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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

ihrem Lande nicht etwa um einen oder den anderen durchgegangenen Matrosen vermehre.

Das sind südcarolinische und mehr oder weniger sclavenstaatliche Zustände überhaupt.

Sind das Zustände! Freie Republiken mit Bildung, mit Universitäten, und tyrannischer und unter größerer Angst, als etwa ein Bourbon in den letzten Tagen seiner Herrlichkeit von Gottes Gnaden. Können sie sich halten, wohl gar siegen gegen den Norden? Nach menschlicher, mathematischer Voraussicht nicht. Man darf deßhalb hoffen, daß sie aus ihrer revolutionären Trennungswuth in ihre Furcht vor den Folgen zurückkriechen und auch ferner noch Baumwolle bauen werden. Oder wird sich doch die unvermeidliche Krisis schon ausbilden und erledigen? Wenn man den Muth hat, über die unmittelbaren Schrecken und Handelskrisen, über die Millionen von englischen Baumwollenspindeln, Webstühlen und Webern hinwegzublicken und nach dem Ergebnisse zu urtheilen, wird man dies wünschen und willkommen heißen. Was wird die Folge sein? Freie, mehr leistende Arbeiter, wo jetzt Sclaven gepeitscht werden, wenn auch nicht just auf denselben Stellen. Baumwolle kann leicht durch Indien, Jamaica etc. geliefert oder auch, wie früher, durch schöne Leinwand, durch Sammt und Seide – ersetzt werden.

Die Baumwollen-Industrie in allen ihren Zweigen und so recht bis in die Zollvereinsstaaten hinein ist ein Fluch der Menschheit geworden. Ihr Untergang oder Rücktritt unter die Bedingungen freier Arbeit wäre ein Segen für uns Alle, die Auferstehung und goldene Blüthe viel edlerer Bodenbenutzung, viel schöneren Kunstfleißes mit Händen und Maschinen. – –




Erinnerungen aus dem Schleswig-Holsteinschen Kriege.

Von A. Baudissin.
Nr. 1.
Ein Soldaten-Diner.

Das dritte Schleswig-Holsteinsche Jägercorps lag nach der Schlacht bei Idstedt längere Zeit am Bissensee im Bivouac und erfreute sich nach den großen Verlusten, die es bei Idstedt erlitten hatte, einer besonders angenehmen Ruhe in der sandigen, magern und elenden Gegend des Bissensee’s.

Im Norden liegt das Dorf Breckendorf, welches von unsern lieben Freunden, den Dänen, täglich heimgesucht wurde, so daß zuletzt kein Halm Stroh, kein Huhn und kein Pfund Butter in dem großen Dorfe zu finden war. Wir beschlossen, diesem Wohlleben der Dänen ein Ende zu machen, und schickten jeden Morgen vor Tagesanbruch eine Compagnie Jäger nach dem so schwer geprüften Dorfe und hatten mehrmals das Glück, einer dänischen Fouragir-Colonne ein Gericht blauer Bohnen auf den Pelz zu brennen. Dies reizte nun wieder den Major des dänischen Bataillons, der uns zunächst commandirte, und es entspannen sich allmählich Tag für Tag kleine Gefechte in und um Breckendorf, die indessen zu nichts führten und den Vorrath der Lebensmittel auch nicht vergrößerten. Wir waren allmählich an diese Scharmützel so gewöhnt, daß es uns ging wie dem Wassermüller, der aus dem Schlafe erwacht, wenn seine Mühle steht. Wenn wir des Morgens aus unserm Strohlager erwachten, Mäuse und Hamster vertrieben und Kaffee tranken, so fehlte uns etwas, wenn wir es in Breckendorf nicht knallen hörten, und es wurden Bemerkungen laut, wie: „Es ist zu langweilig! Nicht einmal schießen hört man heute! Sollte der Major nicht ’mal Lust spüren, auszurücken? Was ist denn in Breckendorf los? es fällt ja kein Schuß! Es ist zum Verzweifeln!“

Wir mochten ungefähr sechs Wochen lang so zwischen Vergnügen und Langeweile, Gefechten und Nichtsthun verlebt haben, als wir auf den Einfall kamen, unserm Major ein „dîner fin“ zu geben. Mit fabelhafter Energie wurde das Project betrieben, und der Hauptmann von B., der von allen Officieren die schönste Hütte besaß, übernahm es, den Tisch zu besorgen. Von Morgens früh bis spät in die Nacht wurden fuderweise Epheukränze gewunden, Moos und Eichenlaub wurde herbeigeschafft, künstliche Sessel wurden bereitet, und als Krone des Luxus wurde aus Breckendorf eine Fensterscheibe herbeigeholt, die, künstlich in Moos und Epheu eingefaßt, über dem Platze thronte, wo unser Major sitzen sollte. Es war in der That ein niedliches Zelt! Alles war so geschickt und hübsch eingerichtet, daß wir anfingen, von uns selbst eine hohe Meinung zu bekommen und das Naturleben der rohen Völker in Amerika als etwas Idyllisches zu betrachten.

Wir schickten unsere Fouriere nach Rendsburg und ließen Cigarren, Wein, Punschessenz, Kaffee, Zucker, Austern und Citronen herbeibringen. Da diese Sachen leider nur für baar Geld zu haben waren, wir aber – wie alle Soldaten – kein Baargeld führten, so mußte uns der Zahlmeister Vorschüsse machen, was er aber erst dann that, als wir ihn feierlichst zu unserm „dîner fin“ eingeladen hatten. Ein Lieutenant M. aus Westphalen hatte ein Auge auf die Tochter eines reichen Pächters in der Nachbarschaft geworfen und bestand darauf, daß die ganze Pächterfamilie eingeladen werde, damit ihm endlich Gelegenheit geboten würde, das Siegel seines Herzens zu lösen und der schönen Marie unter vier Augen zu gestehen, daß er nicht abgeneigt sei, sich bei den Fleischtöpfen ihres Herrn Vaters häuslich niederzulassen. Der Vorschlag wäre durchgefallen, wenn nicht ein Jeder von uns ein Lottchen, Hannchen, Minchen oder Trinchen gekannt hätte, und es wurde somit endlich beschlossen, daß Jeder seine Herzenskönigin nebst Familie einladen dürfe, vorausgesetzt, daß die Eingeladenen Eß- und Trinkwaaren mitbringen würden.

„Tractiren wollen wir nicht,“ sagte ein alter Oberlieutenant, der längst sein Trinchen heimgeführt hatte und dem die jugendlichen Gefühle seiner Cameraden etwas antiquirt erschienen, „tractiren wollen wir nicht; wenn die guten Leute aber etwas Gutes mitbringen, so mögen sie willkommen sein. Ich verderbe kein Fest, nur gegen das Tractiren habe ich einen Widerwillen, den ich mit in’s Grab nehmen werde.“

Nachdem also die Sache soweit in Ordnung war, wurden Briefe geschrieben an Meier, Schulze, Müller, Schmidt und Hansen, und in den höflichsten Ausdrücken wurde das Ersuchen gestellt, daß „die verehrten Herren mit ihren werthen Damen“ uns die Ehre ihrer Gegenwart schenken und am 12. August, Mittags zwölf Uhr ein Soldatenfrühstück im Lager am Bissensee einnehmen möchten. Da nun die Minchen und Trinchen, Lottchen und Hannchen ihrerseits einen August, Wilhelm, Theodor und Fritz hatten, und da ein gutmüthiger Pächter seiner pausbäckigen, heirathsfähigen Tochter nicht gut eine Bitte abschlagen kann, so erhielten wir auf unsre höflichen Einladungen höfliche Zusagen. – Die Aufregung unter den jungen Officieren war groß.

„Wenn Hannchen morgen kommt, so sprich Du recht viel mit ihrem Vater,“ bat M.

„Führe Lottchens Vater hier im Lager herum, wenn Du siehst, daß ich mit meinem Taschentuche winke,“ bat Lieutenant K.

„Du könntest mir wohl den Gefallen thun, Minchens Vater etwas anzusäuseln,“ flehte der junge Lieutenant W.

Trinchen’s Vater hat noch keine Kanonen gesehen, zeige sie ihm doch morgen, ich thue Dir auch einen Gefallen,“ wisperte Lieutenant B., indem er mir krampfhaft den Arm drückte. – Ich machte die ganze Nacht vor dem dîner fin kein Auge zu. Meine Cameraden erzählten mir um die Wette ihre Liebesaffairen von A bis Z; M. kratzte sogar auf der Guitarre, diesem Seufzerkasten aller Verliebten, und sang mit seiner krähenden Stimme hinaus in die Sternennacht: „Steh’ ich in stiller Mitternacht so einsam auf der stillen Wacht.“ Der alte Oberlieutenant schüttelte ärgerlich den Kopf und meinte: „Alles will ich mir gefallen lassen, nur das Klimpern auf dem Winselholz nicht.“

„Und das Tractiren nicht,“ rief M.

„Und das Tractiren nicht,“ fügte er hinzu. „Ihr kriegt die Mädchen doch nicht, das ist noch das einzige Glück bei der ganzen Geschichte, darum habt Erbarmen und macht mich mit Eurem Verliebtthun nicht melancholisch; es ist ja doch nichts, als reiner Larifari!“

So verging unter Liebesseufzern, Flohstichen, Mäuse- und Hamsterbesuchen die Nacht, und in niegesehener Glorie hob sich die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 137. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_137.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)