehmendes Frauenzimmer, faßte sie wieder Muth und entdeckte sich dieser Schwester. Für eine Dame, welche an die „Memoiren eines Arztes“ von A. Dumas glaubte, mußte der Psychograph sehr viel Anlockendes besitzen. Bald war ein Exemplar erworben, und nach einigen Tagen hatte die ledige Schwester sich darauf dergestalt eingespielt, daß sie in unserer Gegend etwa einen Ruf, wie die Pythonissa zu Delphi, besaß, und von gewissenhaften Damen in schwierigen Fällen stets consultirt wurde. Ein Tänzer vom Corps de Ballet unterstützte Beide in diesem löblichen Orakelwerk. Er übte ihnen die damals neuen Tänze der Varsovienne und Polka-Mazurka ein, und leistete nach Beendigung dieser Lustbarkeit Spanndienste und Robot am Psychographen. War der Mann ursprünglich von so vergnüglichem Temperament, erheiterte sein Geschäft, das auf unablässiger Leibesbewegung beruhte, so auffallend das menschliche Gemüth, oder wirkten die Mittheilungen des Psychographen so vortheilhaft auf ihn ein: genug, wenn er aus dem Hause sprang, in ein schnödes Essigmäntelchen gehüllt, mitten auf der Straße umherhüpfte und zum Abschiede noch einmal nach den Fenstern der Damen empor kußfingerte, überkam mich ein Gefühl des Neides. Auch ich sehnte mich danach, ein Instrument von solcher angenehmen Wirksamkeit spielen zu sehen. Es war nicht schwer, die Damen, welche zuweilen in unser Haus kamen, zu bewegen, mir gelegentlich Zutritt zu gestatten. Da ich verworfen genug war, Glauben zu heucheln, erhielt ich die Erlaubniß, am nächsten Montage die Damen besuchen zu dürfen.

Ich fand sie allein, behaglich am Ofen sitzend. Auf einem Spieltische lag das Alphabet des Psychographen, und eine Lampe mit grünem Schirm paßte vortrefflich zu dem geheimnißvollen Werke. Die ledige Schwester arbeitete bereits mit dem Gestelle umher, und der Stift des Psychographen fuhr mit so großer Schnelligkeit über die Buchstaben, daß die angestrengteste Aufmerksamkeit dazu gehörte, Worte daraus zu bilden. Zunächst fiel mir unangenehm auf, daß der Psychograph, den die Damen, obgleich sie ihn vertraulich duzten, doch sehr höflich anredeten, z. B, „sage mir, guter Psychograph,“ oder „möchtest Du mir nicht erklären, lieber Psychograph?“ wenn er seine Antwort ertheilte, niemals sich der Interpunctionszeichen bediente, die doch neben der Buchstabentabelle von dem Erfinder angebracht waren, weil er offenbar von der Ueberzeugung ausging, daß die Kräfte einer unsichtbaren Welt die Hülfsmittel deutlicher Mittheilung menschlicher Gedanken respectiren müßten. Wie gesagt, betrachtete aber der Psychograph unter den Händen Bella’s, so hieß die ledige Schwester, sämmtliche Interpunctionszeichen als nicht vorhanden. Er ließ nicht allein, als ob er eine Psychogräphin wäre, stets die am Schlusse eines Satzes nothwendigen Punkte fort, sondern mißachtete selbst die unentbehrlichen Kommata. Zuweilen entwischten ihm in der Eile seiner Schreibewuth auch gewisse kleine Dialektsünden, welche an Frankfurt a. M.,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_009.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)