Seite:Die Gartenlaube (1860) 120.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

seinen Fingern macht! Er will mich umgarnen, wie eine Spinne, ich werde ihm aber ein Schnippchen schlagen. Mir fangen aber bei dieser Kupferplattirung die Augen an, weh zu thun, und nachher will ich noch die Sonate spielen. Ich möchte mir jetzt wohl einmal den Magnetiseur ansehen, ob er wohl ein ernstes Gesicht macht – aber nein, dann wird er brummig! Hui! Da kommt er wieder mit seinen Fingern! Mir wird etwas duselig im Kopfe. Hoffentlich ist die Zauberei bald beendet, denn mir wird wahrhaftig übel! – Nun geht es besser!“ – Objectiv wahrnehmbar war in den Zügen anfangs ein Gefühl der Spannung; die Miene wurde dann lächelnd, wieder ernst, zeigte darauf den Ausdruck der Mattigkeit, der jedoch gegen das Ende der Sitzung wieder verschwand. Sie dauerte im Ganzen acht Minuten. Die Uebelkeit bestand dann noch eine Zeit lang fort und war mit dem Gefühl der Mattigkeit verbunden.

Ein Sekundaner, sechzehn Jahre alt, ein klarer Kopf von sanguinischem Temperament und sehr guter Selbstbeobachtungsgabe. Die Manipulationen meiner Hand machen auf ihn den Eindruck des Komischen, was sich auch in den Zügen ausprägt; die Richtung der Augen auf einen nahgelegenen Gegenstand erregt ein Gefühl von Unbehagen in Augen- und Stirngegend. Die Spannung der Aufmerksamkeit auf die Dinge, die da kommen sollen, weicht sehr bald dem Gefühl der Langweile. Die Augen wollen sich von der Kupferplatte abwenden, und nur wiederholte Willensanstrengung kann sie in der verlangten Richtung erhalten. – Keine Neigung zum Schlaf, keine Trübung des Selbstbewußtseins, kein Schwindel, keine Veränderung des Empfindungsvermögens. – Dauer der Sitzung: acht Minuten.

B. Versuche mit der Kupferplatte allein.

Ein junges Mädchen von elf Jahren, reger Phantasie, nervösem Temperament. Der Versuch wurde in größerer Gesellschaft angestellt, kurz nach Beginn der Sitzung entsteht ein Gefühl von Drücken in den Augen, das jedoch bald schwindet. Die Züge, anfangs frisch und belebt, werden allmählich matt. Die Augenlider werden öfter für mehrere Secunden geschlossen und nach immer größer werdenden Pausen erst wieder geöffnet; sieben Minuten nach Beginn der Sitzung bleiben sie geschlossen, – das Mädchen schläft. Die Kupferplatte wird entfernt. Die Gesellschaft, welche während der Dauer des Versuchs in größter Ruhe verharrt hatte, wird nun belebt; Alles drängt sich um das junge Mädchen; eine Schwester derselben, besorgt um ihr Befinden, ergreift ihre Hand und ruft ihren Namen; sie erwacht, klagt über große Müdigkeit, verläßt den Sessel und begibt sich in ein kühles Nebenzimmer. Nach Anwendung einiger Belebungsmittel verliert sich die Schlafneigung, doch das Gefühl der Mattigkeit und Abspannung dauert über zwei Stunden.

Eine Dame von zweiundvierzig Jahren, zarter Constitution, hoher nervöser Reizbarkeit, innerlicher Natur. Im Beginne der Sitzung macht sich ein Gefühl von Druck im Kopfe bemerkbar, das allmählich an Intensität zunimmt. Die Züge, anfangs munter und frisch, nehmen bald den Charakter der Mattigkeit und Abspannung an. Es findet sich ein Gefühl des Unbehagens in der Stirngegend ein, dieses steigert sich zu einer unerträglichen Höhe, die Dame springt auf, flüchtet in das Nebenzimmer und fällt dort bewußtlos nieder. Dauer der Ohnmacht: eine Minute. Ein Gefühl großer Abspannung hatte sich nach vierundzwanzig Stunden noch nicht verloren. Die Sitzung hatte sechs Minuten gedauert.

Eine junge Dame, 16 Jahr alt, von zarter Constitution, großer Reizbarkeit des Nervensystems, innerlicher Natur. Es ist der Experimentirenden gleich im Beginn der Sitzung nicht möglich, ihre Lachlust zu bemeistern. Ohne daß sich ihre Phantasie mit komischen Bildern bevölkert, genügt die Erinnerung an das Eigenthümliche ihrer Situation, um sie trotz ernsten Gegenstrebens immer wieder von Neuem in die heiterste Stimmung zu versetzen. Fünf Minuten nach Beginn der Sitzung wird die Miene ruhig, und drei Minuten darauf wird der Versuch beendet. – Die Dame fühlt sich ganz wohl, geht einige Mal im Zimmer auf und nieder und fühlt dann das Bedürfniß nach Ruhe; sie setzt sich auf ein Sopha und liegt nach wenigen Minuten im Schlafe. – Das Empfindungsvermögen ist während dieses Schlafes nicht krankhaft verringert. Bei Nennung ihres Namens öffnete sie die Augen, drückte jedoch durch Miene und Gebehrde den Wunsch aus, nicht gestört zu werden. Das Licht der Lampe war ihr unangenehm, sie änderte ihre Lage stets so, daß das Gesicht möglichst viel beschattet wurde. Keine Spur von wächserner Biegsamkeit der Glieder! der Schlaf war nicht tief. Drei Viertelstunden darauf wurde die junge Dame durch wiederholtes Anrufen und leises Rütteln erweckt. Die noch fortdauernde Schlafneigung wurde von ihr bekämpft, doch fühlte sie sich geistig unfrisch. Sie verstand kaum, was man mit ihr sprach, gab halbe Antworten und mit matter Stimme und hörte theilnahmlos der Unterhaltung zu, für die sie sonst reges Interesse hat. Nach zwei Stunden verlor sich dieser Zustand allmählich.

Forschen wir nun nach dem Resultate der Versuche, so ergibt sich, daß in fast allen Fällen ein Gefühl von Unbehagen eingetreten war, welches von den Experimentirenden auf verschiedene Gegenden des Kopfes bezogen wurde, ferner Uebelkeit, große Abspannung, Schwindel, Schlaf während der Sitzung und kurz nach Beendigung derselben Ohnmacht. Die Ausbeute an auffallenden Ergebnissen ist also nicht groß, aber immerhin groß genug, um die Pflicht zur Erforschung des Zusammenhanges aufzulegen.

Es wirkten bei jedem Versuche folgende Momente: 1) der Experimentirende nahm eine bequeme Stellung ein; 2) rings um ihn herrschte Ruhe; 3) seine Aufmerksamkeit wurde auf Einen Gegenstand gerichtet; 4) seine Augen wurden nach oben gewendet und einigermaßen zum Schielen gezwungen, eine Stellung, die nur mit Anstrengung der Augenmuskeln eingehalten werden kann; 5) auf seine Augen wirkte sein Bild und das nah gelegener Gegenstände im Zimmer in der eigenthümlich röthlichen Kupferfärbung; 6) dazu kamen noch bei Einigen die Windströmungen und Temperatur-Veränderungen durch die „magischen“ Striche der ausgebreiteten Hand.

Es erzeugt nun aber die Anstrengung der Augenmuskeln bei fast allen Menschen auch das Gefühl der Anstrengung; dieses Gefühl setzt sich bei verschiedenen Menschen in Druck, Spannung oder, ohne nähere Begriffsbestimmung, in Unbehagen um, und das Unbehagen wird nicht immer auf den Ort bezogen, an dem es entsteht. Dauert die Anstrengung längere Zeit fort, so kann das Gefühl des örtlichen Unbehagens sich zu dem der allgemeinen Abspannung erweitern.

Die dauernde Richtung der Aufmerksamkeit auf Einen Gegenstand wirkt ebenfalls abspannend. Anstrengung der Augenmuskeln, Concentrirung der Aufmerksamkeit auf Einen Gegenstand, Anstrengung beider Augen durch eine mehrere Minuten dauernde Einwirkung heller Strahlen ruft bei reizbaren Personen einen vermehrten Blutgehalt und Ueberreizung des Gehirns hervor, und dadurch erzeugt sich Mattigkeit, bei Personen von größerer Reizbarkeit Schwindel, große Ermüdung, Ohnmacht. – Diese Reihe von Erscheinungen wird noch leichter eintreten, wenn ein ähnlich wirkendes Moment, nämlich hohe Temperatur der Luft, sich hinzugesellt.

Die Richtung der Aufmerksamkeit auf Einen Gegenstand ist ein bekanntes und beliebtes Einschläferungsmittel; die Ermattung, welche auf die Anstrengung der Augenmuskeln eintrat, die enorme Temperatur der umgebenden Luft, die Stille der Umgebung mußten ebenfalls einschläfernd wirken.

Damit sind alle Ergebnisse der Versuche als natürliche Folgen der genau bekannten einzelnen Momente, aus denen jeder Versuch bestand, erklärt.

Es ergeben sich daher als Resultat folgende Sätze:

1) Das Kupferplatten-Experiment erzeugt bei den meisten Menschen ein unbehagliches Gefühl im Kopfe,
2) Bei einzelnen, sehr reizbaren Personen Schwindel, Ohnmacht, Schlaf.
3) Der Schlaf unterscheidet sich in keiner Weise von demjenigen[WS 1], der durch andere Einflüsse, welche zugleich anstrengen und ermüden, hervorgerufen wird. Namentlich ist eine auffallende Verringerung der Empfindungsfähigkeit und das Eintreten von wächserner Biegsamkeit der Glieder nicht vorhanden.
4) Es treten keine Erscheinungen ein, zu deren Erklärung die Einwirkung irgend welcher unbekannten „metallischen“ oder „magischen“ Einflüsse angenommen werden müßte. Die physiologische Einwirkung aller der Momente, welche bei dem Versuch einwirken, erklärt alle Folgen desselben.
5) Bei der sehr geringen Zahl von Personen, welche durch den Versuch in Schlaf versenkt werden, bei dem Mangel an Tiefe, den der Schlaf dort zeigt, wo er eintritt, kann das Chloroform in keiner Weise durch die Kupferplatten-Wirkung ersetzt werden.




Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: demjegen
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_120.jpg&oldid=- (Version vom 18.11.2023)