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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

viertägigen Marsches ermüden. Vier Tage wateten wir durch diesen Schlamm, ohne auch nur ein einziges Mal auf zehn Schritt trockenen oder nur festen Boden zu haben. Vier Tage kreuzten wir angeschwollene Bergströme und kletterten und krochen durch zackige, umgestürzte Wipfel, die Nacht dann unter einem rasch errichteten Laubdach zuzubringen und den Regen darauf niederpeitschen zu hören. Ich selber hatte dabei eine sehr böse Hand, denn am Pailon war mir ein Tropfen brennendes Gummielasticum – wovon man dort Fackeln macht, auf den rechten Zeigefinger gefallen, und das Geschwür, das sich dadurch erzeugte, fraß weiter und weiter. Vergebens suchte ich es mit Bleiwasser zu kühlen und zu beruhigen, es wurde so arg, daß ich die Hand kaum noch schließen konnte, und ich darf es für ein Glück rechnen, daß ich Höllenstein bei mir führte. Erst als ich es damit beizte, fing es an zu heilen, und bis ich nach Quito kam, hatte ich wenigstens meine Hand wieder hergestellt – wer weiß wie sonst Alles geworden wäre.

Die Waldung war sich die ersten Tage noch ziemlich gleich geblieben, wurde aber die letzten Tage sehr von der verschieden, wie wir sie vom Pailon nach dem Bogota gefunden. Dort herrschte vorzugsweise niedriger Grund vor, und die Negritopalme deckte weite sumpfige Strecken. – Hier kamen wir schon in höheres und mehr bergiges Land, und die Oelpalme mit der Palme Real bildete den hervorragendsten Theil der Vegetation. Ich sah Stellen, wo der Wald fast einzig und allein aus Palmen bestand, und wundervolle Gruppen bildeten sich oft, wo zehn oder zwölf dieser schlanken zierlichen und doch so mächtigen Stämme hie und da einen alten von Lianen dicht umhangenen Laubholzbaum umstanden. Eine Masse wundervoller Orchideen wuchsen hier ebenfalls, aber ich konnte natürlich nicht daran denken, mich länger mit ihnen einzulassen, als eben ihre Farbenpracht zu bewundern.

Schlinggewächse gab es ebenfalls in Masse, und so oft mich diese schon im Leben geärgert und ermüdet halten, so sollte ich hier doch auch einen praktischen Nutzen von ihnen sehen.

Unser Weg führte jetzt nämlich am linken Ufer des Flusses Mira hinauf, dessen dumpfes Rauschen und Brausen wir fortwährend neben uns hören konnten, während wir dann und wann sogar mit Hülfe dahin auslaufender Schluchten sein Thal erblickten und sein trübgelbes Wasser reißend schnell darin hinschießen sahen. Viele kleine und größere Bergströme ergießen sich natürlich hinein und wir waren so gewöhnt durch diese zu waten, so tief und reißend sie auch immer sein mochten, daß wir uns nie an ihrem Ufer auch nur eine Secunde aufhielten. Hier aber trafen wir einen größeren Strom, den Lita, wilder und tiefer als alle übrigen, mit hohen, steilen Ufern, in denen die wilde schäumende Fluth kochend hinschoß. An ein Durchwaten war hier natürlich nicht zu denken, und selbst ein Durchschwimmen wäre nur weiter oben möglich gewesen. Uns das aber ersparend, hatten die zuletzt diesen Weg passirenden Indianer eine treffliche Brücke aus wilden Schlingpflanzen über den Strom gezogen, die allerdings bedeutend hin und her schwankte, der man sich aber doch ganz sicher anvertrauen konnte.

(Fortsetzung folgt.)




Englisches „Hochleben“.

Die regierenden Classen Englands sind nun größtentheils wieder beisammen in London. Was wollen sie alle in London? Regieren oder wenigstens sich an diesem Geschäfte der tausend Herren des Parlaments möglichst betheiligen. Merkwürdiges Geschäft der obersten englischen „Compagnie“. Die Minister und deren unmittelbare Beamte kriegen allerdings viel Geld und haben außerdem jährlich 70 bis 80 Millionen Pfund[1] – man bedenke, daß dies 500,000,000 Thaler sind – der Staatseinnahme zu placiren; aber die eigentlichen Gesetzgeber des Parlaments – die nun wieder sechs Monate lang fast alle Nächte bis 12, 2, 3, 4 Uhr sitzen, reden, Reden anhören und abstimmen, den Tag über tausenderlei Briefe, Petitionen, Deputationen und Consultationen durchmachen müssen – diese Herren thun dies nicht nur Alles umsonst (nichts von euren 3 Thaler-Diäten, womit das Parlamentsmitglied kaum seinen Stiefelwichser würde befriedigen können), thun dies nicht nur Alles umsonst, sag’ ich, sondern lassen sich’s auch Tausende von Thalern kosten, um sich die gehörige Anzahl von Wählern zu kaufen, nur um in dieses brodlose Geschäft hineinzukommen.

„Wer erklärt mir, Oerindur,
Diesen Zwiespalt der Natur?“

Brodlos ist’s wohl, antwortet Oerindur, aber ein desto besseres Sammel-Geschäft, wobei man die braune Butter aus Bierkrügen trinken könnte, wie jener Hirtenknabe thun wollte, wenn er König wär. Das Parlament ist, wie es der unerschrocken witzige Drummond und später Cobden dem Unterhaus in’s Gesicht bewies, eine Börse, ein Bazar, worin mit Anstellungen, Beförderungen, Connexionen, Concessionen, Monopolen und Privilegien, Pensionen, Titeln, selbst Töchtern gehandelt wird, also gelegentlich auch Heirathsbureau und Hymenfackelhandlung. Dabei handelt es sich um möglichst viele und große Antheile von den 500 Millionen, welche die obersten Zehntausend jährlich aus den Taschen des Volkes zum Wohle des Staats verzehren. Hie und da fällt ein guter Auftrag, ein fettes Amt ab, das seinem Eigenthümer an 25 bis 40,000 Thaler jährlich eintragen kann. Man sieht, daß bei dem brodlosen Geschäft ein bescheidener Mann noch ganz gut auskommen kann, zumal wenn man bedenkt, daß noch eine gute Menge andere Millionen aus indirecten und Lokal- oder Gemeindesteuern im Stellen- und Beförderungsbazar vergeben werden.

In die Geheimnisse des Detailgeschäfts können wir nicht so leicht eindringen. Es sind eben Geheimnisse. Die Betheiligten bilden eine Art Freimaurerthum.

Die obersten Zehntausend haben aber auch noch über fabelhaft große Privatmittel zu verfügen. Etwa zehn Familienhäupter stehen sich auf eine Million Pfund jährlicher Einkünfte, mit dem Herzog von Bedford, Haupt der Russel-Familie, an der Spitze. Zu Gunsten des Decimalsystems nimmt man dann 30 Familien an, die einen Uebergang von der Million bis zu 100,000 Pfund bilden. Die Zahl der Hunderttausendpfünder wird dann mit 100 angesetzt. Es folgen tausend Crösus, die jährlich jeder zwischen 50,000 und 100,000 einnehmen und oft viel mehr ausgeben. Ich selbst hab’ einmal für eine verwittwete Herzogin einige kleine Arbeiten im Gebiete der deutschen Literatur ausgeführt und sie dabei klagen gehört, daß sie sich einschränken müsse und mir nicht so viel bieten könne, als meine Arbeit werth wäre. Sie honorirte zwar überraschend hoch, aber die arme Frau hatte doch geklagt mit ihrem knappen Wittwengehalte von 75,000 Pfund jährlich, einer halben Million jährlich oder guten tausend Thalern täglich. Etwa 2500 Mitglieder der obersten Zehntausend steigen in ihren Einkünften herab bis zu je 20,000 Pfund. Mit ungefähr dieser Summe muß sich Jeder der etwa 6000 Unglücklichen begnügen, welche die Zahl der obersten Gesellschaftsschicht vollmachen.[2]

Natürlich sind dies sehr runde und allgemeine Zahlen, die ich aus einem englischen Buche, wo Alles genauer ausgeführt war, entnommen habe. Man kann sich getrost bedeutende Summen abziehen oder auch noch aufbürden lassen, im Ganzen bleibt’s dasselbe: ungefähre Vorstellung von den ungeheuern Geldmassen, welche durch die obersten Zehntausend fließen. Die Reihen von Palästen, in denen sie um den Hydepark herum wohnen, sind allein viel größer als Berlin. Jeder dieser Paläste mästet ein Dutzend bis zwanzig dienstbare Geister, die sich meist selbst wieder bedienen lassen, und hält sich so und so viel Wagen- und so und so viel Reitpferde. Was mögen sie eigentlich mit diesen vielen Dienstboten und Pferden und Millionen von Pfunden machen? Schulden, ja Schulden. Das ist ihr Hauptgeschäft. Es läßt sich kaum erklären. Aber man bedenke, daß die 10 bis 20 dienstbaren Geister in jedem Hause eine Art von Harpyien bilden, die Alles benaschen, beknabbern, übertheuern, fälschen, verprassen, zum Theil heimlich verkaufen, was ihnen und beiläufig auch der Herrschaft in’s Haus geliefert wird. Vor einiger Zeit stand der Weinkellermeister eines solchen Oberstzehntausendmann’s vor Gericht, dem nachgewiesen ward, daß er durch ein Privatmauseloch im Keller für mehrere Tausend Pfund Wein verkauft hatte. Sie geben auch Bälle und glänzende Gesellschaften, die dienstbaren Geister im unterirdischen


  1. Das Budget, im Anfange dieses Jahrhunderts 20, schwankte während der letzten 10 Jahre zwischen 70–80, und läuft während des laufenden Jahres auf 72 Millionen.
  2. Die hohen Familien mit geringeren Jahresrenten gehören nicht eigentlich mehr unter die „obersten“.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_154.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)