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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

und individuellsten von dem deutsch-amerikanischen Sealsfield; aber ich habe sie doch besser kennen gelernt, ohne jemals in den vereinigten Republiken gewesen zu sein.

Mir liegt nämlich das wahre Muster des echten südlichen Americanus vulgaris auf dem Halse und besucht mich öfter, als mir lieb ist. Meine Frau haßt ihn und flieht, sobald er erscheint, denn er spuckt natürlich auf den Teppich, wobei es ihm den göttlichsten Spaß zu machen scheint, immer neben den expreß für ihn angeschafften und hingeschobenen Speinapf zu zielen. Ich will seine andern liebenswürdigen Eigenschaften nicht besingen, auch nicht seinen „Zahnstocher“ von Stahl, dreischneidig und 141/2 Zoll lang, ebensowenig verrathen, weshalb der braunschwartige Sohn des Südens in London wohnt und bleibt, da man hier „Mord“ nennen würde, was in jenen glücklichen Gegenden der weißen Aristokratie und schwarzer Sclaverei als jugendlich-ritterliche Extravaganz in den Zeitungen gepriesen wird. Er wollte sich hier in London an die amerikanische Gesandtschaft attachiren und gibt sich auch die Miene, als hätte er sehr wichtige diplomatische Functionen, aber er hat sich blos an mich attachirt, seitdem ich ihn einmal einlud, um mir Einzelnheiten aus seinem und seines Onkels Heldenleben zu notiren und wo möglich schriftstellerisch zu verwerthen.

Leider hab ich aus ihm selbst noch nichts machen können, aber sein Onkel, Onkel Chunk, ist ein Artikel, wie ich hoffe.

Alles Unglaubliche und Unmenschliche, worüber wir immer den Kopf schütteln, hat Onkel Chunk gethan; „Onkel Chunk that es, er that,“ ruft er mit grimmigem Blick, „und ich vermuthe, er verstand’s!“ (zweimal neben den Spucknapf.)

Freund Blibb (so heißt mein Americanus vulgaris) spricht natürlich däs Englische immer amerikanisch, d. h. unnachahmlich, unsäglich durch die Nase, aber für die Schilderung der Heldenthaten des Onkel Chunk hat er immer außerdem eine hohe Fistel mit gelegentlichen Baßtönen und furchtbaren Positionen und Gesticulationen. Daß er nie auf einem Stuhle sitzt, wie andere Menschen, versteht sich von selbst. Die Verrenkungen sind zahllos. Nur wenn er in’s höchste Feuer und die höchste Fistel über Onkel Chunk’s Heldenthaten geräth, setzt er sich in der Regel verkehrt auf den Stuhl, nimmt die Lehne in beide Arme und legt einen oder beide Füße (auch wenn draußen Thauwetter ist) auf den Tisch und wischt die Hacken auf der Decke ab. Ueber die Hälfte von meinen hiesigen Freunden und Bekannten sind in Amerika gewesen. So wie Freund Blibb einen solchen bei mir erwischt, fängt er nasal und fistulirend an: „Also auch drüben gewesen. Fremder? Da nehme ich natürlich an, daß Sie meinen Onkel Chunk gesehen haben.“

Mancher, vorher nicht gewarnt, antwortet ganz ehrlich, daß er nicht die Ehre gehabt habe.

„Aber von ihm gehört, von seinem letzten Duell?“

Personen, so angeredet, haben zuweilen die Kühnheit, zu gestehen, daß sie von Onkel Chunk nicht einmal sprechen gehört.

„Nu denn. Fremder, so vermuth’ ich, daß Sie Ihre Ohren ziemlich fest verstopft gehalten. Sie wollen in Amerika gewesen sein?“

Eines Abends, kurz nach Neujahr, hatt’ ich ihn wieder bei mir. Ein Freund’, der über Land bis Californien gekommen war, findet sich bald darauf ein und wird von mir zu rechter Zeit gewarnt, die Bekanntschaft mit Onkel Chunk nicht zu leugnen. Dieser behauptet also auf die bald genäselte Frage ganz bestimmt, daß er den berühmten Oberst und Onkel Chunk nicht nur gesehen, sondern auch eine lange Unterhaltung mit ihm gehabt habe.

„Wann war das ungefähr?“ frug Blibb ungläubig.

„I nun, ich denke, es war erst vorigen Sommer auf meiner Reise von Tennessee nach –“

„So haben Sie gar nichts gesehen. Fremder, gar nichts gesprochen,“ fistulirt Blibb mit großer Entrüstung. „Mein Onkel wurde schon vor zwei Jahren in dem berühmtesten aller Duelle ausgewischt! Ausgewischt in der berühmtesten aller Höhlen. Sie haben doch von dieser Höhle gehört?“

„Nu, das versteht sich. Bin ich doch selber darin gewesen, in den tiefsten Theilen –“

„Halt, Fremder; Onkels Höhle war drei Treppen hoch, und tief gar nicht.“

Kurz, er fiel mit allen Versuchen, gegen Freund Blibb verbindlich zu sein, durch und rettete sich blos durch eine ungeheuere Wißbegier, die Heldenthaten dieses weltberühmten Onkels zu erfahren.

Seine Geschichte ist echt amerikanisch, die Laufbahn eines süd-nordamerikanisch-aristokratischen Taugenichtses von Sclavenbesitzers-Sohn und deshalb sehr lehrreich und bezeichnend für die ganze amerikanische Politik, die vom Süden beherrscht, wenigstens demoralisirt und „majorisirt“ wird.

In der poetischen Weise der Blibb’schen Schilderung kann ich diese Geschichte nicht wiedergeben, aber in der Sache hoff’ ich sehr genau und gewissenhaft zu sein.

Onkel Chunk also war ein talentvoller, nichtsnutziger Sclavenbesitzers-Sohn und deshalb natürlich Officier geworden. Aber mit seiner Unbändigkeit, Renommisterei und Raufboldigkeit konnt’ es Niemand aushalten, so daß er bald mit dem Titel „Colonel“ (Oberst) „ehrenvoll“ entlassen ward und privatim als famoser „Ripper“ und „Whipper“ („Bauchaufschlitzer“ und „Peitscher“, d. h. Duellant und Krakehlsucher), gelegentlich auch als Speculant und Wettvirtuose „sein Leben machte“. So hatte er Geld und Ruhm erworben. Sein größter Stolz war, binnen zwölf Jahren sieben freie Republikaner- und unzählige Negerköpfe „ausgewischt“, d h. Erstere im Duell erlegt, Letztere zerschlagen oder erschossen zu haben.

Das meiste Geld verdankte er fünf „betrügerischen“, d. h. mit „smartness“ und „sprightness“ (Pfiffigkeit und Scharfsinn) durchgefochtenen Bankerotten im Schweine-, Eisen- und Meubelhandel. Endlich verachtete er ganz, sich vom allmächtigen Dollar beherrschen zu lassen, und machte ausschließlich in Whig-Politik mit Bowie-Messern und Sechsschuß-Revolvers. Er hatte gehofft, sich damit in den Congreß und später gar auf den Präsidentenstuhl hinauf zu schießen, aber die südlichen Republiken und Sclavenstaaten sind zu reich an Helden ähnlichen Ehrgeizes, die Onkel Chunk nicht alle beseitigen konnte, so daß er als berühmter Privat-Whipper lebte und das heldenmüthigste Ende fand.

Durch eine Klemme in Massachusetts ward er 1856 bewogen, sich davon zu machen und den Hauptschauplatz seiner früheren Heldenthaten wieder aufzusuchen, Tennessee. In einem Duell mit Septimus Whet im Staate Massachusetts schoß sein Gegner fehl, indem er zugleich ausglitschte. Colonel Chunk benutzte diese Gelegenheit, schreitet dicht an seinen sclavenfreundlichen Gegner heran und schießt ihn sicher und fest, kaltblütig wie ein alter Römer, durch die Schläfe. Freunde des Gefallenen erklärten dies für Mord und machten Anstalt, ihn zu „lynchen“, da die „Gerechtigkeit“ nicht einschritt. Letztere rieth ihm nur, zu verreisen. So kam er zunächst nach Tennessee. Hier ward sein Ruhm überschwenglich durch eine einzige That. Nachdem er mit seinem Gegner die üblichen Kugeln gewechselt und Beide noch lebten, faßt er seinen Feind bei der Gurgel und dreht ihm das Halstuch so fest, daß dieser ganz zu athmen vergaß und so den Tod eines Gehangenen starb. Die Presse erklärte dies in ihrer Parteilosigkeit nicht für unbedingt nobel, setzte aber hinzu, daß Colonel Chunk blos eine peinliche Pflicht erfüllen zu müssen geglaubt habe, um das Land von einem Sclavenaufwiegler zu befreien. Onkel Chunk war der erste „Whipper“ in Tennessee, worüber sich die Duell-Helden von Illinois mit der Zeit so ärgerten, daß sie beschlossen, ihn von Antonius Rix, ihrem Ersten, abthun zu lassen. Antonius Rix macht sich also eines Tages mit einem Dutzend Freunden auf den Weg nach Tennessee, um Onkel Chunk zu demüthigen und den größten Peitscher zu peitschen.

Das erste Zusammentreffen der beiden Helden war kurz und entscheidend. Der schon mittelalterliche Chunk blickt verachtungsvoll auf seinen jugendlichen Concurrenten, aber zugleich mit einem gewissen Interesse, das Jeder erregt, der nur noch vierundzwanzig Stunden zu leben hat, während der junge Illinoiser den alten Oberst als die reichste Beute betrachtet, der nur deshalb so viel Ruhm auf sich gehäuft, um ihm plötzlich Alles erblich zu hinterlassen. Der größte Peitscher brauchte ja eben nur gepeitscht zu werden. Freilich war Onkel Chunk zugleich kein Spaß, da er sich notorisch nie genau an die Ehrengesetze des Duells hielt und es bekannt war, daß er im Nothfalle einen Gegner erwürgte oder in den Rücken schoß. Aber die Wetten, die auf ihn (Rix) gemacht worden waren, und die Vorsichtsmaßregeln, die man brauchte, um dem Oberst keine besondern Vortheile zu lassen, beseitigten jede Furcht und Bedenklichkeit.

Die Sache war kurz eingeleitet. Rix stellt sich dicht vor Chunk hin und sieht ihn an, als wär er ’ne Wand. Chunk fragt, ob er „gepeitscht“ sein wolle. Hieraus dreht sich Rix um und schickt als der Beleidigte eine Forderung, die Chunk mit vieler Zuvorkommenheit annimmt.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_074.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)