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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

und ein sonderbarer Wechsel von Genugthuung und Bitterkeit ging durch seine Züge. Er mochte die Schönheit seiner Schwester noch nie so empfunden haben, wie jetzt, noch nie aber war es ihm wohl auch so klar geworden, wie weit die Verschiedenheit ihres Wesens sie von ihm trenne. Er hatte sich bis jetzt noch kaum um Mädchengesellschaft und Umgangsformen bekümmert, und seine ganze Schwäche kam ihm Angesichts des leichten geselligen Treibens, in das er sich nicht zu mischen wagte, zum Bewußtsein – mitten unter der Menge lachender Menschen erschien er sich einsamer, als er sich je gefühlt. Da traf sein Auge endlich auf ein bekanntes Gesicht – der Sohn eines benachbarten deutschen Farmers war es, welcher ziemlich eben so verloren als jener unter den Gruppen umher zu spazieren schien. Heinrich hatte nie viel auf die Freundschaft des unbedeutenden jungen Menschen gegeben; jetzt aber erschien sie ihm fast wie ein großes Glück. Er ging ihm entgegen, und noch niemals hatte ihm ein Gruß so wohl gethan, als die Herzlichkeit, mit welcher jener ihm die Hand entgegenstreckte. Bald sah er sich zu einer Gruppe deutscher Farmer-Familien, die sich den Amerikanern abgesondert und weiter rückwärts gelagert hatten, geführt und befand sich wieder unter einem Elemente, das eben sowenig als er selbst sich in dem leichten amerikanischen Gesellschaftstone heimisch fühlte und eben so wenig von den graziösen Schwingungen moderner Quadrillen verstand.

Der Tanz war zu Ende, und noch glühend von der letzten raschen Tour sah sich Mary von einer Anzahl junger Männer umringt, die sich herandrängten, um sich ihr durch ihren bisherigen Tänzer vorstellen zu lassen. Eine Reihe von Namen tönte an ihr Ohr, von welchen sie in der nächsten Secunde nicht einmal den allgemeinen Klang mehr wußte; hier hatte sie auf eine Bemerkung zu hören, dort auf eine Frage zu antworten, und sie hätte sich doch am liebsten nach Vater Kreuzer umgesehen. Da streckte sich ihr plötzlich eine Hand entgegen, und eine wohlbekannte Stimme fragte: „Ich brauche mich doch nicht erst vorstellen zu lassen, Miß Mary?“

Wie ein leiser, freudiger Schrecken blitzte es in ihrem Auge auf, als sie, emporsehend, in James Osborne’s belebte Züge blickte; ein hohes Roth aber übergoß ihr Gesicht, als sie ihre Hand von der seinigen festgehalten fühlte.

„Das ist ein Glück, was nicht alle Tage kommt, und ich hoffe, Sie sind nicht schon wieder versagt?“ fuhr er fort, während sein leuchtender Blick ihre ganze Erscheinung umfassen zu wollen schien, „sprechen Sie, Miß Mary!“

„Ich weiß noch kaum, ob ich überhaupt weiter tanze,“ erwiderte sie, ihre Hand leicht zurückziehend, „ich möchte mich erst nach Mr. Kreuzer umsehen.“

„O, der alte Gentleman steckt mit dem Vater irgendwo tief in der Politik, lassen sie ihn!“ lachte ihr bisheriger Tänzer; „erlauben Sie, daß ich Sie einen Augenblick zu Mutter und Schwester führe, und dann entziehen Sie sich uns nicht wieder!“

Er eilte mit ihr einer nahen Gruppe zu; die Bewillkommnungen wurden aber bald durch den Ruf und die Geige des Negers abgeschnitten; von allen Seiten flogen die Paare wieder nach dem Tanzplatze, und Mary sah sich bald an James Osborne’s Seite in einem der Quarré’s.

„Werden Sie mir glauben, Miß Mary, wenn ich Ihnen sage, daß es mich unendlich glücklich macht, Sie hier zu treffen? Welch ein Freudentag für mich!“ flüsterte er ihr zu. „Es ist ein reiner Zufall, der mich hergebracht!“

„Ich wußte nicht, daß Sie wieder in der Nachbarschaft waren!“ erwiderte sie, ohne die Augen aufzuschlagen. Das frühere Roth war von ihrem Gesichte gewichen; um ihren Mund indessen spielte ein Zug wie tiefinnerliches Glück; sie hob kaum die Augen, aber ein aufsteigendes Lächeln deutete jedes launige Wort an, welches ihr Tänzer ihr hier und da in den Verschlingungen des Tanzes zuwarf.

„Sie wußten nicht, daß ich wieder in der Nachbarschaft war?“ begann er halblaut, als Beide wieder neben einander standen, „aber macht es Ihnen Freude, mich in Ihrer Nähe zu wissen? Wie gewiß hatte ich darauf gerechnet, Sie nach Weihnachten noch einmal zu sehen, ehe ich abreiste – ich habe manche Stunde im Schnee gestanden, um mir eine günstige Gelegenheit nicht entgehen zu lassen, aber Sie hatten jedenfalls vergessen, daß ein Mensch wie James Osborne existire!“

Mary war bei seinen letzten Worten bleich geworden, sie hob wie in einer plötzlichen Sorge die Augen und ließ sie rasch über ihre Umgebung schweifen – die ganze Scene, welche ihre Heimkunft am ersten Weihnachtstage hervorgerufen, war vor sie getreten, und sie meinte jeden Augenblick Heinrichs finster beobachtendes Auge irgendwo entdecken zu müssen. „Sie reden, als stände nichts zwischen Kreuzer’s und Major Osborne’s Farm, als die Einzäunung!“ sagte sie nach einer Pause langsam aufsehend und begegnete einem eigenthümlich gespannten Auge, mit welchem der junge Mann ihr Gesicht beobachtet zu haben schien.

„Wir sind sogleich an der Reihe, Miß Mary,“ sagte er, das Auge rasch über die Tänzer werfend, „aber ich muß über das, was Sie andeuten, später mehr mit Ihnen reden!“

Das Mädchen fühlte einen kräftigen Druck seiner Hand, als sie ihm in die neue Tour folgte, sie sah, wie er fast nur mechanisch die Bewegungen des Tanzes ausführte und ungeduldig das Ende derselben zu erwarten schien, „lassen Sie uns austreten,“ raunte er ihr zu, als Beide ihre Plätze wieder erreicht hatten, „Sie bedürfen jedenfalls einer Erfrischung; – kommen Sie!“ fuhr er in dem Tone dringender Bitte fort, als er sie mit einem neuen Ausdruck von Besorgniß zögern sah, „es wird nirgends auffallen, und wenn der Tanz vorüber ist, finde ich wahrscheinlich keinen unbewachten Augenblick wieder, um ein nothwendiges Wort mit Ihnen zu sprechen!“

Sie war fast unwillkürlich seinem Drängen einige Schritte gefolgt, und lachend eilte er jetzt mit ihr nach dem Takte der Musik davon. Unweit der zum Kochplatz hergerichteten Stelle stand am Saume des Gebüsches ein Erfrischungstisch, beladen mit Gläsern und mehreren Holzeimern voll zubereiteter Limonade – der Wallfahrtsort der erhitzten Paare, welche von hier aus entweder dem Tanzplatze wieder zueilten, oder promenirend sich im Schatten der breitästigen Buchen verloren. Mary hatte der willkommenen Erfrischung zugesprochen und war dann neben ihrem Begleiter in einer Richtung, die sie Andere gehen sah, weiter geschritten. Indessen konnte sie das unangenehme Gefühl, das sie bei dem Gedanken an Heinrichs Gegenwart beschlichen, nicht von sich streifen.

James war eine Strecke den vor ihm gehenden Paaren gefolgt, bog aber dann in einen einsameren Pfad ein.

„Sagen Sie mir offen, Miß Mary,“ begann er hier, des Mädchens Hand fest ergreifend, „was ist Ihnen über die Osborne’s gesagt worden? Ist die alte Geschichte noch immer so lebendig, daß sie auch Ihnen das Herz damit verbittern mußten?“

„Vater Kreuzer hat mir Alles erzählt, weil es nothwendig war, daß ich es hörte!“ erwiderte sie, ihre Hand leise befreiend, „aber er hat nicht bitter gesprochen –“

„O, ich kenne den alten Gentleman,“ rief der junge Mann erregt, „und weiß auch, daß er längst vergessen hätte, was doch nun einmal geschehen ist, wenn er nicht immer einen neuen Stachel an seiner Seite hätte, der auch auf Ihre Unbefangenheit schon seinen Einfluß ausgedehnt hat. Meinen Sie, Miß Mary, ich hätte den Unterschied nicht schmerzlich gefühlt, der zwischen unserm ersten Gespräche im Schlitten, zwischen Ihrer vertraulichen Offenheit und der Aengstlichkeit, mit welcher Sie heute neben mir gehen und stehen, liegt? Und nun sagen Sie mir doch nur,“ fuhr er stehen bleibend und ihre beiden Hände fassend fort, „was habe ich denn in der ganzen Angelegenheit verbrochen, warum sollen Sie denn gegen Menschen eingenommen werden, nur weil sie Osborne heißen? Glauben Sie doch, daß mein Vater die Uebereilung, die er vor Jahren begangen, eingesehen hat, daß er Mr. Kreuzer so achtet, als es nur Jemand von dessen Nachbarn thun kann, und daß er diesem längst selbst die Hand geboten hätte, wenn er nicht wüßte, welcher feindselige Geist noch immer in Ihrem Hause erhalten und genährt wird. Ich habe geahnt, als ich während der Christzeit Tag für Tag um Ihre Farm streifte, ohne auch nur eine Spur von Ihnen zu sehen, daß der alte Groll sich zwischen uns gestellt habe – soll denn das aber wirklich geschehen, Miß Mary? Sollen denn zwei Menschen, die sich bei der ersten Begegnung schon verstanden, als wären sie alte Bekannte, sich wegen Dingen aus dem Wege gehen, mit denen sie nie etwas zu thun gehabt?“

Das Auge des Sprechenden ruhte mit einem so klaren, innigen Ausdrucke in dem ihrigen, daß sie den Blick nicht davon abwenden konnte. „Ich bin Ihnen nicht aus dem Wege gegangen und ich werde es nicht thun!“ erwiderte sie. „Vater Kreuzer hat mir selbst gesagt, ich brauche es nicht! Aber ich habe Rücksicht zu nehmen –“

„Hat er Ihnen das gesagt, der alte Gentleman? Gott segne

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 658. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_658.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)