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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Illustrirte Skizzen aus Rom.

Wenn die Beherrscher der ewigen Stadt, die Päpste, in früheren Zeiten die Stufen zu ihrem Wohnsitz, dem vatikanischen Palast, hinaufstiegen, so geschah dies mit dem stolzen Bewußtsein, daß die gesammte Christenheit sich demüthig vor ihnen beugte und in der Person des „heiligen Vaters“ den Stellvertreter Christi auf Erden verehrte. Vom Vatican aus sandten sie ihre Bannstrahlen herab auf die sündigen Völker, und Kaiser und Könige zitterten vor dem Machtgebote eines greisen Priesters, dem nur eine alte Tradition und der Glaube der Christenheit eine solch unermeßliche Bedeutung verlieh. Wie anders ist es aber seit ungefähr zehn Jahren geworden! Jetzt zittert der heilige Vater in seinem Palaste vor den eigenen Unterthanen, vor dem italienischen Volke, wie vor dem aufgeworfenen Schutzherrn, der Tausende von Söldnern nach Rom geworfen hat, um angeblich die Würde des Papstes und das Ansehen der katholischen Kirche zu schirmen, in Wahrheit aber um den charakterschwachen, der wildbewegten Zeit nicht gewachsenen Pio nono gefangen zu halten und ihm jede freie Bewegung unmöglich zu machen. Wie in den Tagen des Mittelalters, so richten sich auch jetzt wieder, wenn auch in anderer Bedeutung, die Blicke der Völker nach dem vatikanischen Palast zu Rom, denn hier wird sich in nicht zu langer Zeit die hochwichtige Frage über die weltliche Herrschaft des Papstes entscheiden. Es wird daher sicher unseren Lesern einiges Interesse gewähren. Genaueres in Bild und Wort von dieser illustren Wohnung der Päpste zu erfahren, die zugleich Sitz der höchsten Kirchengewalten der katholischen Welt, dann aber auch, wie kein anderer Palast in nur annähernder Weise, für alle Welt der hehrste Tempel der Kunst ist. Was Höchstes von Meisterwerken des Alterthums und aus der goldenen Zeit der Kunst auf uns gekommen, findet sich in den Räumen des vatikanischen Palastes vereint; ebenso ist seine Bibliothek der Wissenschaft und ihren Forschern eine unschätzbare Fundgrube; sie bleibt der heiß ersehnte Zielpunkt so manches nordischen Wanderers.

Der Vatican in Rom.
Nach der Natur gezeichnet von Zwahlen und Zielcke.

Den Palast in seiner ganzen ungeheueren Ausdehnung zu überblicken ist fast unmöglich, denn es ist nicht ein einzelner Palast, sondern eine Aneinanderreihung mehrerer an Baustyl und Dimensionen verschiedener Paläste. In drei Stockwerken umfaßt er eine Anzahl großer Hallen und Säle, Prunkgemächer, Capellen, Gallerien, Corridors etc. Dabei zählt man zweiundzwanzig Höfe und über zweihundert Treppen. Wir geben eine Ansicht des Vatikans von dem Plateau vor dem Sanct Peter. Von hier aus überschaut man die Haupttheile, die Wohnung der Päpste selbst; auch gewährt der Palast von diesem Standpunkte den malerischsten Gesammteindruck. Schon die Geschichte seines Baues, die aus den verschiedensten Epochen datirt, läßt schließen, daß er unmöglich ein einheitliches Ganzes, wie andere Prachtarchitekturen, bieten könne. Von Alters her stand neben der Hauptkirche der katholischen Welt, dem Sanct Peter, ein Palast, der abwechselnd mit dem Lateran den damaligen Päpsten zur Residenz diente. Nach ihrer Rückkehr aus Avignon wurde er ihr ausschließlicher Wohnsitz. Papst Nicolaus V. faßte zuerst den Plan, seine Wohnung zum größten und prächtigsten Gebäude der Welt zu machen, und nach seinem Tode, im Jahre 1455, führte Alexander VI. und dessen Nachfolger den Bau weiter fort. Julius II. ließ durch Bramante die Loggien erbauen; es ist dies der auf der linken Seite unseres Bildes sich zeigende Theil des Palastes; die in unseren Tagen mit Bogenfenstern geschlossenen Räume sind diejenigen, in denen Raphael und seine Schüler uns ihre unsterblichen Meisterwerke hinterließen, daher sie auch den Namen der „Loggien Raphael’s“ führen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 380. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_380.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)