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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

da nicht auch etwas abbekommen könne? Er sagte es zwar nicht vor den Geschworenen, aber gewiß hatte er mit der Schwester so gesprochen. Nach einiger Zeit, im Mai, kam die Frau Leuthold in einem Wagen bei ihm in Embrach angefahren. Mit ihr waren die Eheleute Boller. Es war an einem Sonntag. Sie blieben zu Mittag da. Vor Tisch erzählte die Frau Boller, auch er, der Weidmann, solle glücklich werden. Der Oberst Kunz wolle ihm „einen Gewerb“ (eine Besitzung) schenken, der mindestens 15,000 Franken werth sein müsse. Nach Tisch fragte die Frau Leuthold selbst den Weidmann, ob er nicht „einen guten Gewerb“ wisse, der zu verkaufen sei; es sei für ihn selber. Weidmann zweifelte. Aber die Leuthold versicherte, sie sage nichts als die Wahrheit, der Oberst Kunz sei zwar geizig, aber er sei „Präsident der Freimaurer“, und die Freimaurer seien unendlich reich, die hätten über zweitausend Millionen Franken, und der Herr Oberst habe das Geld für die Freimaurer an brave Leute zu vertheilen und auch von ihm, dem Weidmann, gehört. Und Weidmann glaubte. Er sah sich noch an dem nämlichen Tage in der Nachbarschaft nach einem „Gewerbe“ um, und theilte das Resultat der Leuthold mit. Von da an war es mit dem Mann vorbei. Der Teufel der Habsucht hatte ihn gefangen und verblendet, obgleich seine eigene Frau fortwährend zweifelte und ihn fortwährend warnte.

Schon am nächsten Donnerstag kam die Leuthold wieder angefahren. Sie war allein. Sie traf zuerst nur die Frau Weidmann. Sie las dieser einen Brief vor, den ihr der Oberst Kunz geschrieben habe. Der Oberst versprach darin dem Weidmann 70,000 Franken; vorläufig aber sollte dieser monatlich 120 Franken bezahlen. Der Oberst hoffe nicht, daß Weidmann sein Glück mit Füßen treten werde. Was das heißen sollte? Die Frau Leuthold forderte von der Frau Weidmann 100 Franken, und als die Frau die nicht geben wollte, 80, und dann 60. Und wozu? Ein anderer hätte dem Herrn Obersten nur 5 Franken geben sollen, er habe es aber nicht gethan und darauf von dem Herrn Obersten nichts erhalten, denn dieser habe sich überzeugt, daß der Mann nicht „freigebig“, und also nicht brav sein könne. Die Frau Weidmann wolle sich dennoch auf nichts einlassen. Aber zu Mittag kam Weidmann nach Hause und er gab her, er gab sogleich die vollen 100 Franken, zu denen er die Hälfte in der Nachbarschaft leihen mußte. Er wollte nur als ordentlicher Mann einen Handschein. Allein: „das dürfe nicht sein, sonst sei alles umsonst; er dürfe auch keinem Menschen ein Wort davon sagen; er dürfe nicht einmal wissen, wozu das Geld bestimmt sei.“

Und vier Tage später war die Betrügerin schon wieder da, um Geld zu holen und zu empfangen. Sie brachte diesmal einen Brief des „Obersten Kunz“ an Weidmann selbst. „Werthgeschätzter Herr Weidmann,“ schrieb der Oberst und Besitzer von siebenundzwanzig Millionen an den Exercirmeister, „ich danke Ihnen ehrerbietigst für die empfangenen 100 Franken.“ Er verspricht ihm dann „ein schönes Heimwesen“ (Besitzthum) zu 70,000 Franken, um Zürich herum: er werde selbst nach Embrach kommen und das Geld bringen. Für heute aber müsse Weidmann der Frau Leuthold 50 Franken oder etwas mehr geben, je mehr, desto besser. Es dürfe aber Niemand davon wissen. „Dem Verlangten entgegensehend, grüßt Sie freundschaftlich Kunz, Oberst.“ Der Brief war bei den Acten und wurde verlesen. Die Frau Leuthold erhielt die 50 Franken. Aber schon am nächsten Tage mußte sie wieder Geld haben, und jetzt hatte sie einen anderen Vorwand. Der Oberst Kunz habe eine Tochter, die in Morgenthal krank liege und nur durch Geld gesund werden könne, das von einem braven Manne komme. All das eigene Geld des Obersten könne nicht helfen. Sie forderte nur 35 Franken, und Weidmann gab sie. Schon nach wenigen Tagen war sie abermals bei ihm. Die 35 Franken hätten nicht gewirkt, weil Jemand (seine Schwester, die Frau Boller) zugegen gewesen, als er sie hergegeben habe. Sie forderte und erhielt 150 Franken.

Auch die hatten jedoch nicht gewirkt, „weil es Wirthschaftsgeld gewesen sei; sie müsse anderes Geld haben.“ Sie forderte 250 Franken. Freilich ließ ihm der Oberst Kunz dafür zu dem „schönen Heimwesen“ noch „12 einschläfige Betten“ versprechen, und das Heimwesen sei auch schon für ihn gekauft, es dürfe das nur noch Niemand wissen, und es sei der bestimmte Wille des Herrn Obersten, daß Weidmann sich nicht länger als Instructor plage. Leuthold gab die 250 Franken, ging dann zu seinem Bataillonscommandanten und forderte seinen Abschied als Instructor, „er wolle keinen Dreck mehr stampfen.“

(Fortsetzung folgt.)




Petersburger Winterleben.
Von August Stahlberg.

Welch ein Leben und Treiben, wenn in Petersburg der Winter eintritt! Welche Veränderung haben einige Grade Frost und einige Zoll hoch Schnee auf Alles hervorgebracht!

Gestern noch keuchte der durch das schlechte Wetter in tiefe Melancholie verfallene Droschkengaul, bis an die Fessel in den schmutzigen Wasserlachen pantschend, durch die Straßen; der sonst so lustige Kutscher hatte nur verdrießliche harte Worte und manchen kräftigen Fußtritt, von einem echt russischen Kernfluch über die schlechten Zeiten begleitet, für sein treues Roß, während der fröstelnde Fahrgast, bis über die Ohren in einem großen Mantel steckend, vorsichtig Mund und Nase zu verstopfen schien, um sich nicht durch das Einathmen der feuchten, ungesunden Atmosphäre einen tüchtigen Schnupfen oder gar die hier, besonders in den Herbstmonaten, stark grassirende Halsbräune zuzuziehen.

Heute saust der leichte Schlitten unhörbar über die weiße Fläche dahin; der melancholische Gaul scheint neubelebt in seinem wahren Elemente zu sein und gibt seine Freude durch ein geräuschvolles Prusten und Wiehern zu erkennen; der Kutscher hat sein freundlichstes Gesicht aufgesteckt, er hat seine Stiefeln heute von den während der drei vergangenen Jahreszeiten darauf abgelagerten Kothschichten gesäubert und mit dem besten Birkentheer eingeschmiert, daß vor diesem alle andern Odeurs und Essenzen an Liebreiz überbietenden Geruche selbst der verhärtetste Stockschnupfen fliehen würde; kokett auf einem Ohr sitzt ihm die viereckige, blaue oder rothe Pelzmütze, und seine fröhliche Laune macht sich durch lautes Schnalzen mit der Zunge oder durch lärmende Ermunterungen in allen Tonarten Luft. Der Fahrgast hat den Mantel, der ihn noch gestern vor dem feinen, durchdringenden Regen schützte, mit dem nationalen Pelze vertauscht, und in kräftigen Zügen athmet er die reine, stärkende Winterluft ein.

Das Vergnügen, das Behagen ist auf allen Gesichtern zu lesen; einen Jeden treibt es aus der engen Behausung auf die belebten Straßen, und die breiten, von dem Schnee gesäuberten Trottoirs des Newsky-Prospectes, dieses Boulevard des Italiens Petersburgs, fassen schon zu ungewöhnlich früher Stunde kaum mehr die Menge von Spaziergängern beiderlei Geschlechts.

Auf die sonst so blassen, fast krankhaft aussehenden Gesichter der Damen scheint die frische Luft die schönsten Rosen gezaubert zu haben, und man liest das Vergnügen in ihren Augen, welches sie empfinden, einmal wieder das Parquet ihres Salons mit dem Trottoir vertauschen zu können, ein Vergnügen, welches ihnen nur selten zu Theil wird. Ich könnte sagen, um mich doch einigermaßen dichterisch auszudrücken und mir vielleicht einen Dank von dieser oder jener Schönen zu verdienen, man sehe sie in ihren eleganten, mit kostbaren Pelzen besetzten Wintermänteln dahinschweben, oder in irgend einer anderen poetischen Art und Weise von ihrem leichten graciösen Gange sprechen, doch muß ich zu meiner Schande gestehen, daß ich lieber auf den Dank dieser schönen Spaziergängerinnen verzichte und, der Wahrheit die Ehre gebend, rundweg erkläre, daß die Petersburger Damen weder dahinschweben, noch den Boden nur so mit ihren Füßen berühren, sondern so recht nach Herzenslust dahinwatscheln, ein Watscheln, welches um so stärker wird, je vornehmer sie sind oder sich wenigstens dünken. Es ist nicht jenes leichte Hüpfen der munteren Französin, jenes weiche geschmeidige Durchbiegen des Körpers, wo jeder Muskel Leben, jedes Glied Elasticität zu haben scheint; nicht das üppige, wollüstige Sichgehenlassen der spanischen Sennora; nicht der stolze,

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