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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

eines Unglücklichen geklebt; die Zangen, welche ich vor mir sah, waren einst in Feuer glühend gemacht und hatten im Qualm von verbranntem Menschenfleische geraucht. O Deutschland, Deutschland! Die französische Revolution hatte zehn Jahre jenseits des Rheins getobt und ein gequältes Land von einer Unmasse der empörendsten Mißbräuche und Privilegien rein gefegt, und auf Deutschland hatte sie noch nicht einmal die moralische Wirkung ausgeübt, die Regierungen zu veranlassen, das Capitel „über die Folter“ aus ihren Strafgesetzbüchern zu streichen! Und deutsche Völkerstämme hatten für die Throne ihrer Könige und Fürsten gefochten, während diese Könige und Fürsten ihre Unterthanen noch mit glühenden Zangen reißen und ihnen die Glieder mit Daumschrauben oder auf der Leiter auseinanderrenken durften!

Aber was würde man heute – im Jahre 1861 – von einer deutschen Regierung sagen, welche bei Untersuchungsgefangenen, um die Geständnisse zu erpressen, die Folter anwenden ließe? Doch nein, ich muß meine Frage anders stellen: Was würde man von einer deutschen Regierung sagen, welche nicht den Gerichtshöfen, sondern jedem Polizeicommissar, jedem Gensd’armerieofficier, jedem Gefängnißvorsteher die Befugniß ertheilte, bei politischen Gefangenen, welche auf Verdacht von diesen Polizisten verhaftet waren, nach Belieben die Folter anzuwenden und die bereits vorhandenen Folterwerkzeuge nach Belieben zu vermehren, zu verändern und neue zu erfinden? Was würde man von einer deutschen Regierung sagen, deren Polizisten, aus den ärgsten Lumpen, frühern Galeerensträflingen, Räubern und Dieben bestehend, die Folter bei Tausenden von politischen Gefangenen im verschwiegenen Dunkel der Polizeigefängnisse, zwischen Mauern, welche keinen Seufzer und keine Klage, kein Stöhnen und keinen Schrei an das Ohr anderer Menschen dringen lassen, täglich anwendeten?

Das deutsche Volk besitzt eine geringe politische Initiative. Es liegt dies im deutschen Charakter, im Blute, im Klima, in den materiellen Nahrungsmitteln; das deutsche Volk würde sonst, bei seinen herrlichen persönlichen Eigenschaften, das erste und größte Volk der Erde sein. Aber ich glaube, daß eine so unerhörte Thatsache selbst den schläfrigsten und ruhigsten deutschen Volksstamm aus seinem politischen Schlaf rütteln, und daß dieser schläfrigste deutsche Volksstamm den Thron seines Tyrannen um und um kehren und diese sämmtlichen Schergen an einem Tage davon jagen würde! –

Es ist in deutschen Zeitungen bei Gelegenheit der neapolitanischen Revolution und der Expedition des hochherzigen Garibaldi zur Befreiung eines von seinen Bedrückern während der letzten dreißig Jahre in der entsetzlichsten Weise gemarterten, gutmüthigen und nur von einer rücksichtslosen Regierung absichtlich tief heruntergebrachten Volkes mehrfach von der Anwendung der Folter in Sicilien die Rede gewesen. Deutsche conservative und ultramontane Zeitungen haben sich unterstanden, diese Thatsachen zu leugnen, sie zu vertuschen oder in einem milderen Lichte darzustellen. Ich habe mich während meiner Anwesenheit in Italien im verflossenen Sommer und Herbst genau nach diesen entsetzlichen Dingen erkundigt. Ich habe die ehrenwerthesten und berühmtesten Männer in Neapel darnach gefragt; ich habe mir die Documente über die geschehene Anwendung der Folter vorlegen lassen, ich habe mich auf deutschen Consulaten und Gesandtschaften erkundigt, ich habe mit den Officieren der Garibaldischen Armee gesprochen, welche gleich nach der Oeffnung der Polizeigefängnisse die Gemarterten gesehen haben; ich habe mir selbst aus der neapolitanischen Strafgesetzgebung die einzelnen, die Strafe der Folter und der Peitsche bei Untersuchuugsgefangenen anordnenden Decrete abgeschrieben, und ich erwidere diesen frommen und conservativen deutschen Zeitungen hier in diesem gelesensten Blatte Deutschlands, daß in Sicilien und Neapel – nicht in Sicilien allein – während der letzten fünfundzwanzig Jahre die Torturwerkzeuge des Mittelalters in weit raffinirterer Weise auf Befehl und Wissen der letzten Könige beider Sicilien, besonders aber des Königs Ferdinand des Zweiten bei Tausenden von politischen Untersuchungsgefangenen in den Polizeigefängnissen von Polizeicommissaren, Gensd’armerieofficieren, Sbirren und Kerkermeistern nach Belieben, um Geständnisse zu erpressen, angewendet worden sind.

Ich werde die Urkunden vorlegen, die Thatsachen erzählen, die Namen der Minister, Oberpolizeimeister und Schergen nennen, und alle meine Behauptungen beweisen.

Ich werde mich mit der Beschreibung der Gefängnisse, in denen diese Scheußlichkeiten verübt wurden, nicht aufhalten. Die englischen Zeitungen und mehrere französische Schriftsteller haben Beschreibungen der Kerker von St. Elmo und der Gefängnisse in dem Polizeipräfecturgebäude von Neapel gegeben; die Beschreibungen sind auch in deutsche Zeitungen[WS 1] übergegangen. Es ist dies auch eine Sache von untergeordneter Wichtigkeit. Ich kann das, was mir darüber aus englischen, französischen und deutschen Mittheilungen zu Gesicht gekommen ist, nur bestätigen, und füge hinzu, daß im frühern Königreich beider Sicilien ein jedes Polizeicommissariat auch ein Polizeigefängniß hatte. In mehreren Decreten Liborio Romano’s ist von der Abschaffung dieser „geheimen Gefängnisse“, wie sie dort wirklich genannt werden, die Rede.

Das Decret Liborio Romano’s vom 9. Juli 1860 lautet wörtlich:

„In Anbetracht, daß die Orte, welche zur Aufbewahrung der Detinirten und der auf Verdacht Eingezogenen dienen, den einzigen Zweck haben sollen, sich der Person der Schuldigen zu versichern, um sie zur Disposition der gerichtlichen Behörden zu stellen, und niemals, um sie Entbehrungen und Leiden zu unterziehen, welche mit den Grundsätzen der Vernunft und des Rechts durchaus nicht vereinbar sind, befiehlt der Polizeipräfect von Neapel:
1) daß hiermit geschlossen und abgeschafft sind ein für allemal die Gefängnisse, welche man unter dem Namen „criminali“ oder „segrete“ begreift, von welcher Art sie auch sein mögen, und zwar in allen Gefängnissen und Detentionsorten, welche sich in der Hauptstadt befinden;
2) daß durch den Generalsecretair der Präfectur sofort eine Commission niederzusetzen ist, welche sich mit der Ausführung dieser Maßregel zu befassen hat.
Neapel, den 9. Juli 1860.
Der Polizeipräfect  
Liborio Romano.“ 

Der Generalpolizeidirector, oder vielmehr der eigentliche Vicekönig von Sicilien, Maniscalco, früher Spion, Dieb und Gensd’arm, hatte seine Polizeigefängnisse in Morreale, in der Nähe einer Vorstadt von Palermo, Mezzo-Morreale. Ich will eins von diesen Gefängnissen schildern und beschreiben, in welchem Zustande dasselbe am 14. Januar 1848 gefunden wurde. Das Document, das über den Zustand dieses Gefängnisses aufgenommen wurde und von Mitgliedern der damaligen provisorischen Regierung, Consularbeamten, Officieren einer gerade im Hafen liegenden englischen Fregatte und mehreren achtbaren Bürgern Palermo’s unterzeichnet worden ist, hat mir bei dieser Beschreibung vorgelegen. Ich gebe seinen Inhalt in wortgetreuer Uebersetzung:

„In dem letzten Raume dieses trüben Locals befand sich ein sehr hoher Wandschrank, der die ganze Hälfte einer Mauer einnahm. Lange hatte er den starken Armen der Volkskämpfer Widerstand geleistet, als er bei einem neuen Angriff, indem wahrscheinlich eine Feder sich bewegte, sich plötzlich öffnete und eine festverriegelte Thür zeigte. In dem Gedanken, daß hinter ihr unglückliche Opfer verborgen sein könnten, brach man sie in wenigen Augenblicken auf. Ein Grabesgeruch hielt diejenigen zurück, welche schon im Begriff waren, sich hineinzustürzen, und man mußte Fackeln holen, um die Luft zu reinigen und zu sehen, wohin die Thür führe. Und was entdeckte man? Zuerst eine Stube, welche nach den Mobilien, welche sich in derselben vorfanden, zum Gefängniß gedient haben mußte. Sie wurde erleuchtet durch eine sehr hoch hängende Lampe, welche ein trübes, schwaches Licht verbreitete. Dann kam man in eine andere Stube, dunkel und finster. Sie war zu entsetzlichen Qualen bestimmt gewesen, wie die langen Blutspuren bezeugten, welche sich auf dem Pflaster und an den Wänden vorfanden. – In der Mauer, nach Süden zu, zeigte sich eine Nische, wo man an den Mauersteinen sehen konnte, daß hier ein Mensch eingemauert gewesen war, und zwar in der Art und Weise, daß er Kopf und Hände frei behielt. Eine neue Thür führte wiederum in einen letzten Raum, welcher noch dunkler und verborgener war. Aus diesem Loche konnte kein Geräusch an das Licht des Tages dringen. Die Männer, welche hier eingedrungen waren, waren von Schrecken ergriffen, als sie in einer Ecke einen Haufen menschlicher Gebeine entdeckten, Köpfe, welche noch mit

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Zeitugen
  2. Empfohlene Zitierweise:
    verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_071.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)