Seite:Die Gartenlaube (1861) 396.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)


die Seefahrer anwendeten, um die Höhe eines Sternes oder der Sonne anzugeben. Es bestand aus einem viereckigen stabartigen Stück gut ausgetrockneten Holzes, das an seinen Seitenflächen eine Einteilung hatte, die zugleich die Winkel angab oder in Zolle und Linien eingeteilt war. Im letzteren Falle war dann eine Tabelle nöthig, welche die mit den Zollen und Linien entsprechenden Winkel angab. An diesem Stäbe war kreuzartig ein anderes Holz angebracht, welches sich vor- und rückwärts schieben ließ. Um nun einen Winkel, z. B. die Steigung eines Weges, zu messen, sah man mit dem Auge über das erste Holz und schob das andere so lange vor- oder rückwärts, bis die beiden Punkte, welche mit dem Auge des Beobachters den zu messenden Winkel bildeten, über die Endpunkte des zweiten Holzes genau abschnitten. An der Scala der Seitenflächen las man den gemessenen Winkel ab. Diese Manipulation konnte nach unsern heutigen Begriffen nur sehr oberflächlich ausfallen und eine genaue Grundlage zur Kartenconstruction nicht abgeben.

So liegt der Werth der Peutinger’schen Karte denn mehr darin, daß sie uns den damaligen Stand der Chartographie vergegenwärtigt, da alle sonstigen Karten im Gewirre der Völkerwanderung, ganz besonders aber durch den Brand der großen Bibliothek zu Alexandrien unter dem fanatischen Araber Amru für uns verloren gegangen sind. Endlich bildet sie aber in Verbindung mit den wenigen erhaltenen Schriften aus jener Zeit eins der wichtigsten historischen Documente, wenn sich auch durch die Mangelhaftigkeit des Urbilds wie durch die Unwissenheit der Nachahmer und Abschreiber vielfache Unrichtigkeiten nachweisen lassen. Immerhin ist es höchst wichtig, die Richtung der großen Militärstraßen der Römer, die Entfernung der Reisestationen, die Lage der Hauptstädte, Castelle, Bäder, Colonien, die Stellen, wo Flüsse zu passiren sind, die Wohnsitze der barbarischen Völker, endlich sogar eine Art Gebirgsdarstellung in diesem interessanten Documente niedergelegt zu finden.

Die älteste Landkarte.

Das in genauer Abbildung hier dargestellte Bruchstück ist dem Segment II. entnommen und enthält den Mittellauf des Rheines abwärts von Coblenz (Confluentes). Der an dem obern Rande der Zeichnung laufende Fluß ist der Rhein (Fl. Rhenus). Da die Karte nicht mit der jetzt üblichen Orientirung angelegt ist, wonach der Norden oben liegt, sondern um ¼ Kreis nach links gedreht ist, so entspricht der Name Burcturi auf dem rechten Rheinufer der Völkerschaft Bructerer, welche nach der Karte etwa zwischen dem heutigen Neuß und Ober-Ingelheim gewohnt haben müssen, nach Wietersheim’s Forschungen aber ihren Sitz südlich der Lippe hatten. Das ganze rechtsrheinische Gelände unterhalb der Main-Mündung hatte sich bis zum 3. Jahrhundert noch frei von römischer Eroberung gehalten, war daher noch nicht bekannt. Das linksrheinische Gelände war dagegen schon seit Jahrhunderten eine blühende römische Provinz, Germania im engeren Sinne genannt. In den Grundzügen sehen wir auf der Peutinger’schen Karte noch dieselben strategischen Straßenlinien wie heute, so die linksrheinische Straße von Coblenz über Bonn (Bonnae) nach dem Straßenknoten Köln (Agrippina). – Bei Coblenz sehen wir die Mosel (Fl. Musalla) einfallen und an derselben das uralte Trier (Augusta Trevirorum) verzeichnet. Sogar die Quellgebirge der Mosel und das linksrheinische Schiefergebirge (Eifel, hohe Veen) finden wir angedeutet; ebenso die dort wohnenden Urbewohner Treveri, Trierer, und Mediamatrici (von Mediomatricum, Metz), also die Metzer oder Lothringer. Der links entspringende Fluß Mosa ist die Maas, an deren Quellen wir ein großes römisches Standlager bemerken.

Wir begnügen uns mit diesen Andeutungen, welche dem Beschauer ein ungefähres Bild der chartographischen Behandlungsweise dieser alten Karte geben, und fügen nur noch bei, daß sie sich in gleichem Charakter weiter fortsetzt. Sie enthält in dieser Manier ein Stück des alten Britanniens, Galliens und Spaniens, ferner in Deutschland das linksrheinische Gelände aufwärts von der Nordsee bis Mainz; von hier springt die Nordgrenze ins Quellgebiet der Donau (das Zehntland) und folgt der Donau bis in die Nähe von Peterwardein im heutigen ungarischen Banat. Eine Heerstraße führt von hier nach Temesvar und eine andere von 50 Meilen Länge von Orsova bis an die obere Theiß am Fuße der Karpathen (das westliche Dacien). Weiter geht die Karte durch die heutigen Donaufürstenthümer bis zu den großen Flußmündungen der Donau, des Dniester, Bug und Dnieper in den Pontus (das schwarze Meer) und umschließt Kleinasien, die Länder am Euphrat, Tigris und oberen Ganges, Syrien, Aegypten und Libyen und endigt mit Theilen der mauritanischen (nordafrikanischen) Küstenländer. Selbstverständlich sind alle in diesem Umfange liegenden Lander (Italien, Griechenland) ausführlich behandelt. – Bei allen Mängeln, welche dieses Kartenwerk begleiten, ist daher schon der Umfang desselben von interessantester Belehrung für den Geschichtsforscher. –



Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 396. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_396.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)