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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Mephistophelismus aus den weißglänzenden Augen leuchten, wenn nicht der gutmüthige Gruß und der von strenger Arbeit ermüdete schwerfällige Gang uns rasch trösteten, daß hier durchaus keine Teufeleien zu befürchten sind. Nicht einmal von Geistern und Unholden werden sie geneckt, denn ihre Gruben sind gesund, werden weder von „bösen und schlagenden Wettern“, noch von Wildwassern heimgesucht, und das feste Gestein (blauschwarzer Kalk) bürgt dafür, daß kein Stollen „nachfällig“ werde. Von einem einzigen traditionellen, geisterhaften Anzeichen wissen sie zu erzählen, das noch in unseren Zeiten repetirt, und dies ist folgendes: Wenn die Knappen im ziemlich unergiebigem Gestein arbeiten und die Oeffnung neuer reichhaltiger Erzgänge bevorsteht, so geschieht es, während sie ahnungslos im Knappenhause beim Essen sitzen, daß vom Bergwerke her, über die Steine bis auf die hölzerne Stiege laute Tritte erschallen, als ob dreißig und mehr Arbeiter mit schweren, eisenbeschlagenen Schuhen sich näherten. Die Knappen springen hinaus – aber Nichts ist zu hören, noch zu sehen, nur der Waldbach rauscht durch die einförmige Stille.

Imposant, schaurig, großartig ist der Eingang zur mittleren Grube. Wir stehen am Fuße der beinahe 2000 Fuß hohen Felsenwand. Diese ist gespalten; eine fast senkrechte Schlucht klafft wie eine riesige Wunde uns entgegen. Nach dem Berg-Innern zu verdüstert es sich geheimnißvoll. Bergdohlen umflattern die Klüfte, in denen sie nisten, mit schwirrendem Geschrei, das wie in einer Kirche wiederhallt. Hoch droben gähnen schwarze, höhlenartige Löcher, und daneben klebt eine dunkele Holzbaracke im Gestein wie ein angebautes Schwalbennest. Das ist die Grubenpforte. Von dieser gleiten in jähen, aus rohen Baumstämmen construirten Rinnen die guten und schlechten Erze polternd hernieder. Hei! glitzert es da wie californische Beute und peruanischer Ueberfluß von den im brennenden Sonnenschein goldgelb flimmernden Schwefelkiesen, diesem hüttenmännischen Unkraute, das alle Metalle im Ofen verdirbt. Wie gar oft im Menschenleben äußerer Prunk und Glanz innere Gehaltlosigkeit und moralische oder geistige Fäulniß verdecken muß, während gediegene Charaktere voll inneren Werthes schlicht, anspruchslos, einfach dahergehen, so auch hier. In der Neben-Rinne kommt das unscheinbare, aber köstliche, gehaltvolle Mangan-Erz herab, das wie hellgrauer Kalkstein aussieht. – Es geht an’s Klettern; steil hinauf, neben der Kluft, führt eine pfadähnliche Zickzacklinie an blühenden gelben Alpenprimeln und feuerroth leuchtenden Eriken (im Volksmunde „Brüsch“ genannt) vorüber, zu einem schmalen Felsenband, und über dieses in die Schlucht hinein. Das ist ein unheimlicher Aufenthalt, der unwillkürlich an Lenau’s Faust erinnert, wo er die erste Bekanntschaft mit dem bösen Geiste macht:

„Da plötzlich wankt und weicht von seinem Tritt
Ein Stein und reißt ihn jach zum Abgrund mit;
Doch faßt ihn rettend eine starke Hand
Und stellt ihn ruhig auf den Felsenrand:
Ein finstrer Jäger blickt in’s Aug’ ihm stumm
Und schwindet um das Felseneck hinum.“

Hier brausen im Winter und Frühjahr die Lauinen mit donnerndem Krachen hernieder und füllen die breite, hohe Schlucht nach und nach mit ihren abgelagerten Schneemassen aus. Kein Bergmann, kein Schlitter würde es wagen, im Winter den Weg, den wir soeben passirten, zurückzulegen. Darum führt im Innern des Bergwerkes ein sogenannter Winterweg von der mittleren Grube zu der hinter dem Knappenhause sich öffnenden vorderen Grube.

Um ein Bild vom Inneren des Grubenbaues zu geben, müßte das, was allen Lesern aus anderen Bergwerksbeschreibungen schon genugsam bekannt ist, wiederholt werden. Lange, nachtdunkele Gänge, bald ganz horizontal, bald etwas steigend oder fallend, der laufende Hund (Grubenwagen) auf den Schienen, dumpfschallendes Hämmern der Arbeiter, wandernde Grubenlichter, donnerndes Knallen beim Sprengen und rasselndes Fallen des Gesteins nach dem Schuß, das Alles ist, wie gesagt, allgemeiner Natur. Nur eine Eigenthümlichkeit verdient Erwähnung. In der Grube Nr. 1, wo hauptsächlich reichhaltiger Magnet- und Rotheisenstein gewonnen werden, ist die Lagerung gen N.-O. abfallend vielfach geknickt und gebogen und darum der Gang der Stollen auch ein wellenförmiges Auf- und Absteigen. In der mittleren Grube dagegen, wo vorherrschend kohlensaures Mangan-Erz exploitirt wird, steht der Gang fast vertical, sodaß die Stollen aus hölzernem Einbau über grausen schwarzen Tiefen, früher abgebauten Gängen, eingesprengt sind. Das Bergwerk wird seit 1824 auf’s Neue durch Herrn Neher von Schaffhausen betrieben und gewinnt jährlich ca. 40,000 Centner 40 bis 60 Procent haltendes Erz.

Um endlich auf die Spitze des Gonzen zu gelangen, bedarf es nochmaligen 11/2stündigen Steigens; erst geht es an einer etwa 50 Sprossen zählenden, in die Felsenwand senkrecht mit Ketten befestigten Leiter hinauf (hierzu bedarf es eines schwindelfreien Kopfes), dann übers Ochsenälpli immer auf Rasenboden und zwischen einzelnstehenden Wettertannen ansteigend zu dem 5643 Fuß überm Meer erhabenen Gipfel (also 100 Fuß höher als der Rigi). Die Aussicht erschließt sich besonders gen Ost und Süd. Die Spitzen, welche man da droben sieht, hier einzeln aufzuzählen, dürfte den Leser wenig interessiren. Wer hinaufgeht, orientirt sich mit Hülfe einer guten Karte bald. Möge rüstigen Alpenfreunden die Besteigung des Gonzen hierdurch angelegentlichst empfohlen sein.




Des blinden Kindes Klage.

Ich klage nicht, daß ich nicht seh’
Des Lenzes Zauberglanz,
Des Himmels köstlichen Azur,
Der Sterne milden Kranz,
Nicht, weil der Schönheit eitles Gut
Für mich ein Traumgesicht –
Trifft nie des Meeres Pracht mein Blick,
Darüber klag’ ich nicht!

Der Vogel, der so lieblich singt,
Man sagt, er sei nicht schön –
Die Blüthe, deren Duft entzückt,
Soll oftmals farblos stehn.
O nein! die Schönheit reizt mich nicht,
Sie ist wohl bettelarm –
Ein andrer Wunsch mein Herz bewegt,
Mein Herz so liebeswarm.

Mein kleiner Bruder führet mich
Zum duft’gen Veilchenhain –
Ich kenne seinen leichten Schritt,
Für mich wie Sonnenschein;
Und meiner Mutter süßes Wort
Ist mir, wie Saitenspiel –
In ihrer Näh’ des Himmels Glück,
Der Seligkeit Gefühl!

Wenn bei der Theuren Zärtlichkeit
Mein ganzes Sein erbebt,
Wenn mich des Vaters Arm umschlingt,
An seine Brust mich hebt –
Dann füllt mit Thränen sich der Blick,
Ich weine, weil ich blind:
Der Liebe Augen seh’ ich nicht,
Ich armes, armes Kind!



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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 489. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_489.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)