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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

des Entsetzens in der Richtung auf den Punkt, wo wir standen, heraneilen. Sobald sie unser ansichtig geworden, ertönten aus Aller Munde die Worte: „Eine Löwin hat Benika geraubt!“ – Benika war eine von den Töchtern Mohamed-ben-Bechir’s. Ich hatte sie nie gesehen, jedoch viel von ihrer außerordentlichen Schönheit gehört. Benika zählte 16 Jahre und war der Liebling ihres Vaters. Wie sie dies häufig that, hatte sie mit ihren drei Schwestern die zur Quelle allabendlich gehenden Frauen begleitet und war dort – wie die in wilder Hast Fliehenden uns berichtet – von einer riesigen Löwin überfallen worden.

Die Quelle war etwa 500 Schritte von der Gartenmauer entlegen, von der uns nur ein Sprung trennte. Das arme Kind jetzt noch lebend den Klauen des Raubthieres zu entreißen, war allerdings eine chimärische Hoffnung; allein jede Rücksicht, jede Ueberlegung schwanden bei der fürchterlichen Nachricht; es galt todt oder lebendig den Liebling meines Freundes dem Räuber zu entreißen. Mein Camerad und ich hatten die Absicht gehabt, nach Durchstreifung der Gärten an dem dem Wohnhause entgegengesetzten Ausgangspunkte von unserm Wirthe Abschied zu nehmen und den Heimweg anzutreten. An diesem Punkte befanden wir uns; unsere Spahi’s erwarteten uns mit den Pferden, im Nu saßen wir auf, das Gewehr in der Hand, und im rasenden Galopp ging’s der Quelle zu. Schon waren wir Angesichts derselben, als ein Schuß krachte, und im selben Augenblick sahen wir eine ungeheure Löwin auf dem neben der Quelle gelegenen Gebüsch in furchtbaren Sätzen auf uns zuspringen. Dunkles Blut schoß in reichem Strom aus der linken Seite des wüthenden Thieres. Nur ein geringer Zwischenraum lag noch zwischen uns und ihm. Ich parirte mein Pferd, zielte und gab Feuer. Die Kugel drang der Löwin in die Brust, aber im nämlichen Moment fühlte ich die Krallen des Unthiers auf meinem Schenkel. In rasender Wuth hatte es in einem letzten, mächtigen Sprunge mein Pferd erreicht und mit allen vier Tatzen sich an dasselbe angeklammert. Der fürchterliche Schmerz, den ich empfand, ließ mich die Besinnung nicht verlieren, ich hatte meine beiden Arme frei, da ich mein abgefeuertes Gewehr zur Erde geworfen. Mit Blitzesschnelle riß ich den Säbel aus der Scheide und bohrte ihn mit Aufbietung aller Kräfte der Löwin in die Brust. Noch einmal senkte sie ihre Krallen tief in meinen schon schlimm zugerichteten Schenkel und in Brust und Hals meines armen Pferdes und fiel dann, noch von Schüssen meiner Begleiter durchbohrt, neben mir zusammen. Was von diesem Augenblicke an geschah, war für mich nicht mehr da; der fürchterliche Schmerz und der bedeutende Blutverlust hatten mich besinnungslos gemacht. Als ich zu mir selbst kam, lag ich auf weichen Polstern im Hause des Kaïd; mehrere junge Weiber waren um mich beschäftigt, und ein alter Araber mit greisem Barte wusch und verband meine Wunden.

Meine erste Frage war nach des Kaïd’s Tochter. Sie war gerettet. Man hatte sie besinnungslos neben der Quelle gefunden, an Schulter und Hüfte von den Klauen des Raubthiers verwundet, welches – im Begriff mit seiner Beute davon zu eilen – dieselbe fahren lassen mußte, um sich gegen einen plötzlich erscheinenden Angreifer zu vertheidigen. Dieser Angreifer war einer der Brüder Benika’s, welcher, von der Jagd heimkehrend, durch Zufall sich in der Nähe befand und, bei dem wilden, entsetzten Geschrei der Weiber ein Unglück ahnend, der Erste war, der sein Gewehr auf die Bestie abgefeuert. Die Löwin, ihn nicht sogleich entdeckend und uns im gleichen Augenblick auf dem Kampfplatze erscheinen sehend, hatte sich auf mich, als den Vordersten, mit durch die erhaltene Schußwunde noch erhöhter Wuth gestürzt. Abdallah-ben-Bechir war der Erste, der seiner Schwester zu Hülfe eilte, und auf seinen Schultern gelangte das unglückliche Mädchen in’s Vaterhaus.

Drei Wochen hindurch fesselte mich dieser Vorfall an das Haus des braven Mohamed-ben-Bechir. Der durch meinen Unterlieutenant von der Katastrophe in Kenntniß gesetzte General, welcher in Tlemcen commandirte, kam am folgenden Tage in Begleitung zweier Militärärzte und vieler Officiere und Freunde von mir, mich zu besuchen. Die Aerzte erklärten die Wunden Benika’s für leicht, da dieselben nur durch die Bemühungen der Löwin entstanden, den Körper des Mädchens in eine solche Lage zu bringen, daß sie ihn mit den Zähnen leicht erfassen und fortschleppen konnte. Die Wunden, welche mir das auf’s Höchste gereizte Thier beigebracht hatte, waren bei weitem bedenklicher und erheischten, sobald ich den Transport ertragen konnte, meine Uebersiedelung in das Militär-Hospital nach Tlemcen, welches ich erst Ende September als völlig geheilt verlassen konnte.

Nachdem ich zu meinem Detachement zurückgekehrt, welches inzwischen seinen Lagerplatz verlassen und in gleicher, jedoch entgegensetzter Entfernung von der Wohnung des Kaïd Mohamed-ben-Bechir Position genommen hatte, galt natürlich diesem Letzteren mein erster Besuch. Mit aufrichtiger Freude empfing mich der alte Krieger und stellte mir sogleich seine ebenfalls vollständig genesene Benika vor. Dieses in der That bildschöne Kind Arabiens machte einen merklichen Eindruck auf mich. Der Alte merkte es wohl; mit betrübter Miene und kopfschüttelnd sagte er halblaut: „Schade, daß Du nicht rechtgläubig bist!“ – Und schnell führte er seine Tochter in die inneren Zimmer zurück. War mir doch durch den bloßen Anblick des lieblichen Mädchens schon eine unerhörte Gunst geworden.

Der Kaïd hatte während meines Schmerzenslagers die am Tage des oben erzählten Vorfalls beschlossene Jagd zur Ausführung gebracht. Es war gelungen, den Löwen zu erlegen und seine beiden Jungen lebendig zu bekommen. Ich sah die letzteren in einem wohlverwahrten Hofraum frei herumlaufen; man hatte ihnen einen ebenfalls eingefangenen jungen Schakal zum Gesellschafter gegeben, mit dem sie in größter Gemüthlichkeit spielten.

Kurz vor Beginn der Regenzeit verließ ich mit meiner Compagnie diese Gegend, um in unser Stabsquartier, Sidi-bel-Abbes, zurückzukehren. Ich habe seitdem meinen braven Sidi-Mohamed-ben-Bechir nicht mehr gesehen.




Erinnerungen an Wilhelmine Schröder-Devrient.
Von Claire von Glümer.
VIII.

Wenn wir auf das äußere Leben der Künstlerin in den Jahren 1828–1838 zurückblicken, müssen wir es – trotz mancher von ihrem Berufe unzertrennlichen Kampfe und Täuschungen – als ein sehr glückliches, an Ruhm und Glanz fast überreiches bezeichnen. In ganz Deutschland wurde Wilhelmine Schröder-Devrient abgöttisch verehrt; in Paris und London hatte sie sich ihren Platz neben den ersten Berühmtheiten der Zeit, einer Pasta, einer Malibran errungen; ihre idealen Gestalten der Iphigenie, Doña Anna, Leonore, Agathe waren zu ewigen Typen geworden; selbst das Unbedeutende wurde durch ihre poetische Kraft erhoben, belebt, durchgeistigt; über Ungeschmack, Unwahrheit und die Macht des Herkommens hatte sie in ihrer künstlerischen Thätigkeit unzählige Siege errungen; wo sie erschien, flogen der Künstlerin wie der schönen Frau alle Herzen entgegen – und doch war sie einsam und tief unglücklich.

„Wenn ich mit Beifall überschüttet, durchglüht von der Freude an meiner Kunst nach Hause kam, war ich allein! ich hatte keine Seele, die mich verstand, die sich mit mir freute,“ sagte sie oft, und aus allen Tagebuchblättern, die aus jener Zeit erhalten sind, spricht dieselbe Klage. Sie schreibt: „Mir ist bang und unheimlich – hätt’ ich nur ein lebendes Wesen um mich, einen treuen Hund, irgend ein Geschöpf, das mir ergeben wäre! Wie sehne ich mich nach einem innigen Austausch meiner Gedanken – aber so allein! – und das zu schreiben, was in meiner Brust wogt, ich kann es nicht. Hier fehlt das warme Leben des Wortes von Mund zu Munde, und wo das Wort nicht mehr ausreicht, der Blick in ein Auge, das bis in die Tiefe unserer Seele dringt. – Es ist ein hartes Entbehren, so unverstanden durchs Leben zu pilgern.“ …

„… Heute habe ich beim Tagelöhner Lorenz Gevatter gestanden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 665. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_665.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)