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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Agnes nahm eines der Wachslichter, die auf dem Tische brannten, um ihm durch das Vorzimmer zu leuchten. Hier, als er mit Agnes sich allein sah, blieb er stehen; an einen in der Mitte des Zimmers sich befindenden Tisch gelehnt und die Schlüssel, als ob sie ihm lästig zu tragen seien, auf diesen Tisch legend, sagte er:

„Wir haben sehr unglücklich gespielt, Agnes, Ihr Oheim hat uns einmal wieder geplündert!“

Agnes setzte lächelnd das Licht auf den Tisch. Daß Frohn stehen blieb, um noch einige Minuten lang mit ihr zu plaudern, war ihr eben so wenig auffallend als unangenehm, und lebhaft antwortete sie:

„Desto besser – so ist sein Vergnügen desto größer, denn er hält darauf, für einen Meister im Spiel zu gelten!“

„Und mit meinem Verlust oder Gewinn sympathisiren Sie nicht im Mindesten, Agnes, weder mit meinem Glück noch mit meinem Unglück?“ fiel er mit erzwungenem Scherze ein.

„Mit Ihrem Spielerunglück sympathisire ich nicht,“ antwortete sie lächelnd, „Sie wissen ja, es giebt ein Sprüchwort, das Sie darüber trösten kann – aber weshalb,“ fügte sie erröthend hinzu – „weshalb gehen Sie heute so früh? – es ist noch nicht zehn Uhr! gewiß haben Sie diese Nacht wieder einen Ihrer einsamen Inspectionsgänge vor.“

„Das habe ich keineswegs,“ versetzte Frohn. „Im Gegentheil, ich habe die verflossene Nacht wenig Ruhe gehabt und will gründlich in dieser Nacht nachholen, was ich in der vorigen versäumt habe; ich bin sehr müde. – Schlafen Sie wohl, Fräulein Agnes.“

„Gehen Sie nicht,“ sagte sie lebhaft, „ohne mir zu sagen, was es war, wodurch ich Sie am gestrigen Abende so verletzte; glauben Sie mir, ich habe Sie gewiß nicht kränken, Ihrem Ehrgefühl nicht zu nahe treten wollen.“

„Ich glaube es Ihnen, Agnes,“ fiel er rasch und fast stürmisch ein, „ich glaube es Ihnen; ich war nur bewegt, tief bewegt von dem, was Sie mir sagten; der Gedanke kam über mich, Ihren Wunsch zu erfüllen, Ihrem Oheim die Freiheit zu geben, obwohl dann mein Loos ewige Schande und Schmach sein würde, obwohl ich als eidbrüchiger Officier vor ein Kriegsgericht gestellt würde, das, auch wenn man mir nur Nachlässigkeit in meinem Dienst vorwerfen und beweisen könnte, mich cassiren würde – aber gute Nacht, Agnes, reden wir nicht weiter davon, nicht weiter von mir!“

Er verließ rasch und stürmisch das Zimmer, und bevor Agnes Mirzelska noch eine Sylbe hatte hervorbringen können, hatte sich die Thüre hinter ihm geschlossen. Erstaunt und beunruhigt durch dies seltsame Betragen sah das junge Mädchen ihm nach und ließ dann plötzlich ihren Blick auf das Schlüsselbund fallen, welches Frohn auf dem Tische hatte liegen lassen.

„O mein Gott!“ rief sie aus, und ein heller Strahl fiel in ihre Seele, der ihr sein ganzes auffallendes Wesen erklärte – „so also liebt er mich! Er giebt mir die Schlüssel, die meinem Oheim die Freiheit erschließen, in die Hand, – ich soll sie nehmen und gebrauchen, und doch geht der Weg in die Freiheit für meinen Oheim über seine Ehre, sein ganzes Lebensglück fort. – Darf ich diese Schlüssel meinem Oheim geben? – darf ich ihm sagen: „da nimm, flieh und rette Dich, die Flucht ist sicher, Du brauchst nur in der Mitte der Nacht durch die Wohnung des Commandanten zu gehen, mit einem dieser Schlüssel das Thor, welches aus jener Wohnung führt, zu öffnen. – Du hast ja dieselbe mächtige und hochgewachsene Gestalt wie der Commandant; Du kannst Dich wenden, wohin es Dir gefällt … „Gott, wer räth mir, was ich thun soll!“

Sie rang die Hände, schritt auf und nieder in schrecklichem Seelenkampfe, und dazwischen war es ihr, als ob ein Strom von Seligkeit und Glück durch ihre Seele führe – die Offenbarung, wie tief und innig und leidenschaftlich er sie lieben müsse, daß er so ihrem Herzenswunsche Alles, Alles opfere. Aber je grösser das Glück war, welches sie darüber empfand, desto rascher auch schwanden ihre Zweifel über das, was sie in diesem Augenblicke thun müsse – sie mußte sofort ihm die Schlüssel nachsenden – sie konnte sein Opfer nicht annehmen. – Plötzlich hielt sie inne – ein neuer Gedanke war ihr durch das Köpfchen geschossen. Wie, wenn sie dem Oheim die Rettung sicherte und doch Frohns Ehre und seine Stellung schonte? Wenn sie Abdrücke von den Schlüsseln nahm? Ja gewiß, der Oheim konnte darnach andere Schlüssel machen lassen und sie gebrauchen, um seine Flucht damit zu bewerkstelligen, zu einer späteren, gelegeneren Zeit, wenn Frohn nicht in der Citadelle war, wenn er einen Urlaub nahm, oder, was am besten, wenn es ihm gelungen, sich von seinem fatalen Posten entheben zu lassen! – Rasch zogen diese Gedanken durch Agnesens stürmisch bewegte Seele; sie schritt sofort zur Ausführung ihres Entschlusses, sie stürzte mit den Schlüsseln und dem brennenden Lichte hinaus, in ihr Zimmer; dort nahm sie eine Wachskerze von ihrem Toilettentisch, drückte, so gut sie es mit ihren zitternden Händen verstand, die Schlüssel in dem Wachse ab und schellte dann hastig ihrem Mädchen.

„Da nimm die Schlüssel,“ sagte sie, als dieses erschien – „eile damit zum Commandanten, dringe, ohne Dich anmelden zu lassen, in sein Zimmer, überreiche sie ihm selber, hörst Du, Niemand Andrem; er hat sie in der Zerstreuung so eben drüben liegen lassen.“

Die Zofe nahm das schwere Bund, blickte wie fragend und verwundert ihre Herrin an, aber auf deren gebieterische Bewegung eilte sie davon.

Agnes Mirzelska trat ihr nach auf die Schwelle der Thüre und flüsterte noch:

„Zeig’ Niemand, der Dir begegnen sollte, was Du hast.“

Und dann sah sie, wie das Mädchen den breiten Corridor hinabeilte, am Ende desselben in den schmalen Verbindungsgang einlenkte, der in die Wohnung des Commandanten führte, und verschwand. Alles war still in dem weiten Raume, nur vom Fuße der Treppe her, die am Ende des Corridors in das untere Stockwerk hinab führte, hallten die schweren Schritte einer Schildwache.

Die Zofe fand ihren Weg unaufgehalten in das Wohnzimmer des Commandanten. Als sie leise die Thür öffnete, sah sie ihn in gebückter Stellung, das Gesicht mit den Händen verbergend an seinem Tische sitzen; bei dem Geräusch hob er den Kopf und sprang rasch auf, der Dienerin entgegen.

„Was giebt’s? was willst Du, Marusch?“

„Die Schlüssel hier bringen von meinem gnädigen Fräulein; der Herr Oberstwachtmeister hätten sie drüben vergessen!“

Frohn griff mit eigenthümlicher Hast danach.

„Ich danke Deinem Fräulein – sag ihr, ich dankte ihr, viel, vielmal,“ sagte er mit fast erstickter Stimme; „sprich nicht davon, daß ich sie vergessen habe; ich war zerstreut, da nimm!“

Frohn drückte ihr ein Goldstück in die Hand; das Mädchen dankte froh und entfernte sich wieder.

Wir brauchen nicht zu schildern, was Frohn empfand, als er die Schlüssel in den Händen des Mädchens erblickt hatte. Von seinem Herzen war eine Riesenlast gefallen, und ohne Scheu und Rückhalt konnte er von diesem Augenblick sich der Leidenschaft hingeben, welche mit so viel Glück und Seligkeit dies ehrliche und treue Männerherz erfüllte. Er war im ersten Augenblick versucht, zu Agnes Mirzelska zurückzukehren, ihr alles zu gestehen, was er beabsichtigte mit seiner anscheinenden Zerstreutheit, ihre Verzeihung zu erflehen, daß er an ihr gezweifelt; aber die Scham, die Sorge, daß er ihr einen Schmerz durch sein Geständniß zufüge, hielten ihn ab und zurück – so eilte er endlich nur hinaus, um ganz im Stillen die besonderen Maßregeln wieder abzustellen, die er getroffen hatte, für den Fall, daß der Oberst von der Trenck wirklich von den Schlüsseln hätte in dieser Nacht Gebrauch machen wollen. Frohn hatte natürlich dafür gesorgt, daß ein solches Unternehmen auf Hemmnisse stieß!


5.

Bei der Stimmung, in welcher sich nach den Ereignissen dieses Abends sowohl Frohn als Agnes Mirzelska befanden, war es mir natürlich, daß sie Beide das Geständniß ihrer aufgeregten und auf hohen Wogen gehenden Gefühle für einander auf den Lippen hatten, sobald sie sich wieder sahen; und in der That hatten sie bei dem ersten Wiedersehn am andern Tage nicht eine halbe Stunde lang zusammen zugebracht, und Frohn durfte überglücklich Agnes an sein Herz ziehen und sie seine Braut nennen, während sie ihm in holdem Erröthen gestand, daß sie auf Lebenszeit seine Gefangene geworden, wie sie vom ersten Augenblick an gewesen, seit sie ein so treues redliches Herz in einer so männlich tapferen und kühnen Brust erkannt. Sie auch unternahm es, von ihrem Entschluß, ihr Schicksal unauflöslich mit dem seinigen zu verbinden, zuerst den Obersten von der Trenck zu unterrichten,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_051.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)