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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Salon hinter der Dianen-Gallerie, hat auch ein altes, kleines Männchen mit dünnem, weißem Haar, das mit dem General von Luxemburg gekommen ist, eine Audienz und zwar bei einer Dame.

Das alte, kleine Männchen hatte seinen General in allem Glanz davonrollen sehen und wollte eben in seine Wohnung zurückkehren, als ein Hausdiener zu ihm trat und ihn um einige Augenblicke bat, denn eine Dame wolle ihn sprechen. Der kleine Alte sah den übereleganten Gasthofsdiener mit einer halb verlegenen, halb lächelnden Miene an, als wollte er sagen: „Sie befinden sich sicherlich in einem schweren Irrthum, mein geputzter junger Herr; sehen Sie mich doch an und Sie werden selbst begreifen, daß ich es nicht sein kann, den eine Dame zu sprechen wünscht!“

Der Kellner aber fuhr statt aller Antwort mit der Hand durch die genialen Locken, lächelte spöttisch, öffnete eine Thür und rief mit lauter Stimme: „Der Herr, welchen Madame befohlen hat!“ dann ließ er den Kleinen eintreten und schloß die Thür hinter ihm. Der Alte stand in einem sehr eleganten Zimmer, eine in braune Seide gekleidete, ziemlich wohlbeleibte Dame, die ihn sehr freundlich aus ihren hübschen dunkeln Augen ansah, kam ihm entgegen. Der Alte im blauen Rock, der mancherlei Bänder im Knopfloch trug, verneigte sich höchst geschmeichelt, denn die Dame gefiel ihm sehr, obwohl sie schon in reifem Alter war und sicher über fünfzig Jahre zählte. Die Dame nöthigte den kleinen Alten höflich, Platz zu nehmen und ein Glas Liqueur mit ihr zu trinken. endlich begann sie das eigentliche Gespräch mit der Frage: „Sie gehören zum Gefolge des Herrn preußischen Generals, mein Herr, der mir die Ehre erzeigt hat, in meinem Gasthofe abzusteigen?“

„Allerdings zu seinem Gefolge, Madame,“ entgegnete der Alte in ziemlich gewagtem Französisch; „ich bin kein Diener Sr. Excellenz, königlicher Beamter, Madame, Steuerofficier außer Dienst, aber ich wohne im Hause Sr. Excellenz, denn wir sind alte Kriegskameraden!“ Der kleine, vom Alter gekrümmte Mann richtete sich bei den letzten Worten stolz auf und fuhr, da die schmucke Dame ihm verbindlich zulächelte, mit großem Selbstbewußtsein fort: „Seine Excellenz hat mich eingeladen, sie nach Paris zu begleiten, wissen Sie, Madame, nur der Erinnerung wegen; ich bin nämlich mit Sr. Excellenz schon drei Mal nach Frankreich gekommen, und da meinten sie, daß es doch hübsch wäre, wenn wir auch das vierte Mal zusammengingen.“

„Sie kennen also den Herrn General schon lange, mein Herr?“ fragte die Dame.

„Seit Anno 1809,“ entgegnete der Alte nachdenklich und wiegte das weiße Köpfchen, „ja, ja, Anno 1809; Du lieber Gott, wer hätte das gedacht, als wir damals Beide Gefangene in Cherbourg waren!“

„In Cherbourg?“ rief jetzt die Dame, „wirklich, in Cherbourg? so ist er’s, ich habe mich nicht geirrt! War der Herr General von Wedell 1809 Gefangener in Cherbourg, mein Herr?“

Die Dame verrieth eine große Aufregung.

„Se. Excellenz und ich,“ erwiderte der Alte, der sich nicht vergaß, „wir waren in jenem Jahre zu Cherbourg als Gefangene an eine Karre geschmiedet; an der Karre haben wir unsere Bekanntschaft gemacht, Madame; der Bonaparte hat uns selbst zusammengeschmiedet, Se. Excellenz und mich, das hat gehalten. Er verstand sich auf’s Schmieden, der Bonaparte.“

Der Alte plauderte so eine ganze Weile fort, ohne darauf zu achten, daß sich die Dame zurückgelehnt hatte und ihn mit scharfen Blicken aufmerksam musterte. Plötzlich traten der französischen Dame ein paar kleine Thränen in die Augen, die sie indessen mit den Wimpern zerdrückte; sie richtete sich hastig auf, faßte die Hand des kleinen Alten und rief lebhaft: „Sie sind ein Ungeheuer, Frédéric, Sie verdienen gar nicht, daß ich mich Ihrer erinnere, denn Sie haben Ihre kleine Freundin von Cherbourg ganz vergessen!“

Erschreckt durch die französische Lebhaftigkeit war der gute alte Friedrich Kühns, der ehemalige Schill’sche Unterofficier, aufgestanden, die Dame aber zog ihn mit einem kräftigen Ruck wieder nieder zu sich und fuhr hastig fort: „Ja, ja, Sie sind ein Ungeheuer, Frédéric, Sie sind mir nicht treu geblieben, obwohl Sie uns das so oft geschworen haben, mir und meiner Schwester, dieser armen Dorine; ja, ich bin Florine, Monsieur Frédéric, die kleine Florine Noirot aus dem alten Hause in der Hafenstraße zu Cherbourg – o! wie viele Bonbons habe ich Ihnen gegeben! Großvater Lachétardie hielt mich für eine Gefräßige darum, aber ich ließ es mir ruhig gefallen, um nur Ihnen recht viele Bonbons geben zu können, und nun haben Sie mich undankbar vergessen! O! auf diese Ueberraschung war ich gar nicht vorbereitet; als ich vorgestern den Namen des Herrn Generals nennen hörte, da klang mir der so bekannt; ich suchte gestern unter den Papieren meiner armen Mutter und des Großvaters, bis ich den Namen fand; richtig, er war es, aber es konnte mehrere des Namens geben; sollte das mein Jugendfreund Henri aus Cherbourg sein? das mußt du wissen, dachte ich, ich ließ Sie rufen, ei! ich hatte keine Ahnung, daß ich einen zweiten alten Freund finden würde! Henri und Frédéric – von 1809 bis 1855 – Cherbourg und Paris; o! wenn meine arme Mama noch lebte, wie würde die sich freuen! und diese arme Dorine und der liebe kleine Großpapa Lachétardie!“

Einen Augenblick verzog Dame Florine wehmüthig den Mund und schwieg, gleich darauf aber lachte sie wieder und plauderte so unaufhaltsam und so in einem Gusse weiter, daß der brave Herr Friedrich Kühns gar nicht die Möglichkeit fand, auch nur ein einziges armes, kleines Wörtchen einzuschieben, obwohl ihm seine Jugendfreundin von Cherbourg zum zwanzigsten Male wenigstens befahl: „Ei, so reden Sie doch, Frédéric, sprechen Sie, sagen Sie mir, ob Sie mich ganz verändert finden, ob Sie auch nicht ein Zug mehr an das kleine Mädchen von 1809 erinnert!“

Als der kleine Alte die Unmöglichkeit erkannte, sich durch Worte verständlich zu machen, begann er mit großem Eifer zu nicken und streichelte dazu höchst zärtlich die derbe, sehr fleischige Hand, welche ihm seine Jugendfreundin überlassen. Er war sehr erfreut, daß er auf diese Weise wenigstens einigermaßen vermochte, seine Gefühle an den Tag zu legen.

Nach und nach erst kam einigermaßen Ordnung in das Gespräch; das heißt, Madame nahm immer noch den Löwenantheil für sich, aber sie ließ doch hier und da ein Wort über den General zu, während sie dem Herrn Kühns in höchster Ausführlichkeit den Tod ihres armen Großvaters, den Tod ihrer armen Mutter, den Tod ihrer armen Schwester Dorine, den Tod ihres armen Mannes schilderte, denn „arm“ waren, echt französisch, in den Augen der wohlbeleibten, lebenslustigen Frau Alle, welche das Unglück gehabt hatten zu sterben, mochten sie auch, wie der alte Herr de Lachétardie, das höchste Alter erreicht haben. So feierten Dame Florine und Herr Friedrich Kühns das Fest des Wiedersehens mit etlichen Thränen, mehreren Gläsern Liqueur und einer eigentlich ganz unbilligen Menge von Worten. Als der General von Wedell zurückkam von der kaiserlichen Audienz, stattete ihm Kühns sofort Rapport ab über dieses Wiederfinden, und der General eilte sofort in höchster Freude, das Kind seiner Wohlthäter, seiner Retter zu begrüßen.

Die Leute, die Dienerschaft wie die Gäste, im Hotel Mirabeau haben sich in jenen Tagen nicht wenig den Kopf darüber zerbrochen, was wohl der Gesandte des Königs von Preußen so lange und so oft mit „Madame“ zu besprechen haben könne!



7.

Das französische Kaiserthum hatte in jenen Januartagen 1855 den General von Wedell mit Zuvorkommenheiten überhäuft; der Greis aber fragte sich, als er heimkehrte in sein Gouvernement nach Luxemburg, ob die Ehre, die ihm die Bonapartes angethan, als sie ihn nach Cherbourg an die Karre schickten, nicht doch noch größer gewesen, als die, welche sie ihm zu Paris in den Tuilerien erwiesen!

Das war der Gedanke, der den „Zwölften“ beschäftigte bei der Heimkehr! Zu Luxemburg feierte General von Wedell am 15. April 1856 sein sechszigjähriges Dienstjubiläum, und nicht nur die preußische Besatzung der Bundesfestung beging dieses Fest mit ihrem General, sondern auch die Bevölkerung der Stadt feierte es mit, eine Bevölkerung, die sonst den preußischen Gouverneurs eben nicht besonders freundlich gesinnt zu sein pflegt. Der alte Wedell aber, der hatte es doch verstanden, mit den Leuten da fertig zu werden, und so erklärte die Bürgerschaft feierlich: „Unser Militär-Gouverneur hat, seit er dieses hohe Amt bekleidet, nicht versucht, sich gefürchtet zu machen, er zog es vor, sich verehren zu lassen. Große und Kleine, Arme wie Reiche, lieben und verehren ihn!“

Die Orden und Ehrenzeichen aller Souveraine schmückten den allen Schillianer von Cherbourg, und im Jahre 1858 erhielt er

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 351. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_351.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)