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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

No. 51. 1860.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Die schwerste Schuld.

Vom Verfasser der neuen deutschen Zeitbilder.
(Fortsetzung.)
4. Ein deutscher Festball.

Der Casinosaal des Städtchens war zu einem eleganten Ballsaal eingerichtet. Die Officiere des Regiments hatten Alles aufgeboten, um auch durch den Ball, den sie gaben, die Feier des Sieges bei Leipzig zu einem so glänzenden wie möglich zu machen. Und es war ein Sieg der Franzosen über Deutsche, und Franzosen feierten ihn im deutschen Lande, und zwangen die Deutschen mitzufeiern. Wie Mancher freilich feierte auch freiwillig mit und trug eifrig seinen Eifer zur Schau! Aber der Mensch denkt und Gott lenkt. Ohne daß sie es wußten, feierten sie einen andern Sieg, der wirklich erfochten war.

Am 16. October hatte Napoleon wohl gemeint, oder auch sich selbst nur vorgeredet, er sei der Sieger des Tages geblieben, und er hatte Couriere mit der Siegesbotschaft nach allen Richtungen ausgesandt, und Leipzigs Glocken hatten läuten müssen. Am 18. October aber entschied der Herr der Schlachten und der Geschicke der Völker anders, und während sie da hinten in der kleinen Stadt tief im westphälischen Gebirge den Sieg des großen französischen Kaisers feierten, in derselben Stunde war der französische Kaiser von den Deutschen auf das Haupt geschlagen, sein Heer war vernichtet, und der geschlagene Kaiser und was von seinen Soldaten übrig geblieben war, mußte in wilder Flucht sein Heil suchen. Zu derselben Stunde waren freilich auch die Fluren Leipzigs mit anderthalbhunderttausend Todten und Verwundeten bedeckt.

In dem Casinosaal des Städtchens tanzten sie lustig, französische Herren und deutsche Frauen und Jungfrauen. Auch deutsche Herren; vielleicht mehr als französische. Doch nicht Alle waren sie lustig, diese deutschen Männer und Frauen. Wie Manche hatte nur die Furcht hergetrieben, die elende Feigheit! Wie Manchen aber auch die zwingenden Verhältnisse! Das Glück eines Kindes, das Wohl eines Bruders, die Existenz einer Familie stand auf dem Spiele. Die Verhältnisse sind die besten Freunde des Despotismus und der Tyrannei, und die verderblichsten Feinde der Sitte, des Muthes, der Mannes- und Frauenwürde. Sie tanzten und scherzten; sie liebten und flüsterten, sie tranken Champagner und wurden laut. Auf dem Schlachtfelde bei Leipzig stöhnten und ächzten Tausende und Tausende im Todeskampfe. –

„Parbleu, Morel, haben Sie den Monsieur Krajewski mit seiner schönen Tochter noch nicht gesehen?“

„Sie meinen den Polen, Bourquin? Er ist noch nicht da.“

„Pole? Woher wissen Sie, daß er ein Pole ist?“

„Man sagt es doch.“

„Noch Niemand hat ihn Polnisch reden hören. Er spricht ein reines Deutsch. Und der Oberst, wenn er wollte, würde uns genau genug seine deutsche Heimath angeben können.“

„Man versichert es.“

„Ich weiß es bestimmt.“

„Indeß gleichviel. Seine Tochter ist schön und reizend, wie man nur je eine Polin sich denken kann.“

„Aber auch gefährlich, mein lieber Morel. Der arme Delaparte hat durch sie schon das Leben eingebüßt, und zwei von unsern Cameraden sitzen um ihretwillen noch heute auf der Festung.“

„Ihr Geliebter ist auch noch nicht da, wie ich sehe.“

„Er wird nicht ohne seine Dame kommen.“

„Wenn sie überhaupt kommen werden.“

„Parbleu, Morel, ich glaube der Oberst ließe den Alten morgen füsiliren, wenn sie nicht kämen.“

„Glauben Sie, Bourquin?“

„Können Sie zweifeln? Der Delaparte war sein Neffe, sein Liebling. Der Dienst verbot ihm, Rache zu nehmen. Um so lebendiger lebt das so lange verschlossene Rachegefühl in seiner Brust.“

„Ventre-saint, Bourquin, auch wir sind unsern Cameraden noch die Revanche schuldig. Was meinen Sie? Heute wäre die Zeit –“

„Und an wem sollen wir die Rache nehmen?“

„An der Dame, dem Liebhaber, an Allen, die hierher kommen.“

„An der Dame, Morel? Sie ist eben eine Dame.“

„Pah, eine Deutsche! Und durch sie kränken wir die Andern um desto empfindlicher.“

„Freilich die Laune des Obersten ist heute, wie man sie nicht besser wünschen kann. „Zum Teufel!“ hörte ich ihn noch vorhin sagen, „diese Deutschen wollten anfangen, von ihrer Freiheit zu träumen. Man muß ihnen einmal wieder die strengen Herren zeigen. Erniedrigen wir sie heute noch durch unsere Herablassung. Vive l’Empereur sollen sie mit uns rufen, lauter als wir. Vive le vainqueur de Leipzig! Morgen knechten wir sie. Morgen Standrecht, Fusilladen, wenn eine Stimme ohne unsere Erlaubniß laut wird.““

„Also, Bourquin?“

„Wohlan, Morel! Und siehe da, gerade kommen sie.“

Die Thüre des Saals hatte sich geöffnet. Verspätete Gäste traten noch ein: der alte Krajewski, am Arme seiner Tochter

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 801. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_801.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2017)