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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Frohn blickte nachdenklich und betroffen das junge Mädchen an. „Und das Alles,“ sagte er dann, „weil Ihr Ordensritter eine so grausam strenge Mutter hat?“

Sie nickte mit dem Kopfe.

„Von der er abhängig ist?“

„Es muß wohl so sein!“

„Ist er denn noch gar so jung?“

„Zweiundzwanzig Jahre und –“ Sie endete nicht, als ob sie fürchte, schon zu viel gesagt zu haben.

Frohn sah nachdenklich vor sich hin.

„Wie ist’s denn gekommen?“ fragte er nach einer stummen Pause, „daß der leichtsinnige Zweiundzwanzigjährige den Orden bei der Demoiselle Therese hinterlassen hat?“

„Ach, ein Scherz war’s, ein leidiger. Als er zuletzt hier war und versprach, heute wieder zu kommen, da nahm ich ihm den Orden ab, als Pfand, daß er hübsch Wort halte, und deshalb ließ er’s geschehen und lachte dazu!“

„Eine üble Geschichte ist’s schon,“ rief Frohn aufstehend aus, und nachdenklich schritt er einige Male in dem Zimmer auf und ab.

„Aber,“ fuhr er fort, „da die Demoiselle mich einmal zum halben Vertrauten gemacht hat, so soll sie nicht umsonst auf mich gebaut haben. Ich will sehen, was zu machen ist. Nur ist’s heute keine Zeit. Ich muß fort, denn es geht auf Mittag und um Zwölf muß ich auf Wache in der Burg. Morgen Mittag werde ich abgelöst und komme zu der Demoiselle zurück, um ihr zu sagen, was ich mir ausgedacht habe.“

„Ach, Sie gehen, Herr von Frohn, ohne mir einen bestimmten Trost zu geben?“

Der Arcier zuckte die Achseln.

„Der Dienst geht Allem vor, auch dem Vergnügen, eine so liebenswürdige Demoiselle zu trösten.“

„Und gerade heute!“ sagte sie, die Hände wie in Verzweiflung zusammenschlagend.

Frohn reichte ihr die Hand. „Gerade heute? Kommt’s denn auf die vierundzwanzig Stunden an?“

Sie blickte verlegen zu Boden und sah dann mit ihren verführerischen Augen leuchtend zu Frohn empor.

„Nun, gehen Sie,“ sagte sie, „und denken Sie auf der Wach’ etwas aus, was der armen Thereserl aus ihrer Noth hilft. Aber erfahren darf kein Mensch davon! Was dann alles geschäh’, wenn’s ausgebracht würde, daß der junge Herr die arme Therese lieb hat und zuweilen zu ihr kommt, ganz im Stillen, das wär’ gar nicht auszusagen, und er ist doch ein gar so lieber, lieber Mensch –“

„Ein Engel, Thereserl, ein Engel!“ fiel Frohn mit gutmüthigem Lächeln ein.

„Ein Engel ist’s auch von lauter herziger Güte, und ich hab’ ihn auch so lieb, daß ich gleich hier das Leben für ihn gäb’, aber die Schande und den Spott und das Gerede von den bösen Leuten und die Beschimpfung, die ’s mir anthäten –“

Ein innerer Schauder zitterte bei diesen Worten durch die ganze Gestalt des geängstigten jungen Mädchens.

Frohn sah mit tiefer Theilnahme auf sie nieder.

„Ja, ja, Sie haben Recht,“ sagte er ernst.

„In’s Wasser müßt’ ich mich stürzen, lieber als das erleben,“ fuhr sie, wieder die Hände vor das Gesicht schlagend, fort.

„Und darum will ich Alles aufbieten, was in meiner Macht ist,“ entgegnete Frohn; „ich weiß schon, um was es sich handelt.“

Sie sah ihn fragend und ängstlich an, als ob sie aus seinen Zügen den Sinn dieser Bemerkung lesen wolle.

„Ich weiß schon, wer Ihr Schatz ist,“ sagte Frohn. „Soll ich ihn der Demoiselle in’s Ohr sagen?“

„Um Gotteswillen!“ rief sie erschrocken aus, indem sie ihre Hand auf seinen Mund legte.


4.

Frohn hatte seinen Wachdienst in der Burg angetreten. Die Wachtstube des kleinen Corps in der Residenz war eine düstere „Antecamera“, mit gepolsterten Bänken, welche an den Wänden unter einer Reihe von Pflöcken umherliefen, an denen die blanken Hellebarden der Arcieren hingen. Der zu besetzenden Posten waren wenige, da sich in die Bewachung der Burg außer den Arcieren noch die Corps der Trabanten-Leibgarde und der Burgwächter theilten. Die Arcieren, welche in Hofwagen zu ihrem Dienst abgeholt wurden, hatten immer die bevorzugten Posten vor den Gemächern der kaiserlichen Herrschaften.

Von vier bis sechs Uhr Abends hatte Frohn Posten gestanden; um Zehn war wieder die Reihe an ihn gekommen. Der Vice-Second-Wachtmeister und dem Range nach Rittmeister, der die Wache commandirte, ließ die Ablösung um diese Stunde wieder antreten und marschirte mit ihr ab; es waren außer Frohn noch drei Mann. Diese erhielten einer nach dem andern an den gewöhnlichen Stellen ihre unterhaltende und für das Staatswohl so bedeutsame Mission, die geschulterte Wehr zwei schrecklich langsam verfließende Stunden hindurch auf und ab zu tragen vor irgend einer hohen dunklen Flügelthüre, die sich aus dieser Ehrenbezeigung auch nicht das Allergeringste zu machen schien. Mit der abgelösten Mannschaft und unserem Freunde marschirte der Vice-Second-Befehlshaber weiter und endlich in einen stillen abgelegenen Seitengang hinein. Dieser hatte in der Wand links eine kleine Thüre, am entgegengesetzten Ende eine schmale Stiege, und der Thüre gegenüber hing eine düster brennende Wandlampe, die ihn sehr unvollkommen beleuchtete.

„Es soll hier für die Nacht ein Posten ausgestellt werden,“ sagte der Anführer des kleinen Pelotons. „Herr von Frohn bleibt dazu hier. Vor dieser Thür hier. Merken Sie sich Ihre Ordre: die Thür ist cassirt, Niemand geht da aus und ein, es mag sein, wer es will. Verstanden?“

„Zu Befehl!“ versetzte Frohn.

„Es ist Ihrer Majestät, der Kaiserin, ausdrücklicher Befehl,“ fuhr der Vice-Second-Wachtmeister fort. „Der Posten, der um irgend einer Person willen die Ordre verletzt, soll sofort in die Eisen gelegt werden!“

Der Wachtmeister zog nach dieser kurzen, inhaltvollen Standrede ab, und Frohn stand allein in dem dämmerigen Gange, vor der Thüre, die ihn sehr schwarz und düster und wie erbost darüber, daß man ihr das Recht auf die Existenz absprechen wolle, anblickte. Eine Weile ging er auf und ab und lauschte auf die vollständige Stille, welche diesen entlegenen Theil der weitgedehnten Gebäudemassen erfüllte. Seine Gedanken kehrten bald zu der armen Therese und ihrer Noth und Angst zurück. Es war wirklich eine verzweifelte Geschichte, und Frohn hatte trotz alles Sinnens noch keine Idee, wie es ihm möglich werden solle, ihr zu helfen. Der Orden mußte ohne Zeitverlust herbeigeschafft werden, die Polizei mußte ihn herausgeben und dazu noch bewogen werden, keine Nachforschungen anzustellen, wie er in des liederlichen Franzl’s Besitz gekommen. Kam das arme Thereserl auf den Polizeibericht, der am Ende der Woche der Kaiserin vorgelegt werden mußte, und dazu die Aufklärung, wie sie zu dem Orden gekommen, so war die in solchen Dingen ganz unerbittlich sittenstrenge Monarchin im Stande, dem im Verborgenen blühenden Elfenthum des jungen Mädchens und einer romantischen Jugendliebe durch eine grausame, entehrende Strafe und eine Ausweisung aus Wien ein entsetzliches Ende zu machen. Unter allen Umständen war die Kaiserin im Stande, so zu verfahren … ganz gewiß aber, wenn Frohns Voraussetzung über den jungen Herrn, der schon mit zweiundzwanzig Jahren des hohen lotharingisch-toscanischen Sanct Stephans-Ordens Ritter war, sich bestätigte.

Und gesetzt auch, der schlimme Franzl hätte geschwiegen und Thereserl selber hätte, wie sie versicherte, sich lieber die Zunge abgebissen, als Geständnisse abgelegt, die Kaiserin selber hätte sicherlich das Ordenszeichen und wer sein jetziger Eigenthümer sei, sobald sie es sich nur vorlegen lassen, erkannt. Frohn hatte in den Stunden, welche er mit seinen Cameraden in der Antecamera zugebracht, heute wie von Ungefähr das Gespräch auf den Orden gebracht und sich erkundigt, ob der ehrwürdige Chef des Corps, der Feldmarschall Graf Aspremont, denselben trage. Leider wurde ihm ausdrücklich versichert, daß die Excellenz weder Gerechtigkeits- noch Gnadenritter von Sanct Stephan sei. Durch ihn war also nichts zu erreichen.

Frohn hatte etwa zehn Minuten lang seinen Posten eingenommen und sich diesen Gedanken hingegeben, als er ein Geräusch hörte; ein paar dumpfe rasche Schritte, ein Schlüsseldrehen, und plötzlich flog die officiell und dienstlich nicht vorhandene Thüre auf. Eine schlanke jugendliche Gestalt, gehüllt in einen weißen Mantel, trat auf die Schwelle. Frohn kreuzte seine Hellebarde vor der Thüre.

„Die Thüre ist cassirt!“ sagte er. „Es darf Niemand heraus.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 579. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_579.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)