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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

2. Wenn eine Kraft auf einen Körper wirkt, so kann unbeschadet ihrer Wirkung der Angriffspunkt der Kraft nach irgend einem andern Punkte, falls dieser nur in der Kraftrichtung liegt, verlegt werden. Es bleibt sich gleich, ob, wenn an einem Seile mit einem gewissen Kraftaufwande gezogen wird, man diese Kraft in einer Entfernung wirken läßt, daß 3 Ellen Seillänge zwischen Kraft und Last liegen oder so, daß 10 Ellen dazwischen liegen. Genau so ist es mit dem Druck, man darf sich statt des Seiles nur eine Stange denken, in deren Längsrichtung der Druck ausgeübt wird. –

Um diese beiden Gesetze auf das Tischdrehen anzuwenden, haben wir in Fig. 2 zur Erläuterung eine Kette von zwei Händepaaren dargestellt. Die Hände, von welchen die Linien P und R ausgehen, gehören der Person an, die uns den Rücken zudreht, die andern beiden der ihr gegenübersitzenden. Durch diese Linien P und R einerseits und durch Q und S andererseits haben wir die von diesen Händen ausgeübten Druckkräfte sowohl nach ihrer Größe als nach ihrer Richtung bezeichnet. Um die Resultirende, durch welche die Wirkung je zweier solcher Kräfte ausgedrückt wird, zu finden, müssen wir das Parallelogramm zeichnen, zu diesem Behufe aber vorher die Kräfte in ihrer Richtung so verlegen, daß wir den gemeinschaftlichen Durchschnittspunkt als Angriffspunkt annehmen. Wir machen also AD = 1’ und AB = Q, ziehen wir nun aus D und B Parallelen zu Q und P, so wird durch den Durchschnittspunkt E der Endpunkt der Diagonale, welche die Resultirende bedeutet, bezeichnet. Die Kräfte P und Q wirken zusammen auf den Tisch genau so viel, als die Kraft AE allein wirken würde. Ganz analog, verfahren wir mit den beiden andern Kräften R und S und erhalten da eine ähnliche Resultirende FJ.

Diese beiden Resultirenden verhalten sich aber zum Tische gerade wie der Wind und die Strömung des Wassers zum Kahne. Sie vereinigen sich auch, trotzdem sie selbst schon jede für sich das Product zweier Kräfte sind, eben so zu einer einzigen, die wir wieder finden, wenn wir ihre Richtungen bis zum Durchschnittspunkt verlängern, an diesem Punkte die Kräfte auftragen, also KL = AE und KM = FJ machen, das Parallelogramm verzeichnen und in diesem die Diagonale ziehen. Durch die letztere wird die Gesammt-Wirkung aller vier Kräfte (P, Q, R, und S auf den Tisch ausgedrückt. Diese Gesammtwirkung ist genau so groß, als ob in K eine einzige Kraft von der Größe KN ihren Angriff hätte. In der Richtung KN hat der Tisch also das Bestreben, sich zu bewegen. Da aber der Angriffspunkt der Kraft nicht mit dem Mittelpunkte des Tisches zusammenfällt, so wird sich diese Bewegung einerseits als eine Drehung, andererseits aber, da auch die Richtung nicht mit der jedesmaligen Tangente an den Radius zusammenfällt, wie es bei einer lediglich auf Drehung wirkenden Kraft der Fall sein müßte, auch als eine gleichzeitige Fortschiebung zu erkennen geben.

Wollen wir das Verhältniß der Größe der Drehkraft zur Größe der Fortschiebungskraft bestimmen, so haben wir, umgekehrt wie früher, jetzt nur nöthig, aus der Diagonale das Parallelogramm zu construiren, die Resultirende also in zwei Kräfte zu zerlegen, von denen die eine in der Richtung der Tangente, die andere in der Richtung des Radius wirkt. Verlängern wir nämlich KN über K hinaus, und lassen die Kraft in irgend einem Punkte dieser Richtung angreifen, z. Exmpl. in T; ziehen wir von diesem Punkte, an welchem also Tu = –KN wirkt, den Radius und construiren wir, indem wir die Richtung der Tangente senkrecht auf den Radius in T errichten und aus u als dem Endpunkte der Diagonale eine Parallele zu dem Radius ziehen, das Parallelogramm, so haben wir in den Seiten desselben die Größen der Drehkraft sowie der Fortschiebungskraft an diesem Punkte. Die erstere w versucht den Tisch um den Mittelpunkt zu drehen in der durch den Pfeil angedeuteten Richtung, die letztere v ihn in der Richtung des Radius fortzuschieben.

Daß diese beiden Kräfte thatsächlich zur Wirkung gelangen, beweist die bei jedem Tischrücken zu beobachtende Erscheinung, daß der Tisch sich nicht blos um seinen Mittelpunkt bewegt, sondern ähnlich wie die Erde um die Sonne neben dieser rotatorischen Bewegung auch noch einer fortschreitenden Bewegung – dem sogenannten Wandern – unterworfen ist. Die einzige Bedingung des Eintretens der Bewegung ist die, daß die Kräfte der verschiedenen Hände nicht gerade von solcher Richtung und Intensität sind, daß sie sich gegenseitig in ihren Wirkungen afheben, wie etwa wenn zwei gleich starke Männer an einem Seile nach entgegengesetzten Seiten ziehen. Bei der Verschiedenheit der Temperamente aber, der Ungleichheit, mit der die rechte und die linke Hand aufgelegt werden, ferner bei dem Einfluß, den die Lage der Angriffspunkte der Kräfte in Bezug auf den Mittelpunkt hat, kann der Fall der Wirkungslosigkeit fast nie eintreten, weil nie alle Bedingungen zu gleicher Zeit entsprechend erfüllt werden.

An diesem Endpunkte des Beweises, daß der Bewegung des Tisches nicht eine neue Kraft, sondern nur der unwillkürlich von den erschlaffenden Muskeln ausgeübte Druck zu Grunde liegt, angelangt, bitten wir zunächst unsere Leser um Verzeihung, daß wir sie so lange mit abstracten, mathematischen Begriffen tractiren mußten. Es konnte uns aber nicht darauf ankommen, da, wo es unsere Aufgabe war, dem Cultus des Aberglaubens und der Unklarheit ein Ende zu machen, leicht mit flunkerndem Witz unterhalten zu wollen, sondern vielmehr, durch unumstößliche Beweise der einfachen Wahrheit Geltung zu verschaffen. Dazu ist es aber nöthig, daß man bis auf die letzten Gründe zurückgeht.

Das, was noch an dem Tischdrehen hängt, ist mit wenig Worten abgethan. – Zunächst wird Jeder einsehen, daß, wie sich die Kräfte zweier Händepaare schließlich zu einer einzigen, den Tisch bewegen wollenden Kraft zusammensetzen, dies auch der Fall sein wird, wenn die Kette von mehr als zwei Personen gebildet wird. Ferner daß auf die gegenseitige Lage der Finger gar nichts ankommt: daß, je sensitiver die am Tische Sitzenden sind (das heißt je unruhiger und faselhafter, um so eher die Kräfte zur Wirkung gelangen werden. Ebenso, daß sich die anfänglich nur geringen Kraftquanta nach und nach so summiren können, daß endlich dadurch ziemlich große Tische in Bewegung gesetzt werden können. Ist diese Bewegung einmal eingetreten, so sorgt die Hastigkeit, mit welcher alle Betheiligten daran Theil nehmen, schon dafür, daß sie nicht nur nicht aufhört, sondern sogar immer mehr beschleunigt wird.

Wir haben es bis jetzt nur mit dem rein Mechanischen des

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_024.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)