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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Ein Gang über Dresdens Kirchhöfe.

Von Louise Ernesti.
Nr. 2. Die protestantischen Kirchhöfe.

Bedeutend schöner durch Lage und Anlagen sind Dresdens protestantische Kirchhöfe. Den Neustädter, unweit des Leipziger und Schlesischen Bahnhofs gelegen, kann man jedoch keine stille Stätte des Todes nennen, indem das Pfeifen und Brausen der Lokomotiven laut dahin tönt und ewig an das bunte, unaufhaltsame Leben und Treiben der Welt mahnt.

Auf jenem Kirchhofe sind zwei Personen begraben, deren Andenken auf’s Treuste in der Erinnerung vieler Dresdener bewahrt wird und welche zu der Zahl derjenigen gehören, die dem geistigen Leben in dieser Stadt einst einen bedeutenden Aufschwung gegeben haben. Elisa von der Recke und August Tiedge lauten die beiden Namen, die uns an ihrem Grabe von schwarzer Tafel mit goldenen Lettern entgegenstrahlen.

Grabstätte von Elisa von der Recke und August Tiedge.

Frau von der Recke, dem Reichsgräflichen Hause der Medem’s entstammend, in Kurland geboren, in frühster Jugend mit einem kurländischen Edelmanne, Freiherrn von der Recke, verheirathet, von dem sie sich nach wenigen, in unglücklicher Ehe verlebten Jahren getrennt, vereinte sich, als sie nach Deutschland kam, zum dauernden Freundschaftsbunde mit dem berühmten Verfasser der Urania, August Tiedge. Sie bewohnten das von ihr angekaufte Besitzthum in Dresdens Neustadt, am Kohlmarkt gelegen, und dieses noch jetzt existirende Haus machten Beide bald nach ihrer Vereinigung zum Sammelplatz aller in Dresden lebenden Notabilitäten der Kunst und Wissenschaft, zum Zufluchtsort für alle durchreisenden Fremden von Rang und Auszeichnung. Die Erinnerung an jene geistreichen Cirkel hat sich bis auf die Jetztzeit im frischesten Glanze erhalten, denn sowie jene beiden Namen erklingen, wird zugleich das Bedauern laut, daß kein Haus in Dresden dieses ehemalige gastfreie und berühmte Haus ersetzt hat; Niemand in Sachsens schöner Residenz hat es verstanden, einen Cirkel zu gründen, wie Elisa von der Recke und August Tiedge ihn einst zur Freude und zum Genuß Aller gebildet, deren Interessen in gleicher Bahn mit der ihrigen zogen.

Die Freundschaft dieser beiden in der Literatur bekannten und berühmten Persönlichkeiten hat sich durch lange Jahre fest und dauernd erhalten, und erst der Tod hat ihre Trennung bewirkt. Frau von der Recke 1754 geboren, starb 1833; August Tiedge, 1752 geboren, starb 1841.

Ihr Wunsch, im Grabe von Neuem vereint zu werden, ist erfüllt. Beide sind auch auf jene außergewöhnliche Art bestattet worden, welche Frau v. d. Recke für sich und ihren Freund bestimmt hatte. Einfach in ein Leichentuch gehüllt, sind sie der Erde übergeben und nur das Gesicht Tiedge’s ist mit dichtgeflochtener Blumenmaske bedeckt worden, da er sich häufig dahin ausgesprochen, wie unangenehm ihm der Gedanke sei, im Grabe Steine und Erde unmittelbar auf das Gesicht zu bekommen.

Die Hoffnung, welche Frau v. d. Recke an dieses seltsame Begräbniß geknüpft, hat sich nicht erfüllt! – Ihre Absicht war es gewesen, den Armen die Kosten eines Sarges zu ersparen, aus welchem Grunde sie ihren Scheinsarg, in dem ihre Leiche nach dem Kirchhofe transportirt worden, auch den Armen vermachte. So

Reisiger’s Grab.

Tromlitz’s Grab.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_076.jpg&oldid=- (Version vom 31.1.2022)