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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

des Minenkrieges um die doppelte Zeit ihrer gewöhnlichen Dauer verzögert.

Man ist bei den einfachen Minensystemen in der Vertheidigung indessen nicht stehen geblieben. In der Absicht, die Anlage der feindlichen Minengänge noch weiter zu erschweren, hat man in manchen Festungen Etagenminen erbaut. Hier sind mehrere Stockwerke von Minen übereinander, die untereinander durch Schächte und Treppen in Verbindung stehen. Man wird dadurch in den Stand gesetzt, ein und denselben Punkt des Glacis mehrere Male hintereinander zu erschüttern oder in die Luft zu sprengen, wenn die untern Etagen nur hinreichend tief liegen und stärker als die obern geladen werden. Doch sind solche Anlagen ungeheuer kostspielig, schwer zu bewachen und können dem Feinde in ihrer Gesammtheit durch Zufall leicht in die Hände fallen; auch kann bei der engen Verbindung aller Theile des Minensystems dasselbe durch einen einzigen Schuft vollständig mit Pulverdampf erfüllt werden. Das großartigste Beispiel eines solchen gigantischen Dachsbaues bietet die Festung Peterwardein, deren einziger Angriffspunkt, eine schmale in die Ebene vorspringende 150 Fuß hohe Landzunge, durch ein Hornwerk vertheidigt ist, unter welchem vier Etagen mit Ziegeln ausgemauerter Minengänge untereinander liegen. Der Verfasser dieses ist zwei Stunden in denselben umhergewandert, ohne sie sämmtlich gesehen zu haben.

Lange Zeit hindurch bewegte sich die Theorie des Minenkrieges auf empirischem Gebiete, bis zu Anfang des 18. Jahrhunderts der spätere General Belidor – damals Lehrer in der Artillerieschule zu la Fère – mit Scharfsinn eine neue Minentheorie aufstellte, die in ihren Haupttheilen noch gegenwärtig gültig ist. Man wußte allerdings aus Erfahrung, daß eine in der Erde eingegrabene und entzündete Mine nach allen Seiten einen gleichen Druck auf das Erdreich ausübe, und nannte den Bereich dieser Wirkung die Trennungssphäre. Geht nun diese Trennungssphäre über die Erddecke hinaus, so zeigt sich die Wirkung der Mine zu Tage, d. h. es wird dann die Erddecke innerhalb dieser Sphäre in Gestalt einer Garbe in die Luft geschleudert und eine Grube gebildet, die bis unter die eingegrabene Pulverladung reicht. Diese gebildeten Aushöhlungen nennt man die Minentrichter, und eine gedachte gerade Linie von der Pulverladung bis zum Erdboden in der Axe des Trichters die kürzeste Widerstandslinie, den Durchmesser der in die Luft geschleuderten Erddecke den Trichterdurchmesser. (Natürlich ist hier nicht von Quetschminen die Rede, die gar keine oberirdische Wirkung haben.) Nun glaubten die alten Ingenieure, daß, wenn man eine Mine noch so stark lade, der Trichterhalbmesser niemals größer als die kürzeste Widerstandslinie ausfallen könne, bis Belidor dieses Vorurtheil durch seine Theorie umwarf und nachwies, daß die Größe der von Minen ausgehobenen Trichter mit den Ladungen zunehme und deshalb ihr Durchmesser weit über das Doppelte der kürzesten Widerstandslinie steigen könne, wobei gleichzeitig auch die Erde ringsum kreisförmig so erschüttert werde, daß alle in derselben befindlichen hohlen Räume, wie z. B. feindliche Minengänge, in diesem Bereich zusammengedrückt würden. Er nannte diese Minen überladene Minen oder Druckkugeln. Ein 1753 zu Bisy angestellter Versuch mit einer nur 12 Fuß tief liegenden, mit 3000 Pfund Pulver geladenen Mine gab einen 66 Fuß weiten und 17 Fuß tiefen Trichter, wodurch die Belidor’sche Theorie die erste Bestätigung im Großen erhielt. Friedrich der Große ließ 1762 bei Schweidnitz durch Lefevre mit bestem Erfolg diesen Versuch wiederholen, und seitdem sind in mehreren der wichtigsten Belagerungen durch Anwendung überladener Minen die Wälle belagerter Festungen eingeworfen und eine zum Sturm gangbare Breschöffnung in denselben erzielt worden, so bei Choczim, Bender (1769), Valenciennes (1793), Bhurtpore im Birmanenstaate (1825). Auch bei dem jüngsten Festungsmanöver in Jülich wurde am 25. Septbr. durch Anwendung einer überladenen Mine von 30 Centner Pulver eine Wallöffnung hervorgebracht, die dann in einem Scheinangriff zur Einnahme der Festung führte. Die beistehende Abbildung mag dem Leser die furchtbare Wirkung einer solchen Explosion anschaulich machen.

Seit der Kenntniß überladener Minen ist der Minenangriff unbedingt in Ueberlegenheit gegen die Minenvertheidigung gekommen. Der Angriff braucht sich nämlich durchaus nicht zu scheuen, sehr große Ladungen anzuwenden, welche Trichter geben; denn die entstandenen Oeffnungen auf der Erdoberfläche dienen dem Angreifer dazu, statt der mühsam auszugrabenden Laufgräben ihm sofort eine Deckung zu verschaffen, die nur zum weitern Gebrauch hergerichtet zu werden braucht, weshalb man gewöhnlich eine ganze Reihe von Trichtern nebeneinander auswerfen läßt, die man dann zu einem Laufgraben miteinander verbindet. Diese Methode ward auch, wo es die Weichheit des Erdbodens zuließ, mit Erfolg von den Franzosen vor Sebastopol angewendet. So nähert sich der Angreifer allmählich der Festung, wirft dann die Contreescarpe durch eine überladene Mine in den Graben, erzeugt sich dadurch einen Niedergang in denselben und kann ebenso den Wall einwerfen, um eine Bresche zu erzielen. Gleichzeitig mit der oberirdischen[WS 1] Wirkung vermehrt sich aber auch die unterirdische, und folglich wird, da dem Angreifer große Ladungen gestattet sind, derselbe auch gleichzeitig einen Theil der feindlichen Contreminen mit eindrücken, also doppelten Vortheil haben. Weil die oberirdische Wirkung dem Angreifer vortheilhaft ist, darum muß sie der Vertheidiger seinerseits vermeiden. Er darf sie nur in Ausnahmsfällen anwenden, z. B. um fertige armirte Breschebatterien in die Luft zu sprengen oder ein nicht mehr zu haltendes Werk für den Feind unbenutzbar und sich durch Wegsprengen unschädlich zu machen. Im Wesentlichen ist also der Vertheidiger auf die Anwendung von Quetschminen reducirt, die er möglichst tief anzulegen suchen muß, um bei der Anwendung von starken Ladungen nicht eine oberirdische Wirkung mitzuerzielen, die nur dem Angreifer zu gute kommen würde. Immer haben aber starkgeladene Quetschminen den Nachtheil, daß sie gar zu leicht die eigenen Minengänge mit zerstören, und der Vortheil des Angreifers beim Gebrauch überladener Minen bleibt also immer bestehen.

Indessen ist trotz der Initiative die Aufgabe des Angreifers eine schwer zu lösende. Einmal muß er einem fertig und tief angelegten Minensystem vom freien Felde aus mit Zeit- und Müheaufwand entgegengehen, und hat er dann auch mit Glück eine Reihe Trichter nebeneinander ausgeworfen, in welchen sich seine Truppen einnisten (logiren) können, so bereitet ihm das weitere Vorgehen mit neuen Gallerien aus dem von ihm gesprengten Trichter neue Schwierigkeiten, da der Boden ringsum durch Pulvergas verpestet ist. – Sehr oft kommt aber der Angreifer eben gar nicht bis zum Sprengen der Mine, oder muß seine Arbeit mehrmals von vorn beginnen, wenn der Vertheidiger ein gut organisirtes Horchsystem besitzt, sich in seinen bei dem Anfang der Belagerung schon fertigen Minengängen ganz ruhig verhält, und die Mine des Angreifers durch eine Quetschmine zusammendrückt, wenn diese ihrer Vollendung entgegengeht. Eine andere Chicane des Vertheidigers besteht darin, daß er durch seine Horcher erforschen läßt, wenn der Feind seinen Galleriebau einstellt und zu laden anfängt. Der Angriffsmineur bedient sich großer Pulverladungen, deren Laden und Verdämmen viel Zeit erfordert. Während nun der Angreifer verdämmt, kann der Vertheidiger aus seinen nächsten Minenspitzen schnell mit einem kleinen Gang vorbrechen, und hat er Glück, so stößt er gerade auf den Pulverkasten des Feindes und leert diesen aus, was man das Ausblasen der Mine nennt, und was jedenfalls zu einer sehr unangenehmen Enttäuschung für den Angreifer führen muß.

Alle diese Schwierigkeiten bringen den Gedanken sehr nahe, daß dem Angreifer der ganze langwierige Minenkrieg erspart würde, wenn es ihm gelänge, dem Vertheidigungsmineur die Eingänge zu seinen Minen abzusperren. Daher ist es schon bei manchen Belagerungen vorgekommen, daß der Angreifer einen Sturm auf den Rand des Festungsgrabens (den sogen. bedeckten Weg) von seinem letzten Laufgraben aus versucht hat, um während der Verwirrung des Gefechts, das gewöhnlich bei Nacht erfolgt, durch mitgenommene Mineurs die Eingänge zu den Contreminen aufsuchen und einwerfen zu lassen, d. h. den Vertheidiger von der Benutzung seiner Minen abzuschneiden. Konnte man sich während 4–5 Stunden der Nacht in dieser Lage behaupten, so senkte wohl auch der Angreifer gleich eine Anzahl nebeneinanderliegender Schachtminen, ähnlich den Brunnen, schnell ab, lud sie mit Pulver und verdämmte die Oeffnung des Schachtes nur durch hineingeworfene, mit Sand gefüllte Säcke. Kommen diese Schachte an die richtige Stelle, was eine genaue Kenntniß des feindlichen Minengewebes voraussetzt, so sind sie allerdings iM Stande, unfehlbar die Enveloppengallerie mit ihren Aesten und Horchgängen einzudrücken und so den Minenkrieg bis zum Grabenrande mit einem Male zu beendigen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: oberirdidischen
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 697. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_697.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)