Seite:Die Gartenlaube (1860) 411.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

russischen Soldaten, die sich bei ihm in Gefangenschaft befunden hatten und von denen Einige in Kaluga in Garnison standen. Alle baten mich um die Gunst, sie dem Schamyl, „ihrem ehemaligen Wirthe“, vorzustellen. Ich erfüllte ihren Wunsch um so lieber, als auch Schamyl, der von der Anwesenheit dieser Soldaten in Kaluga gehört hatte, sie zu sehen wünschte. Er befragte einen Jeden weitläufig, wo er in der Gefangenschaft gelebt, wie sein Herr geheißen, dem er zugefallen sei, ob man ihn gut genährt habe. Dabei zeigte es sich, daß, je näher die Gefangenen der Festung Dargo gewesen, desto leichter auch ihre Arbeiten gewesen waren, desto menschlicher waren ihre Herren mit ihnen umgegangen, und desto reichlicher hatte man sie genährt. Einer dieser Soldaten hatte sich im Hause des bekannten Naibs Talchika befunden, des Schwiegervaters des verstorbenen Dshemaleddin. In Folge dieser Verwandtschaft brachte man Schamyl’s kleine Kinder häufig zum Besuch zu den Kindern Talchika’s, der in Talchik-otàr, nicht weit von Weden, lebte. Außer seinen gewöhnlichen Verpflichtungen mußte der gefangene Soldat Schamyl’s Kinder gewöhnlich wieder nach Hause bringen. Unterwegs liebkoste er sie und pflegte sie wie eine Wärterin, wofür sie ihn wiederum sehr lieb gewannen. Als Schamyl diesen Umstand aus dem Munde seines ehemaligen Gefangenen vernahm, schien er sehr bewegt, behandelte ihn überaus wohlwollend, beschenkte ihn, nach seiner Gewohnheit, reichlich und forderte ihn auf, wenn seine (Schamyl’s) Familie angekommen wäre, ihn zu besuchen und wieder mit seinen Kindern zu spielen.

Noch interessanter war aber ein Auftritt mit einem andern Soldaten von der 21. Artillerie-Brigade. Dieser war bei Kurkchulü in Gefangenschaft gerathen, hatte sich erst in Daghestan befunden, war dann bei einem Fluchtversuche einem andern flüchtigen Soldaten begegnet, der ihn, aus Unbekanntschaft mit unseren Grenzen, statt nach dem russischen Lager, geradezu nach Weden geführt hatte, von wo aus er in der Folge wieder entfloh. Mit Hülfe seiner Landsleute, die als Deserteure in Weden lebten, gelang es ihm, nicht den Gefangenen, sondern den Flüchtlingen zugezählt zu werden, welche völlig frei waren und große Vorrechte vor den übrigen Gefangenen, selbst vor den Eingeborenen genossen; die Handwerker, die eine ganze Compagnie bildeten, lebten sogar sehr anständig. Dieser Compagnie wurde unser Gefangener zugetheilt, und dadurch hatte er oft Gelegenheit, Schamyl persönlich zu sehen, da dieser ihren Arbeiten große Aufmerksamkeit schenkte und sie reichlich belohnte.

Kaum erblickte dieser Soldat Schamyl, als er auf ihn zueilte, seine Hand ergriff und sie küßte. Dies setzte mich in Verwunderung, da keiner von den übrigen Soldaten dieses gethan hatte. Selbst Schamyl, der doch an dieses Zeichen der Ehrerbietung von seinen Muselmännern gewöhnt war, schien darüber verwundert. Indem er den Soldaten befragte, erfuhr er unter Anderem, daß der Soldat zuerst seinem Herrn in Daghestan und dann auch ihm in Weden entflohen war.

„Warum hast Du mich denn verlassen?“ fragte er ihn; „es ging Dir doch gut in Weden?“

Der Soldat antwortete mit einer Redensart, die soviel bedeutete: „Zu Gaste sei es angenehm, zu Hause aber noch besser, und ein Eid sei keine Kleinigkeit.“

„So muß ein guter Mensch sein,“ sagte Schamyl und benahm sich gegen ihn noch freundlicher, als gegen die übrigen Soldaten.

„Sage mir doch,“ fragte ich den Soldaten beim Weggehen, „warum hast Du dem Schamyl die Hand geküßt, er ist Dein Herr nicht mehr? In den Bergen mag es wohl so Gebrauch gewesen sein, aber wozu hier noch?“

„Nun, Ihro Wohlgeboren,“[1] antwortete der ehemalige Gefangene, „man hat uns nie gezwungen, dem „Schmsl“ die Hand zu küssen; ich habe es aber von ganzem Herzen gethan.“

„Wie so, von ganzem Herzen?“

„Je nun, Ihro Wohlgeboren, weil der Mann es verdient. Nur den Gefangenen ging es gut, welche in seiner Nähe lebten, oder da, wo er durchreiste. Er erlaubte unsern Herren nicht, uns zu mißhandeln, und bei der geringsten Klage nahm er den Gefangenen zu sich, und es traf sich wohl, daß er den harten Herrn noch strafte. Das habe ich selbst oft gesehen.“

„Also war er gütig gegen die Gefangenen?“

„Sehr gütig, Ihro Wohlgeboren, mit einem Worte – herzensgut! Schade, daß er nicht an Christum glaubt, aber ’s ist doch ein braver Mann!“




Scenen aus dem Volksleben in Neu-Orleans.
Von Balduin Möllhausen.

„Komm, laß uns den Kampf der Jenny Lind mit dem General Kossuth ansehen; das Wetter ist herrlich, eine kühlende Seebrise weht vom Golf herauf, und die Fahrt auf dem Mississippi ist allein schon einen halben Dollar werth.“ So rief mein Freund, als er eines Sonntags Nachmittags zu mir in mein Logirzimmer im Tchoupitoula-Hotel trat, den breitrandigen Panama-Hut in die eine Ecke, den leichten Rock in die andere Ecke und sich selbst auf das bequeme, rohrgeflochtene Sopha warf.

„Also findet der Kampf heute bestimmt statt?“ fragte ich.

„Natürlich,“ antwortete mein Freund, ein beweglicher junger Creole, „und zahllose Menschen strömen schon nach den Fährbooten, um sich zur rechten Zeit einen Platz in dem Circus zu sichern, der dieses Mal auf dem jenseitigen Ufer errichtet ist. Auch hohe Wetten sind schon eingegangen worden.“

„Auf wessen Seite wird am höchsten geboten?“ fragte ich weiter.

„Bis jetzt ist kaum ein Unterschied zu bemerken,“ fuhr der Creole eifrig fort; „man traut freilich dem Kossuth mehr Kraft zu, doch soll Jenny Lind um so größere Gewandtheit besitzen. Ich selbst möchte auf letztere wetten, schon deshalb, weil sie vor drei Wochen erst den Präsidenten Fillmore im redlichen Zweikampfe besiegte und ihn mit ihren scharfen Zähnen und den langen Krallen so zurichtete, daß derselbe heute noch als Patient betrachtet werden muß.“

„Ich denke, Fillmore hat der Lind einen so furchtbaren Rippenstoß versetzt, daß sie lahm geworden ist?“

„Es war nur ein Streifstoß, der ihr kaum die Haut ritzte, und die Jenny ist jetzt wieder so rüstig wie jemals; genug, ich wette auf sie, so hoch Du nur willst.“

„Und ich wette unbesehenn auf Kossuth,“ gab ich zur Antwort, „vorausgesetzt, daß er nicht mit stumpfen Waffen kämpft.“

„Angenommen! doch was gilt die Wette?“

„Drei Flaschen von dem Bewußten.“

„Hier ist meine Hand! aber nun vorwärts.“

Fünf Minuten später saßen wir auf dem Verdeck eines vollgepfropften Omnibus und rollten lustig die Tchoupitoula-Straße entlang, bis dahin, wo eine Querstraße nach dem Mississippi hinunter führte. Nicht ohne Gefahr für unsere Glieder kletterten wir dann von dem erhöhten Sitz, schlossen uns dem Menschenstrom an, der sich der Fähre zubewegte, und befanden uns bald darauf im Gedränge vor dem Schlagbaum eines Dampfbootes, wo Mann für Mann gegen Entrichtung von zehn Cent, zur Fahrt über den „Vater der Flüsse“ zugelassen wurde.

Die Fähr-Dampfer, deren Eigner mit an der Speculation des Kampfspiels betheiligt waren, hatten zu dieser Gelegenheit ein festliches Kleid angezogen: zahlreiche Flaggen zierten Tauwerk und Schornstein; riesenhafte Anschlagezettel, die eben so bunt waren, wie die dortige Bevölkerung, bedeckten jede Wand, auf welcher sich ein ebener Flächenraum von nur zwölf Quadratfuß befand; aber hoch oben, an der äußersten Spitze des Mastes, da flatterten die lustigen Sterne und Streifen der Vereinigten Staaten, die jedem echten Amerikaner voranleuchten müssen, sei es nun zur Schlacht und zum Sieg oder zu harmlosem Spiel und Faschingscherz. – Nach vielem Drängen und Stoßen gelangten wir endlich mitten auf’s Boot, welches sich inzwischen wieder in Bewegung gesetzt hatte, und zwar gerade vor ein Zwillingspaar der gigantischen Papierfelder, die, das eine feuerroth, das andere himmelblau, die Bildnisse der Kämpfer, deren Namen und die Beschreibung ihrer hervorragendsten Tugenden und Eigenschaften zur Schau trugen.

Auf dem rothen Grund prangte ein prächtiger Stier, und unter demselben las man: „General Kossuth!!! Einer der wildesten Stiere

  1. Die gewöhnliche Anrede der russischen Soldaten, ihren Vorgesetzten gegenüber
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 411. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_411.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)