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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Hunde, einander tödtende Kampfhähne, Wellington, die Königin und einige Rennpferde an den Wänden entlang.

Der Präsident nimmt oben hinter Wolken seinen Sitz ein, ihm gegenüber am anderen Ende der Tafel der Vice-Präsident Billy-Cool. Beide rauchen als höhere Wesen Cigarren, alle Andern ihre Thonstummel. Billy Cool hält ein Scheusal von Riesenhund, dessen Rachen mit dicken Lederriemen verbunden ist, zwischen den Beinen und an einem starken Stricke fest und dahlt mit ihm, wie mit einem schwachen, geliebten Säuglinge. „Der schönste, gezäumte Bulle im zwanzigmeiligen Umkreise!“ wie mich ein Nachbar vertraulich belehrte.

Und nun die Gesellschaft! Die Aussteller! Die Ritter der Hunde-Industrie! Ich habe alle Arten von Londoner Verwahrlosung und Brutalität gesehen, wohl aber nie eine solche auserlesene Sammlung von Trägern des Kainsstempels, von natürlicher und naiver Schurkerei und selbstgefälliger Brutalität. Es konnten nicht weniger als ihrer funfzig sein, einige in ganzen Röcken und von einer gewissen Vornehmheit mit mehrmals geknickten und zerschlagenen „Angströhren“ der Civilisation auf den Köpfen, andere unter Mützen und in Flanelljacken, noch andere mit zu weiten oder zu engen Leibröcken und mit zu engen oder zu weiten, zu kurzen oder zu langen Hosen, so daß es mathematisch ausgemacht erschien, daß Keinem seine Kleider von einem Schneider angemessen worden waren, Alles war alt von Lumpenmärkten zusammengekauft oder fix und fertig gestohlen worden. Am auffallendsten erschien mir eine gewisse Gleichartigkeit in der Haartracht, der „Newgate-Klopfer“-Styl, wie er in der höheren Gaunersprache genannt wird, d. h. über den Kopf weg gescheiteltes und dann ringsum unnatürlich untergekrümmtes und unter Mützen und Hüte geschobenes Haar, damit es in Fällen der Gefahr zur Entstellung in beliebige andere Formen gezwungen werden und als Maske dienen könne.

Die Physiognomien der ehrenwerthen Gesellschaft hatten wohl alle ein natürliches, mindestens durch die socialen und individuellen Verhältnisse von der Wiege an ausgebildetes Verbrecher-Gepräge: kleine zurücktretende Stirnen, Spitzköpfe, unnatürliche Ausbildung des Hinterkopfes oder der untern Gesichtstheile. Jeder hatte mindestens einen Hund. Die Mode- und Miniaturhündchen saßen auf dem Tische neben den Gläsern und wechselten mit den Herren in den verschiedensten Formen Beweise der Liebe und Zärtlichkeit. Und hierin lag die menschliche, die rührende, ja tragische Schönheit des seltsamen Schauspiels. Die Hunde-Herren waren alle Feinde der Menschen und ihrer Gesetze, ihres Hab und Guts, wie sie offenbar von allen ordentlichen, gebildeten, mit Eigenthum gesegneten Menschen gehaßt, verachtet, vermieden oder verfolgt wurden. Aber der Mensch muß etwas lieben. Und so waren sie mit diesem Lieblingsbedürfniß auf den Hund gekommen, den treuen, sich zärtlich anschmiegenden Freund des Menschen bis in den Tod, bis in den Kerker und an den Galgen, den treuen Freund in der Noth, in Hunger und Elend, in Schmach und Schande, den über alle menschlichen Grenzen hinaus Liebenden, Treuen und Zuverlässigen. Ich fragte einen lumpig und hungrig aussehenden Kerl neben mir, was er für seinen hübschen, lustigen, listigen Hund für’n Preis stelle.

„Verkauf’ ihn nicht. Einmal wurden mir 12 Pfund geboten, ich geb’n nicht für 20. Ist mir Vater, Mutter, Geschwister, Frau und Kinder. Er nährt mich.“

„Wie so? Macht er Kunststücke?“

„No, Sir! Er hat sein Geschäft. Geht früh aus und macht sich in der Nähe von Fleischerläden Zerstreuung, wobei er immer in den Laden schielt. So wie die Luft rein ist, kommt er um die Ecke ’rum, schnappt das schon vorher als nicht zu schwer ausgesuchte Stück herunter und bringt es mir. Manchen Tag hat er schon 6 Pfund gebracht, so daß wir beide gut zu leben und noch an gute Freunde unterm Einkaufspreise etwas abzulassen haben.“

Und dabei küßte der Kerl seinen Ernährer enthusiastisch auf die Schnauze, und dieser wedelte so begeistert mit dem Schwanze, daß er laut gegen die Stuhlbeine knallte, ohne sich dadurch stören zu lassen. Die Spiel- und Schooßhündchen des Präsidenten und die meisten andern Zwerge auf dem Tische waren wunderschön und zierlich, einige mit Pfötchen nicht dicker als ein Gänsekiel und zum Theil mit den feinsten Vließen und herrlichen Zeichnungen. Das sind die Hündchen, die mit der Zeit an Lord-Ladies und Herzoginnen für fabelhafte Preise verkauft werden. Ich fragte nach den Preisen der verschiedenen ausgestellten Hunde wohl funfzigmal und hörte nie weniger als 10 Pfund Sterling nennen, wenn sie nicht durch „Nichtverkäuflich“ alle Schätzung in Geld ablehnten.

Die Reden des Präsidenten und verschiedener Hunde-Aussteller über Hunde im Allgemeinen und ihre Hunde im Besondern, das Herumzeigen und Abschätzen und Streiten und alle die Einzelnheiten des Abends können wir hier nicht wiedergeben, so daß wir mit der Schlußscene schließen.

Tische und Stühle sind übereinander in den Winkeln aufgehäuft und zum Theil mit Hunden und Menschen besetzt, die einen Kreis bilden, in welchem Billy Cool’s Bulldogg sich mit einem kalbsgroßen Fleischerhunde um 5 Pfund Sterling (außer den Privatwetten) duelliren soll. Beide werden gegen einander gehetzt. Sie knurren und knärren sich gegenseitig mit weißen Zähnen an. Dann packen sie sich heulend, brüllend, röchelnd, und wälzen sich fest ineinander gepackt über einander. Der Boden wird blutschmierig. Alle anwesenden Hunde bellen oder heulen, und die kleinen, zartnervigen springen vor Angst in Taschen und auf Tische. Alle Gäste hetzen, pfeifen, brüllen, stampfen, Jeder seinen Hund, auf den er gewettet, hetzend. Der Kampf dauert mit wenigen Unterbrechungen lange, bis endlich der Fleischerhund zuckend still liegt und Billy Cool seinem Sieger mit dem eisernen Feuerschürer die krampfhaft geschlossenen Kinnladen auf- und ihn so von dem sterbenden Fleischerhunde losbricht. Nach diesem Schlusse wurden die Wetten ausgeglichen, und damit war die Hunde-Ausstellung zu Ende.




Zur Geschichte des Aberglaubens.

Nr. 3.

Es giebt wenige Menschen, die vom Aberglauben völlig frei sind, und doch ist er anerkannt eine Thorheit, welche unzählige Belästigungen und schlimmere Einflüsse im Gefolge hat, ja in manchen Fällen jahrelang, oft sogar auf die ganze Zeit des Lebens, den frohen, unbefangenen Muth des Daseins zu stören im Stande ist. Größtentheils bringen wir die ersten Veranlassungen zum Aberglauben schon aus der Kinderstube mit, wo alte Tanten, Ammen und Mägde sich ganz besonders darin gefallen, die jungen Seelen ihrer gläubigen Zuhörer durch Zauber-, Geister- und Wunder-Erzählungen in falsche Voraussetzungen und Trugschlüsse zu verwickeln, für welche Kinder noch kein vernünftiges Gegengewicht haben. Von der Gespensterfurcht, dem Glauben an Hexen wie überhaupt dem sogenannten groben Aberglauben sich zu befreien, mag nun wohl in den reiferen Jahren öfter gelingen; aber es giebt eine Masse halbbewußter alberner und lächerlicher Dinge, die man mit dem Sammelnamen „Ahnungen“ wohl am besten bezeichnet, welche uns in unangenehmer, lästiger Weise anhängen. Wenn wir auch bei wahrer Vernunft solchen Unsinn tausendmal zum Teufel gewünscht und verworfen haben, so erlauert sich der verscheuchte Aberglaube immer wieder und wieder einen unbewachten Moment, – einen träumerisch dämmernden Zustand der Seele, um aufs Neue beängstigend aufzutreten und uns Umstände, Dinge, Verhältnisse, Zufälligkeiten, Zahlen, Tage etc. so zuwider zu machen, daß man schließlich doch unter zehn Fällen neunmal ein flaues Gefühl, ein dauerndes Unbehagen davon trägt.

Wie viele Menschen giebt es, die am Freitag nichts zu unternehmen wagen, die aus Ohrenklingen, Hand- und Nasekitzeln, einem gefundenen alten Nagel oder Hufeisen, der Begegnung eines alten Weibes am frühen Morgen, über den Weg laufenden Katzen, Hasen oder Schweinen etc. etc., ungerechnet der Masse gang und


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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 249. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_249.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)