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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

gleichgültig, als mich mein Führer – als bestes Hotel – in eine dunkle Bude der plaza führte, wo ich mich, als erstes Entree, draußen auf der Straße auf meine Satteltasche setzen und eine Cigarre rauchen wie eine Orange essen mußte. Ich sehnte mich schon nach dem nächsten Morgen und hatte nur einen Boten an einen Herrn Gomez de la Torre geschickt, um zu erfragen, ob Mr. Wilson auf seinem Wege von Quito schon hier eingetroffen wäre oder wann er erwartet würde, als Mr. Wilson’s Dolmetscher, ein junger Franzose, den er statt des trunkenen Amerikaners angenommen hatte, selber kam und mich mit Gewalt dieser posada entführte. Er sagte mir, daß Mr. Wilson morgen erwartet würde, daß Señor Gomez de la Torre aber keinesfalls zugäbe, mich die Zeit in der posada zu lassen, und ich deshalb augenblicklich in seine Wohnung müsse. Ich weigerte mich im Anfang meines entsetzlichen Aussehens wegen, aber es half nichts, und wieder einmal seit langer, langer Zeit, ja seit ich England verlassen, befand ich mich in freundlichen, wohnlichen Räumen und konnte wieder mit Messer und Gabel von einem reinlich gedeckten Tisch essen.

(Schluß folgt.)


Ein Deutscher.

Roman aus der amerikanischen Gesellschaft.
Von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)

Reichardt griff nach seinem Hute und erhob sich. „Lassen Sie das Schimpfen!“ sagte er, „ich hatte Sie für einen andern Menschen genommen, als der Sie sind, Meißner, und es ist nichts weiter nothwendig, als daß wir uns Adieu sagen –“

„Sein Sie meinetwegen böse, ich kann mir nicht helfen!“ unterbrach ihn der Andere, „ich muß mich ärgern, daß mir das Frauenzimmer meine erste Freude im neuen Lande verdirbt. Leben Sie wohl, Professor, denn zu rathen ist Ihnen doch nicht; glauben Sie aber, daß mir die Stunden immer die liebste Erinnerung sein werden, in denen Sie uns auf dem Schiffe die Quartetten einpaukten!“ Er hatte sich erhoben, faßte mit einem lebhaften Drucke Reichardt’s Hand und wandte sich dann dem Hintergrunde des langen Raumes zu, unter den übrigen Gästen verschwindend.

Reichardt hatte ihm mit einem Kopfschütteln nachgesehen und wandte sich dann langsam dem Ausgange zu. Er war sich vollkommen klar, daß der Kupferschmied für die Dauer keine Gesellschaft für ihn gewesen wäre, demohngeachtet that ihm der rasche Abschied fast leid, und je weiter er den Weg nach seiner neuen Wohnung verfolgte, je mehr wollten einzelne Aeußerungen des Reisegefährten einen Schein von absoluter Vernunft annehmen. Seine Baarschaft war auf kaum mehr als zwei Monate Unterhalt berechnet und von Mathildens Verhältnissen kannte er durchaus nichts – demohngeachtet, wenn er sich ihre ganze Haltung zurück rief, erschien es ihm unmöglich, daß sie sich einzig auf seine Sorge für ihren vorläufigen Unterhalt verlassen haben konnte; und je mehr er sich des Mädchens ganzes Wesen vergegenwärtigte, je mehr empfand er auch wieder den Zauber, den sie während der langen Reise auf ihn ausgeübt, und des Kupferschmieds Voraussetzungen begannen sich in wahre Lästerungen zu verwandeln.

Ein Bratenduft, der aus einer der unterirdischen Restaurationen herausdrang, erinnerte ihn endlich, daß er seit dem letzten Schiffsfrühstücke noch nichts genossen habe, und was noch von der Begegnung mit dem Kupferschmied Störendes in ihm zurückgeblieben war, ging in der ersten kräftigen Mahlzeit nach den langen Entbehrungen der Seereise unter.

Als er sein Boardinghaus wieder erreicht, sandte ihn die Wirthin nach dem Zimmer der „Schwester“, die längst auf ihn warte, und den Eintretenden empfing dort bereits der süße Duft, welcher mit jeder eleganten Frau in ihre Wohnung einzuziehen scheint. Mathilde, welche die Straße beobachtet zu haben schien, eilte mit einem klaren Lächeln auf ihn zu und führte ihn nach dem zweiten Stuhl am Fenster. Ihr Gesicht hatte an Frische und Lebendigkeit gewonnen, ihr Auge leuchtete ihm in einem ungewohnten Glanze entgegen, und Reichardt meinte erst jetzt den Reiz, der in ihrer Erscheinung lag, ganz zu empfinden.

„Ich denke, wir sind hier recht gut angekommen,“ begann sie, „wenigstens scheint mir die Wirthin eine so gutmüthige Seele, daß sie Alles thun wird, um mir die Wege für eine künftige Existenz zu zeigen – und jetzt, Bruder Max, wollen wir gleich miteinander voll in’s Klare kommen. Du wirst mich nicht fragen: woher kommst Du, und was bist Du gewesen? Ich habe seit heute Morgen abgeschlossen mit der Vergangenheit und bin nichts als Deine Schwester!“ Sie reichte ihm die Hand, zog sie aber mit einem Lächeln voll leichten Erröthens zurück, als Reichardt fest seine beiden Hände darum schloß. „Brod, sagtest Du, ist vor Allem die Hauptsache,“ fuhr sie fort, „und ich will gleich gestehen, daß mich damals über die Frage, wie es zu erwerben, eine Art Bangigkeit überlaufen hat – ich will arbeiten mit allen Kräften, ich verstehe Mancherlei; aber ich weiß, daß ich bei Beschäftigungen, die aus dem Menschen eine halbe Maschine machen, zu Grunde gehen würde. Ich habe nie mit der Nadel in der Hand auf dem Stuhle aushalten können – es mag das schlimm scheinen in einer Lage, wie meine jetzige, aber ich denke, ich werde darüber hinauskommen. Ich verstehe französisch, ich habe als vorzügliche Vorleserin gegolten, ich habe eine Schulausbildung, die mich wohl zu einer Lehrerin befähigt – wir werden ja sehen, heute will ich mir den Kopf noch nicht damit schwer machen. Es ist, seit ich mir bewußt geworden bin, von keinen Banden beengt in dem großen freien Lande zu stehen, mein eigenes Schicksal ganz in meiner Hand zu haben, ein Hochgefühl über mich gekommen, das ich mir wenigstens den ersten Tag nicht verderben will. – Aber hier eine noch größere Hauptsache,“ fuhr sie aufspringend fort und nach einigen Goldstücken auf der Kommode greifend, „hier ist mein Kostgeld für die ersten vier Wochen, damit sind diese Sachen erledigt – und nun, Bruder Max, dort ist die Violine, die ich habe hersetzen lassen; jetzt noch einmal zum Abschied von Allem, was hinter uns liegt: „Zieh’n die lieben gold’nen Sterne,“ ich möchte mich gern ein einziges Mal dabei so gehen lassen, wie es mir schon lange im Herzen liegt und ich es auf dem Schiffe nicht durfte.“

Für Reichardt war es fast, als sei eine graue Nebelhülle, welche bisher über dem Mädchen gehangen, von ihr gefallen; er gab sich dem Eindrucke, welchen die eigenthümliche Veränderung ihres ganzen Wesens auf ihn machte, hin, ohne lange nach dem Grunde derselben zu forschen, legte das ihm in die Hand gedrückte Geld bei Seite und nahm die Geige aus dem Kasten. Hätte ihn Mathilde nicht dazu aufgefordert, so hätte er es, unter dem Eindrucke seiner augenblicklichen Empfindungen, wahrscheinlich freiwillig in seinem Zimmer gethan. Er begann in der rechten Stimmung die in großartigem Style gehaltene Einleitung; als er aber jetzt in das einfache, reizende Thema überging, erhob sich mit diesem die Stimme des Mädchens als Begleitung, anfänglich wie ein leiser Hall aus der Ferne in wunderbar süßem Klange, bald aber mit jeder Strophe an sonorer Fülle gewinnend und der Vortragsweise in allen Schattirungen sich anschmiegend, als hätten Beide schon wochenlang die Melodie zusammen studirt. Reichardt’s Auge begann mit jedem Takte mehr aufzuglänzen, und wie in lebhafter Spannung begann er jetzt die Durcharbeitung; Mathilde aber schien fast nur darauf gewartet zu haben und nahm jetzt das Thema in Tönen so klar wie Silber auf:

Zieh’n die lieben gold’nen Sterne
Auf am Himmelsrand,
Denk ich dein in weiter Ferne,
Theures Heimathsland.

Wie zwei Lerchen schwangen sich die Töne der Geige und der Stimme nebeneinander auf, einander durchkreuzend, sich fliehend und wieder findend; Reichardt’s Wangen brannten und Mathildens Augen strahlten wie in lichter Verklärung. Als aber im Echo des Schlusses die Stimme wieder zur Begleitung übergegangen und die Klänge leiser und leiser wie in weiter Ferne verhallt waren, als Reichardt, Blick in Blick mit dem Mädchen, sein Instrument sinken ließ, da trat sie langsam auf ihn zu und legte wie in voller Selbstvergessenheit ihre beiden Hände fest an seine Arme. „War es

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_174.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)