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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

mit seiner Nase eine genauere Inspection der neuen Bekanntschaft vorzunehmen schien.

Ein kurzer Husten in seiner Nähe machte ihn aufsehen, und sein Auge traf auf die Gestalt eines kleinen ältlichen Mannes, welcher einen scharf musternden Blick über den Wartenden gleiten ließ und dann die Treppe nach der Office hinaufstieg. Das war, Meißner’s Andeutungen nach, jedenfalls der Buchhalter, und nach Verlauf einiger Minuten folgte Reichardt. Eine Art heimisches Gefühl überkam ihn, als er in das helle, von dem frei durchlaufenden Lager-Raume des obern Stocks abgeschlagene Comptoir trat. Die drei eleganten Pulte mit ihren Sesseln, welche ihm entgegenblickten, wie der eigenthümliche Schreibstuben-Geruch mahnten ihn lebendig an eine vergangene Wirksamkeit, die er in übermüthigem Leichtsinne von sich geworfen, und er fühlte jetzt erst recht, wie glücklich er wäre, in dem alten Berufe seine ganze Genugthuung suchen zu dürfen.

Der alle Buchhalter stäubte eben in sichtlicher Mißstimmung sein Pult ab und wandte sich mit fragendem Blicke nach dem Eingetretenen.

„Der neue Porter, welchen Bill empfohlen hat!“ beeilte sich dieser zu melden.

„Ein Deutscher wieder?“ entgegnete der Alle grämlich, einen neuen Blick über Reichardt’s ganze Erscheinung werfend, „werden wohl ebensowenig vom englisch Lesen und Schreiben verstehen, als der vorige!“

„Ich hoffe, daß ich darin allen Ansprüchen genügen kann, Sir!“

„Wird sich bald ausweisen, ich mag keine Noth mehr damit haben. Jetzt fegen Sie hier aus, aber nehmen Sie die Papiere in Acht – nicht Einem von den Andern ist es eingefallen, daß man sich nicht in Staub und Schmutz hersetzen kann!“ Mit einem ärgerlichen Husten öffnete der Sprechende eins der Fenster, dem jungen Manne den Rücken zukehrend.

Reichardt sah einen Moment mit halb rathlosem Blicke um sich, er mochte seiner Brauchbarkeit nicht mit Fragen über Wo und Wie ein übeles Zeugniß geben, und doch fehlte ihm noch jede Localkenntniß. Im nächsten Augenblicke aber besann er sich, einen Besen in dem unteren Raume bemerkt zu haben, und nach wenig Secunden war er bereits an der ungewohnten Arbeit. Ehe er diese indessen in den äußern Räumen fortsetzte, begann er mit dem von dem Buchhalter gebrauchten Pfauenwedel eine sorgfältige Reinigung der Pulte, stieß die gefalzten Papiere in den ausgestaubten Fächern sorgfältig zusammen, legte die Schreibmaterialien in gefällige Ordnung und hatte die Genugthuung, das Gesicht des Alten, welches seinen Verrichtungen scharf gefolgt war, zu allerhand sonderbaren Mienen sich verziehen zu sehen. „Ist hier noch etwas für mich zu thun?“ fragte er, nach rascher Beendigung der Arbeit.

„Kann noch nichts sagen – weiß überhaupt nicht, ob Sie angenommen werden,“ erwiderte der Buchhalter, sich nach seinem Pulte wendend, „müssen warten bis Mr. Johnson kommt – können sich dort auf den Stuhl setzen.“

Reichardt nahm ruhig den ihm angewiesenen Platz ein, wenn auch die letzten Worte des Alten eine neue Unruhe in seine Seele geworfen hatten. Nach den fortwährenden Fehlschlägen zur Erlangung eines dauernden Unterkommens schien ihm der jetzige Versuch durch den Kupferschmied fast zu schnell geglückt, und es wäre ihm kaum unerwartet gekommen, wenn selbst bei den niedern Ansprüchen, welche er jetzt machte, sich neue Hindernisse in seinen Weg gestellt hätten.

Eine halbe Stunde mochte lautlos vergangen sein, als sich die Thür geräuschvoll öffnete und ein junger Mensch, eine Opernpièce pfeifend, hereintrat. Er ließ nur einen flüchtigen Blick über den Wartenden streifen und warf sich dann, ohne den Hut vom Kopfe zu nehmen, auf den Schemel vor eines der Pulte. Einen Augenblick schien er die hier neu geschaffene Ordnung zu mustern, dann aber begann er mit allen zehn Fingern trommelnd die wieder aufgenommene Melodie zu begleiten.

Der Buchhalter, das Gesicht finster verzogen, sah langsam auf. „Wenn Sie nicht arbeiten, Sir,“ sagte er, „so sollten Sie wenigstens Rücksicht auf Andere nehmen, die es thun.“

Der Angeredete unterbrach seine Unterhaltung. „Soll geschehen, Sir,“ erwiderte er mit einem Ausdrucke gutmüthiger Laune, „wußte nicht, daß Sie in Ihrer übeln Stimmung waren, Sir, ist auch sehr unrecht das, Sir, bei einem so prächtigen Morgen – sehen Sie einmal hinaus, Mr. Black, ob Sie dann noch einmal so ein Gesicht ziehen können!“

„Habe an mehr zu denken als an Ihren schönen Morgen,“ brummte der Alte, sich wieder über seine Bücher beugend, „und Ihre Briefe werden Sie wohl auch nicht damit beantworten – die westliche Post schließt um zwölf Uhr!“

„Halloh, die Briefe, richtig – wird aber Alles zu gehöriger Zeit gethan sein!“ rief der junge Mann, seinen Hut vom Kopfe reißend, „denn einmal los dafür, daß die Spähne fliegen, wenn’s doch nicht anders sein kann!“ Bald klang wieder nur das Geräusch der sich auf dem Papiere bewegenden Federn im Zimmer.

Jedenfalls war der Neueingetretene einer der Söhne, von denen Meißner gesprochen, und wenn auch Reichardt über die leichte Weise, in welcher Jener seinen Geschäften vorzustehen schien, innerlich den Kopf schüttelte, so fühlte er sich doch auch zu dem ganzen Wesen des jungen Menschen, in welchem sich noch die ganze Harmlosigkeit der Jugend mit einer glücklichen Laune gepaart aussprach, lebhaft hingezogen. Wenn sich in der übrigen Familie ähnliche Charaktere zeigten, so wußte der Deutsche, daß er sich trotz seiner augenblicklichen niederen Stellung zufriedener fühlen würde, als er erwartet.

(Fortsetzung folgt.)




Eine Erinnerung an Friedrich den Großen.

(Schluß.)


Unfähig sich seiner Umgebung weiter verständlich zu machen, war der König einige Schritte vorgesprengt, um durch einen Wink mit der Hand diesen unerwünschten Lärmen der Musik verstummen zu machen. Leider nahmen die Husaren indeß die Gebehrde des Monarchen für eine ihnen gespendete königliche Begrüßung. Einen Augenblick fesselte noch ein starres Schweigen ihre Reihen, denn seit dem letzten Kriege beinahe war ihnen eine solche Begünstigung schon nicht mehr zu Theil geworden, dann aber brach es los, lawinenartig, donnergleich, und fünfzehnhundert rechtschaffene Husarenkehlen brüllten: „Vivat Fridericus!“ daß die Luft davon erschütterte. Der Ruf pflanzte sich fort auf die rückwärtigen Truppen, die Musik schmetterte darein, dieser Unglückspauker von Ziethen schien in der Freude seines Herzens absolut heute noch das Fell seiner Pauken sprengen zu wollen.

Voll wüthenden Aergers drückte Friedrich seinem Schimmel die Sporen in die Weichen, daß das edle Thier wie ein Pfeil mit ihm dahinsauste. „Will Er aufhören!“ schnaubte er den Pauker an, der unbekümmert um die zornfunkelnden Blicke des Königs noch immer, und jetzt wenn möglich noch eifriger denn zuvor, fortfuhr, sein Instrument zu bearbeiten. „Ich werde Ihm Augen machen! Hat Er nicht Ordre pariren gelernt? – General-Wachtmeister von Ziethen, der Kerl taugt nichts, er soll sofort mit seinen Pauken nach Berlin zurückgeschickt werden.“ Der Jubelruf war plötzlich verstummt, die Trompeten schwiegen, nur ein dumpfes Murren lief durch die Glieder. Doch ein Herrscherblitz des Königs, und die eiserne Disciplin des damaligen preußischen Heeres hielt jeden Mund gefesselt.

Ohne nur noch einen Blick auf das Regiment zurückzuwerfen, war Friedrich langsam die Front desselben entlang den commandirenden Generälen und Regimentschefs entgegengeritten, welche jetzt aus allen Richtungen auf ihn zusprengten. Unter der gegenseitigen Begrüßung und der Entgegennahme des Tagesrapports und der Disposition zu den heutigen Manövern hatte der General Winterfeld, nach noch einem raschen, prüfenden Blick auf das unverändert in seiner vorigen Stellung befindliche Ziethen’sche Husaren-Regiment, den Naditschzander zu sich gewinkt und mit demselben eine leise geführte Unterhaltung begonnen: „Es is sich ein Scandal, Excellenz,“ drang aus diesem Geflüster

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 388. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_388.jpg&oldid=- (Version vom 21.6.2022)