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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

nach einer stummen Pause fort – „die Zeit eilt – zu den Geschäften! Ich habe noch andere Aufträge für Dich. Sieh hier dieses Papierstückchen. Es ist nöthig, daß es sicher in die Hände des Rittmeisters Stülpnagel komme. Was darauf steht, bedeutet: „Casematte Nr. 3.“ – Das ist die erste unter dem Fürstenwalle, weißt Du; „Object Elbthor,“ das heißt: das, was die in dieser Casematte Einquartierten thun sollen, wenn das Signal von mir gegeben ist, besteht darin, das Brück- oder Elbthor zu nehmen. „Besetzt“ bedeutet: sie sollen dort bleiben, bis ich zu ihnen stoße. Wenn Stülpnagel das Papier nur zugesteckt erhält, er wird schon begreifen. Kannst Du ihn sprechen und es ihm erklären, desto besser. Und nun ist hier eine zweite Ordre, für die Casematte 5, d. h. für den Obristwachtmeister Ehrentraut – sie sollen die Bastion Kurfürst nehmen. Wenn es geschehen, ziehen sie sich nach dem Marktplatz hinab – das bedeutet der Pfeil! Das Signal kennen sie Alle?“

„Alle!“ antwortete Esther.

„Und was ich Dir gestern auftrug, ist ausgerichtet?“

„Ich habe gestern für den Rittmeister Stülpnagel ein Zettelchen mit Ihrer Weisung, an einen kleinen Stein gebunden, in die Casematte in dem Fürstenwalle geworfen.“

„Bist Du auch vorsichtig?“

„Sorgen Sie nicht,“ erwiderte Esther, indem sie eines der beiden kleinen Papiere nahm, zusammendrückte und sich in’s rechte Ohr steckte, wonach sie das andere auf der entgegengesetzten Seite eben so verbarg und dann ihre schwarzen Locken darüber niederfallen ließ. „So findet sie Niemand,“ sagte sie.

„Oder,“ erwiderte Frohn lachend, „man denkt höchstens, Du trügest Baumwolle gegen Zahnweh in den Ohren, was freilich, wenn man Deine Perlenzähne sieht, ein wenig verdächtig wäre! Also die Schlüssel zu dem Laboratorium …“

Frohn schwieg plötzlich und begann sehr eifrig sein Frühstück zu verzehren, denn eben trat der Corporal, der Esther begleitet hatte, von draußen herein und mahnte das junge Mädchen zum Gehen.

„Nur noch einige Minuten Geduld!“ sagte Frohn, „Er würde auch nicht gleich an’s Essen denken, Camerad, wenn Er gefangen säße und es träte ein so herziges Mädel bei Ihm ein. Aber sag’ Er mir, Corporal, wer sitzt denn da drüben in dem Cachot, um das die hohen Pallisaden eingerammt sind, daß die Schildwachen, die davor stehen, nicht einmal in das Fensterloch sehen können?“

„Das hat der König so befohlen,“ versetzte der Unterofficier, „damit der Gefangene nicht mit den Leuten auf den Posten reden und sie bestechen kann.“

„Wer ist es denn?“

Der Corporal zuckte die Achseln. „Es muß wohl ein schlimmer Gesell sein. Man weiß es nicht recht. Das Gefängniß ist auf Befehl des Königs für ihn vor Jahren extra gebaut, und er soll in Ketten stecken, daß es zum Erbarmen ist. Man sagt auch, der König würde dem Commandanten den Kopf vor die Füße legen lassen, wenn er fortkäme.“ Der Corporal wußte weiter nichts anzugeben, oder wollte es nicht – Esther packte ihr Eßgeräth zusammen, und Beide gingen.

Frohn hatte noch fast einen ganzen Tag vor sich, bevor er es wagen dürfte, seine unterirdische Reise anzutreten, um seinen Besuch von gestern zu wiederholen. Es wurde ihm schwer, diese langen müßigen Stunden hinzubringen; für einen Mann, dem die Thatkraft alle Sehnen anspannt, dem der Drang nach Leben und Bewegung in allen Adern klopft, ist es eine traurige Sache, in einer preußischen Casematte zu sitzen, ohne eine andere Beschäftigung als – zu denken: ein Zeitvertreib, der, auch wenn er in einer angenehmeren Umgebung vorgenommen werden kann, z. B. im weichen Fauteuil eines bequemen Boudoirs, von vielen Leuten gescheut und gemieden wird…

Das war nun freilich bei unserem Helden, obwohl er weit mehr ein Mann der That, als der Speculation war, nicht der Fall; er scheute das Sinnen und Ueberlegen nicht, aber er empfand an diesem Tage eine entsetzliche Langweile dabei, weil die doppelte Spannung, in welche ihn sein der Ausführung sich näherndes Complot und die bevorstehende Verhandlung mit dem Freiherrn von der Trenck versetzte, ihn quälte und unruhig in dem langen Casemattenraume auf und ab rennen ließ.

Endlich waren seine Leute zurückgekehrt, das Abfütterungsgeschäft war vollbracht, – er konnte sich zur unterirdischen Reise anschicken und zündete seine Laterne am Auerhuber war heute der Theilnahme an der Fahrt überhoben. Er hatte blos Wache zu halten, für den Fall, daß er berufen werde, was durch einen Pfiff geschehen sollte. Auch den Minengang hatte er zu bewachen, da sich, nachdem Frohn hindurchgekrochen, möglicher Weise Sandschichten lösen und ihn verschütten konnten.

Frohn fand bei Trenck Alles wie am vorigen Tage; der Freiherr lag auf seinem Bett und blätterte beim Schein einer Kerze, die zu seinen Häupten auf dem Mauertische stand, in einem ziemlich starken, mit Blut engbeschriebenen Hefte. „Guten Abend, Herr Camerad,“ sagte er, als er den Kopf Frohn’n in seiner Zelle auftauchen sah … „es ist brav, daß Sie kommen.“

„Sie haben sich entschlossen, mir beizustehen?“ flüsterte Frohn, indem er sich aufschwang und dann herantretend den Sand aus seinen Kleidern schlug.

„Reden wir davon später! Ich brenne vor Begierde, Ihnen ein großes moralisches Gedicht vorzulesen, das ich in meiner Einsamkeit verfertigt habe und das meinen Namen auf die spätesten Zeiten bringen wird, wenn auch das Andenken an meine beispiellosen Leiden und die Art, wie ich mich daraus gerettet habe, je vergessen werden könnte!“

„Um Gotteswillen,“ sagte Frohn – „werfen Sie Ihre Perlen nicht vor die Säue – ich verstehe nichts von dem Poetisiren und ich wäre zudem heute nicht im Stande, drei Zeilen mit Aufmerksamkeit anzuhören.“

„Sie verstehen nichts davon? – nun, desto besser – desto tieferen Eindruck wird es auf Sie machen; es ist so schwungvoll, daß es einen Wilden hinreißen muß –“

„Ich bitte Sie nichts desto weniger …“

„Nun, wie Sie wollen,“ viel Trenck mißvergnügt ein, indem er das Heft zur Seite warf. „Dann reden wir von etwas Anderem. Erzählen Sie mir von sich – woher stammen Sie eigentlich? Ich höre an Ihrem Dialekt, daß Sie kein Oesterreicher sind. Welche Carrière habe Sie gemacht? Plaudern Sie mir davon vor. Es wird mich unterhalten!“

„In diesem Loch, 68 Pfund Ketten neben sich und einen eisernen Ring um den Hals, spricht dieser Mensch wie ein König!“ dachte Frohn. „Ich rede nicht den österreichischen Dialekt, weil ich aus dem Reiche bin,“ antwortete er dann; „aus dem Mosellande, wo mein Vater fürstlich Löwensteinscher Amtskellerer war. Ich habe zu Würzburg studirt, lustig gelebt, Schulden gemacht, mich darüber mit dem würdigen Papa entzweit und bin zu den österreichischen Werbern in Frankfurt gegangen, wo man einen Burschen von meiner Länge mit rührender Zuvorkommenheit aufnahm…“

„Kann’s mir denken,“ sagte Trenck.

„Und als Studirter von gutem Herkommen,“ fuhr Frohn fort, „hab’ ich’s leicht gefunden, es in einem Warasdiner Regiment an der banatischen Grenze zum Regimentsschreiber und dann mit der Zeit zu den Officiersschnüren zu bringen. Gefangen wurde ich in der Schlacht von Liegnitz.“

„Mit vielen Anderen,“ fiel Trenck spöttisch ein.

„Wir wurden,“ erzählte Frohn weiter, „hierher nach Magdeburg gebracht, und da unser über tausend waren, wir auch wußten, daß wir sehr viel Cameraden finden würden, so kam uns sehr bald der Gedanke, daß es möglich sein müsse, auf irgend eine Weise fortzukommen. Die meisten von uns Officieren gaben deshalb ihr Ehrenwort nicht, keinen Fluchtversuch machen zu wollen, und wurden demzufolge mit den Gemeinen in Casematten eingesperrt. Die Anderen gehen frei, wie Sie wissen werden, in der Stadt umher – wegen des Ehrenwortes, das sie abgelegt haben, bieten sie uns jedoch keine Unterstützung, und ich habe sie bei meinem Plane ganz aus dem Spiele gelassen.“

„Daran haben Sie wohl gethan,“ entgegnete Trenck, „je weniger Mitwisser, desto bester. Ihr Plan scheint mir überhaupt das Mißliche zu haben, daß zu Viele darin eingeweiht sind!“

„Wir dürfen deshalb mit der Ausführung nicht zögern,“ bemerkte Frohn. „Ich hoffe mir heute von Ihnen den Schlüssel zu unserer Casematte zu holen und das Versprechen, daß Sie mit uns losbrechen wollen … .“

„Den Schlüssel?“ fragte Trenck sehr nachdenklich. „Ich meine, Sie brauchen ihn gar nicht. Lassen Sie ihn mir. Denn sehen Sie – entweder gelingt Ihr Plan – dann werden Sie als guter Camerad mich ohnehin befreien; oder er mißlingt – dann wird man mich, wenn ich daran Theil genommen, auf ewig unschädlich machen. Meine letzte Hoffnung ist dann für immer dahin.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_322.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)