Seite:Die Gartenlaube (1860) 274.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

„Weiße Fichte,“ sagte er, „die Sonne wird gleich untergehen, die Nacht kömmt heran und es ist Zeit, daß wir daran denken, wo wir unser Lager aufschlagen.“

„Die Nacht kommt für den Müden so willkommen, als der Tod dem von der Feuerqual Gefolterten,“ sagte die Weiße Fichte.

„Ich schäme mich nicht zu sagen, daß ich müde bin. Es war ein verwünscht langer Marsch, und ich bin weder ein Wolf noch ein Cariboo,“ erwiderte Winters.

„Mein Bruder ist stark, sein Fuß ist schnell und er ermüdet nicht auf dem Pfade.“

„Ich weiß, daß ich groß und stark bin, aber am Ende bin ich doch nur von Fleisch und Blut.“

„Der gewaltige Flügel des Adlers muß ruhen, der schnellfüßige Hirsch sich niederlegen im grasigen Tiefland, der sehnige Stör seine Floßfedern rasten in der Untiefe, Alle müssen ruhen, nur nicht der gute Manitou.“

„Und die großen Feuercanoes (Dampfschiffe), von denen ich Dir oft erzählte.“

„Der rothe Mann kennt nicht die feuerbeschwingten Häuser der Blaßgesichter auf den großen Gewässern.“

„Es ist so wahr, als die Religion der Indianer oder irgend eine andere, aber dies hat nichts mit dem zu thun, was ich will. Meine Gebeine schmerzen mich, als wäre ich wie Maiskorn zerquetscht worden, und ich bin so hungrig wie ein Bär im Frühjahr.“

„Der Manitou gab uns die Erde als einen Ruheplatz. Der dichte Wald schützt ihn vor dem kalten Hauch der Nacht, und der Stern flammt von seinem Wigwam, um seinen Kindern als Leuchte zu dienen!“

„Das ist Alles wahr, Weiße Fichte, aber wenn ich mich nicht irre, so muß eine Höhle, in der Du und ich mehr als einmal Schutz vor dem Sturm und der Kälte gefunden, ganz in der Nähe hier sein.“

„Das Ohr des Todsenders (Winters war wegen seiner Geschicklichkeit mit der Büchse, die, von seiner Hand abgefeuert, sichern Tod brachte, von den Ojib-was-Indianern so genannt worden) vergißt nicht die Worte, die in sein Ohr geflüstert worden, noch sein Auge den Berg, Felsen oder Strom, auf denen er einmal gerastet.“

„Aber die Höhle, Weiße Fichte!“

„Mein blasser Bruder sehe sich um.“

„Ja, da ist sie, ich kenne jetzt den Platz gar wohl,“ und von dem Wege gehend, klimmte er auf eine felsige Klippe und das hohe Gras und dichte Buschwerk, das den Eingang zur Höhle verdeckte, bei Seite schiebend, zeigte er dem Indianer die niedrige und enge Mündung der Höhle.

Ein Augenblick der sorgfältigsten Prüfung, ob die Höhle nicht ein Zufluchtsort wilder Thiere geworden, genügte sie zu überzeugen, daß dem nicht so war, worauf sie sich in die Höhle begaben und von dem Wilde, das sie am Morgen in Schlingen gefangen, ein kräftiges Mahl bereiteten. Nachdem sie die Oeffnung der Höhle sorgfältig mit noch mehr belaubten Zweigen verdeckt hatten, legten sie sich auf den steinigen Boden und suchten die Ruhe, deren sie so sehr bedurften.

War ihre Ruhe auch sicher? Beinahe zur selben Stunde, als sie aufbrachen, waren dunkle Gestalten, unermüdlich und blutdürstig wie der Wolf und geräuschlos wie der fallende Schnee, ihrer Fährte gefolgt und warteten jetzt auf einen günstigen Augenblick, um sie zu Gefangenen zu machen. Schlaft zu, so lange Ihr könnt, wackere Brüder, denn bald wird ein Erwachen kommen, verbunden mit Gefahr, Blutvergießen und selbst Tod. Schlaft zu, denn Ihr wißt nicht, schlafend in eingebildeter Sicherheit, wie bald die Glocke schlagen wird, deren Laut Euer unglückliches Schicksal ankündigt!

Mitternacht ging vorüber, und ein dunkler Gegenstand, gleich einer großen Schlange, kroch langsam und geräuschlos nach der Mündung der Höhle, und das den Eingang verbergende Gebüsch ward vorsichtig bei Seite geschoben. Das Sternlicht, das in die Höhle einen schwachen Schein warf, war indeß hell genug, um die in tiefen Schlaf versunkenen zwei Gestalten sichtbar zu machen. Nach einem Augenblick ertönte ein schwacher Ruf, gleich dem eines halb träumenden Nachtvogels, und Alles war still.

Eine andere Gestalt und wieder viele andere erschienen am Eingang der Höhle, der schrille Kriegsruf (war-whoop) ertönte in der stillen Nacht, Krieger um Krieger füllten die Höhle, sich auf den Trapper und seinen Gefährten werfend und Beide mit Lederriemen fest bindend, während sie im Schlafe auf den blumenbedeckten Pfaden des Traumlandes wandelten. Welch’ ein Erwachen aus diesem Schlafe! Wie schrecklich war es, daß sie sich als die Gefangenen der wilden, rachsüchtigen und grausamen Ojib-was fanden! Fest gebunden brachten sie die Nacht, scharf von einem Theil des Indianerhaufens bewacht, zu, wobei die rothen Teufel, die selbst bei dem wehrlosen Zustand ihrer Gefangenen ihrer Neigung, ihre Feinde zu foltern, nicht widerstehen konnten, fortwährend ihre Arme und Füße, die so fest zusammengeschnürt waren, daß sie stark aufschwollen, mit der scharfen Spitze ihrer Scalpmesser stachen oder mit den Feuersteinspitzen ihrer Pfeile, die sie in dem wohlunterhaltenen Lagerfeuer glühend machten, brannten. Sie wußten, daß sie für den grausamsten Tod, den indianische Wildheit erfinden konnte, bestimmt waren und daß sie keine Aussicht oder Gelegenheit zu entfliehen haben würden.

Als der Morgen anbrach, wurden Winters und die Weiße Fichte theilweise von ihren Banden befreit und mit Lebensmitteln versehen. Nachdem ihr Frühstück vorüber war, brachen die Indianer auf, und die Gefangenen in ihrer Mitte, schlugen sie den Pfad ein, der nordwärts nach der Heimath der Ojib-was an den Ufern des Kam-au-is-tique führte. Spät in der Nacht ruhten sie aus, wurden wieder gebunden und mißhandelt, und dann ward bei der ersten Morgendämmerung die Reise wieder fortgesetzt.

Es war Mittag, als die wilden Krieger mit ihren Gefangenen die Wigwams der Ojib-was erreichten. Ohne ein Wort zu sprechen und ohne einen grüßenden Blick gingen sie durch das Dorf und führten ihre Gefangenen in den Gefängniß-Wigwam, der in der Mitte des Dorfes gelegen war. Da wurden sie gelassen, Beide gebunden an Händen und Füßen, und jeder Krieger eilte nach seinem Wigwam.

Obgleich aller Hoffnung zu entkommen beraubt, und obgleich sie wußten, welch qualvoller Tod ihrer wartete, so konnte doch dadurch die lebhafte und sorglose Gemüthsart Winters’ nicht zerstört werden; denn kaum hatte der letzte Indianer den Wigwam verlassen, als er sich zu seinem Gefährten hinrollte und halblachend sagte: „Ich glaube, unser Spiel ist ausgespielt. Alles aus mit uns, wie die Ratte in der Falle.“

„Die Weiße Fichte kann brechen, aber nie sich beugen.“

„Ja wohl, aber Du wirst verwünscht zersplittert werden.“

„Die Weiße Fichte wird mit dem Kriegsgesang auf den Lippen nach den glücklichen Jagdgründen wandern.“

„Ich werde es auch, wenn ich muß, aber wenn ich eine gute Gelegenheit ersehe, so will ich ihnen meinerseits Gelegenheit zu einer langen Jagd geben, ehe sie meinen Scalp erwischen.“

„Ching-wau-konce wird sterben!“

„Wir sind aus einer schlimmeren Klemme als diese entwischt, und warum nicht auch aus dieser?“

„Laß den Todsender meinen Worten lauschen! Letzte Nacht, als die schwere Hand des Schlafes auf jedem Augenlide ruhte, außer meinem, als der Mond und die Sterne durch die schwarze Sturmwolke verhüllt waren und der Nordwind murmelte, als er durch den Wald strich, als der See ein klagevolles Lied gleich einem Grabgesange sang, als die Blätter der Bäume längs des Pfades rasselten, gleich dem Rasseln vieler schuppiger und zorniger Schlangen, da kam eine Stimme zu dem Ohre der Weißen Fichte und er trank ihre Worte. Die Tod weissagende Eule ruhte auf einem entlaubten Zweige über ihm, und er wußte, daß die dunklen Geister des Verhängnisses auf den Flügeln des Sturmes ruhten. Die Worte, die geflüstert worden, mögen nicht wieder erklingen, aber es wird kein anderer Mond über die athmende Gestalt der Weißen Fichte aufgehen! Die Blätter sagten es ihm, der heisere See murmelte es, die schwarzen Geister sangen es, und die Eule, als sie mit ihren Flügeln sein Gesicht schlug, krächzte es in seine Ohren. Das Canoe wartet an dieser Seite des Todesflusses, um ihn über die schwarzen Fluthen zu tragen, und eine Geisterbraut hat in dem neuen Wigwam an dem jenseitigen Ufer ein Feuer angezündet und wartet auf ihn. Ching-wau-konce wird sterben!“

Da Winters wußte, daß es nutzlos sei, die abergläubischen Gefühle des Indianers zu bekämpfen, so machte er auch keinen Versuch hierzu, da er selbst von trüben Ahnungen ergriffen war. Er bemühte sich jedoch, seinen rothen Bruder aufzuheitern und Mittel zur Flucht zu ersinnen, und so ging die Zeit vorüber, bis die Indianer, die Beide gefangen genommen, mit geschwärzten Gesichtern

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 274. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_274.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)