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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)


ruhige Volk um so gefährlicher, als sie gegen eine Regierung gerichtet ist, die ihre Milde und ihren versöhnlichen Geist so eclatant auch namentlich jetzt nach Niederwerfung der Revolution bewiesen hat.“

„Sie meinen doch die russische Regierung?“ fragte ich ihn.

„Gewiß. Und ich freue mich, daß auch Sie die väterliche Milde dieser Regierung anerkennen. Sie werden daher auch gewiß nicht jenen elenden Tagesschreiern beistimmen wollen, die von Grausamkeit und dergleichen sprechen, und Sie werden auch unserer Regierung Gerechtigkeit widerfahren lassen, wenn sie, zumal durch feierliche Staatsverträge verpflichtet, solche Verräther, die sich dem Arme der Gerechtigkeit durch die Flucht auf hiesiges Gebiet entziehen wollen, ihrer rechtmäßigen Obrigkeit und dem gesetzmäßigen Richter wieder ausliefert.“

Es stieg ein frivoler Wunsch in mir auf, ein schadenfroher.

Er gab mir zugleich sonderbare Ahnungen ein. Ich mußte nur Alles unterdrücken, um jener armen Menschen willen.

„Ein Fall solcher Art hat Sie hierher geführt?“ fragte ich.

„Ja. Einem der gefährlichsten Empörer und Verschwörer, dem Grafen Tomborski, war es seit Niederwerfung der Revolution gelungen, allen Nachforschungen der Regierung sich zu entziehen. Vor Praga in den letzten Kämpfen schwer verwundet, hatte er nicht flüchten können. Später, als er genesen, war seine Gattin schwer erkrankt, die ihn nicht hatte verlassen wollen. Er wollte jetzt sie nicht verlassen. Darüber waren überall im Lande geordnete Zustände hergestellt, so daß sie zwar lange Zeit noch immer sich verbergen konnten, ein Entkommen aus ihrer Verborgenheit aber und vollends ein Entfliehen über die Grenze ihnen fast zur Unmöglichkeit wurde. Zuletzt wurde auch ihr Aufenthalt entdeckt: die verrätherische Wittwe eines Edelmannes, Freundin der Gräfin, hatte sie über ein halbes Jahr lang in ihrem Schlosse vor Aller Augen zu verbergen gewußt. Sie sollten aufgehoben werden –“

„Ah, in der Stille!“ mußte ich den Erzähler doch unterbrechen, „die Regierung liebt das in Polen. Es giebt das einen heilsamen Schreck.“

Er zuckte die Achseln.

„Was wollen Sie? Uebrigens muß man in manchen Dingen auch den Eclat vermeiden.“

„Besonders die Polizei.“

„Allerdings. Indeß um auf den Grafen Tomborski zurückzukommen –“

„Und seine Gattin,“ unterbrach ich ihn wieder.

„Und sie, und zugleich ein Kind von ungefähr anderthalb Jahren –“

„Wie? Auch ein anderthalbjähriges Kind wird mit verfolgt?“

Der Regierungsassessor lachte.

„Was wollen Sie?“ sagte er wieder. „Solch ein Kind ist eine vortreffliche Geisel. Man hat dadurch die Eltern in der Hand, man kann sie damit zurückrufen -“

„Auch nach Sibirien –“

„Gerechtigkeit muß sein! Allein lassen Sie mich fortfahren.“

„Fahren Sie fort.“

„Die Leute sollten aufgehoben werden, in der That heimlich. Auf einmal waren sie verschwunden, Mann, Frau und Kind, seit vier Tagen jetzt schon, und es ist noch nicht gelungen, ihrer wieder habhaft zu werden. Man hat nicht einmal eine sichere Spur von ihnen entdecken können. Nur haben einzelne Anzeichen darauf schließen lassen, daß die Verfolgten ihre Richtung nach dieser Grenze genommen haben. Das ist der Grund meines Hierseins.“

„Und dessen Zweck ist?“ fragte ich.

„Mein Zweck? Heute Morgen traf bei der Regierung ein Schreiben der russischen Behörde um mögliche Nachforschung auf diesseitigem Gebiete und schleunigste Auslieferung ein. Hierzu die erforderlichen Anordnungen zu treffen und zugleich diese selbst zu leiten, ist der Zweck meines Hierseins.“

„Sie haben gewiß schon die erforderlichen Anordnungen unterwegs getroffen?“

„Allerdings, in allen Dörfern an der Grenze, durch die ich kam. Das hat meine Ankunft hier verspätet. Ich werde indeß sofort zu dem hiesigen Schulzen schicken.“

Er wollte aufstehen, um den Befehl zu ertheilen. Wenn er wirklich zu dem Schulzen schickte und wenn dieser zu ihm kam, so war Alles verloren. Ich mußte es verhindern.

„Der Schulze wird schon schlafen,“ sagte ich ihm.

„O,“ lächelte er stolz, „ich habe das Recht, meine Untergebenen auch um Mitternacht wecken zu lassen, und sie müssen augenblicklich erscheinen.“

„Aber kennen Sie den hiesigen Schulzen, Herr Regierungsassessor?“

„Ich kenne ihn nicht.“

„Sie kennen aber die Litthauer überhaupt?“

„Wie kein anderer Mann in der Provinz.“

„So wissen Sie auch, daß sie den Deutschen nicht sehr zugethan sind.“

„Hm!“

„Sie lieben zum Beispiel nichts mehr, als uns Deutschen allerlei häßliche Spitz- und Schimpfnamen zu geben.“

Er wurde roth. Die litthauischen Mädchen mochten oft genug hinter ihm her gerufen haben: „Da geht der schwarzweiße Storch mit den entsetzlich langen Beinen.“

„Hm, hm!“

„Ein Prachtexemplar von dieser Ausgabe ist der hiesige Schulze. Ich kenne ihn. Und ich stehe Ihnen nicht dafür ein, daß der Mann nicht, sobald Sie mit ihm gesprochen hätten, das halbe Dorf im Geheimen auf die Beine bringen würde, um die Verfolgten in Sicherheit zu schaffen. Denn daß das Volk die Russen nicht liebt, werden Sie gleichfalls zugeben.“

Er war sehr nachdenklich geworden.

„Hm, hm! Ja, ja! Aber was fange ich an?“

„Lassen Sie es uns überlegen, bei einem Glase – Ach, wo denke ich hin? Wie gäbe es hier Wein! Aber Punsch werden wir bekommen können. Und er wäre am Ende besser als Wein. Mich friert. Sie werden in dem schlechten Wetter nicht minder durchfroren sein.“

Die Falten seines Gesichts nahmen wieder einen vergnügteren Ausdruck an. Es war Leben in diesen Falten.

„Ach, ich bin wirklich durchfroren und ich würde mir die Ehre geben, diesen Punsch zu bereiten. Ich verstehe mich darauf.“

„Vortrefflich.“

Der Krüger brachte gerade das Abendbrod des Assessors.

„Sie haben doch Rum und Zucker im Hause, lieber Krüger?“ fragte er ihn wichtig.

„Sehr guten, Herr Regierungsassessor.“

„Und Citronen?“

„Noch drei Stück.“

„Sie reichen aus.“

„So lassen Sie schnell Wasser kochen.“

„Wasser kocht in der Küche immer.“

„Herrlich. So bringen Sie das Alles herein, wovon ich sprach.“

„Der Herr Assessor wollen einen Punsch machen?“

Der Wirth hatte nach drei Minuten Alles hergebracht, und einen großen Suppennapf dazu. Der lange Assessor bereitete mit seinem würdevollsten Eifer den Punsch. Er verstand sich darauf.

(Fortsetzung folgt.)


Friedrich Christoph Dahlmann.

Von Heinrich v. Treitschke.

Unter der großen Zahl guter Männer, welche dieser arge Winter uns entrissen, ist Einer, der wie Wenige eine Untugend unserer rasch lebenden Tage an sich erfahren hat – ihre Fertigkeit, Menschen zu vernutzen und zu vergessen. Nicht gehoben von der Huld der Großen, nicht getragen von der Gunst der Menge, war er dennoch während langer Jahre ein Lehrer und Führer der Freiheitsbestrebungen unseres Volkes. Und heute wird sein Name nur noch selten genannt von einem Geschlechte, dessen politische Ideale zum guten Theile in den Gedanken dieses Mannes wurzeln.

Friedrich Christoph Dahlmann ward am 13. Mai 1765 im Bürgermeisterhause der damals schwedischen Stadt Wismar geboren. So durch die Geburt mitten hineingestellt zwischen die deutsche und die skandinavische Welt, hat er auch, siebzehnjährig, auf der Kopenhagener Hochschule seine gelehrte Bildung begonnen. Die


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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 164. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_164.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)