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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

gelesen? Er hat gesungen, geliebt und gelebt. Und er ist nicht vergessen, das zeigen die Blumen und Kränze auf seinem Hügel. Dort lesen wir Tzschirner’s Namen, und die Erinnerung an seinen freien Geist thut uns wohl in einer Zeit, wo die beschränkte Orthodoxie und heuchelnde Frömmelei in vielen Kreisen die Oberhand zu gewinnen droht, bis ein frischer, gesunder Hauch diese Unnatur des Geistes wieder verweht. Auf demselben Friedhofe ruht auch der bekannte, erst kürzlich verstorbene Rector der Thomasschule, Stallbaum. Und könnten wir in diesem Augenblicke hintreten auf den neuen Friedhof vor dem Thore, der in gleichem Johannisfeierschmucke prangt, so würde uns ein Grab vor allen in die Augen fallen – es ist das Carl Zöllner’s. Reich ist es mit Blumen geschmückt, und der Tod scheint dem Sänger so vieler herrlicher Lieder freundlicher gesinnt zu sein als sein einfaches Leben. Wir wissen nicht, wessen Hand seinen Hügel geschmückt – aber Wenige, die hier ruhen, haben so viele Freunde hinterlassen, wie Zöllner.

Von den Todten wird unsere Aufmerksamkeit zu den Lebenden zurückgerufen. So viele rührende Bilder drängen sich uns auf. Hier der Schmerz in still zurückgedrängter Verschlossenheit, dort die unaufhaltsam und rücksichtslos rinnenden Thränen, und zwischen beiden der gleichgültige Blick eines Zuschauers, den nur die Neugierde an diesem Tage hierhergerufen.

Unsere Illustration selbst stellt eine solche ergreifende Scene dar. Sie bedarf kaum einer Erklärung. Eine Mutter steht mit ihren Kindern an dem Grabe des Mannes und Vaters. Mit banger Innigkeit preßt sie den Kopf des einen heftig weinenden Kindes an ihre Brust, sie selbst vermag die Thränen nicht zurück zu halten. Sie selbst bedarf des Trostes und soll Trost geben!

In diesem kleinen Bilde liegt der ganze Lebenslauf einer Familie ausgedrückt. Tage und Jahre voll Glück und Frieden, bis der Tod erbarmungslos in dieselben hineingreift. Nun Wochen und Monde voll Thränen und Trauer und Jahre voll wehmüthig schmerzvoller Erinnerungen.

Diese Scene ist zu erschütternd, wir dürfen den aufrichtigen Schmerz nicht länger belauschen. Es treibt uns weiter.

Ein glänzendes Familienbegräbniß zieht unsern Blick auf sich. Ein prachtvolles Eisengitter umgiebt es. Wie ein kleiner sauberer Garten lacht es uns entgegen. Die seltensten Blumen blühen in ihm. Mehrere hohe Orangenbäume bilden eine kleine Laube, darin steht eine sauber aus Eisen gearbeitete Bank. Ein Mann und eine Frau sitzen darauf. Wir erkennen sie – es sind dieselben, welche in der reichen Equipage zum Friedhofe gefahren kamen. Dort stehen die frischen Blumen, welche der Diener hieher trug.

„Sie hat ihr einziges Kind verloren,“ tönt es in uns wieder. Wir sehen ihren Blick und jetzt erst verstehen wir den Ausdruck auf ihrem Gesicht. Sie ist reich, sie hat Alles gehabt, was sie sich wünschte; nun hat ihr der Tod ihr theuerstes Gut geraubt. Was hat sie nun noch vor dem Armen voraus, der zum wenigsten in seiner Familie sich glücklich fühlt? In einer Erde ruht ihr Kind mit dem Kinde des Niedrigsten – der Tod macht Alle gleich. Sie könnte alle Blumen, welche die Stadt birgt, auf dieser Stätte zusammenhäufen, es würde kaum ein Opfer für sie sein, ihr Kind vermag sie dadurch nicht zurück zu erkaufen. In ihren Schmerz mischt sich eine stolze Erbitterung, daß der Tod kein Ansehen der Person kennt. Sie kann nicht weinen, aber ihre Wangen werden bleicher und bleicher. Arme Frau!

Nicht weit davon stehen die beiden jungen Mädchen neben zwei gleichen Hügeln. Blumen und Kränze liegen darauf. Wie sorgsam der Rasen gepflegt ist! Sie geben sich ganz ihrem Schmerze hin, kein anderes Gefühl kommt in ihnen auf. Welcher Unterschied zwischen ihrer Trauer und der der reichen Frau!

Stoßen uns all die, welche wir bereits gesehen haben, hier wieder auf? – Dort in einer Ecke neben einem ganz einfachen Hügel sitzt die Alte. Ein zufriedener, genugthuender Zug ruht auf ihrem Gesichte. Der Blumenstock steht zu Häupten des Hügels. Ja, dort unten ruht ihr Lebensgefährte, mit dem sie manches Jahr Arbeit und Sorgen getheilt. Er war alt und schwach geworden – und jetzt hat er es gut! Eine Blume auch auf seinem Grabe, und die Traueresche eines nahen Grabes breitet ihre Aeste auch über dieses mit. Wie ruhig und schattig er hier liegt! Durch das Gitter eines Begräbnisses dicht daneben hat sich ein Epheuzweig gerankt, den hat die Alte sorgsam um den Hügel ihres Mannes gezogen. Der Tod hat es doch gut mit ihm gemeint, und das ist ein Trost für sie. – Genug mit diesen Bildern, wir können sie doch nicht alle erschöpfen. –

Fr. Fr.




Der Holzgraf.
Eine oberbairische Geschichte.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)

Das Geräusch eines heranrollenden Wagens unterbrach den Redefluß des warm gewordenen Veteranen. Durch die Fenster sah man den Durnerbauer ankommen, in städtischer Chaise, von einem Knechte im Sonntagsstaate kutschirt, und Vesi neben sich auf dem weich gepolsterten Rücksitz, ebenfalls in tiefe Trauer gekleidet. Sie sah in dem dunkeln Anzug und mit der leidenden Blässe des Gesichts ungemein lieblich aus, denn es war dadurch etwas Weicheres in ihre sonst etwas finster gewordenen Züge gekommen. Auf dem Antlitz des Holzgrafen dagegen lagerte es desto finsterer.

Während Beide in den Hausgang traten, machte sich der Knecht daran die Pferde auszuschirren. Er streichelte die schönen Thiere, indem er ihnen behutsam die Stränge über’m Rücken zusammenknüpfte, und brummte dazu unwillig vor sich hin. Eine Dirne, die unter die Thür des Kuhstalls getreten war, um das stattliche Gespann und Vesi’s reichen Anzug zu bewundern, rief ihm zu. „Was hast denn, Matthies?“ sagte sie, „Du thust ja mit Deine Gäul’, als wenn Du sie das letzte Mal ausschirren thätst!“

„Es wird auch bald das letzte Mal sein,“ erwiderte der Knecht. „Zu Michaeli sag ich dem Bauern auf, ich mag nit mehr bleiben in dem unchristlichen Haus!“

„Wie Du so reden magst,“ rief die Magd, „und kommst justament aus der Kirchen zurück!“

„Ja, ich komm’ schön aus der Kirchen,“ war die Antwort. „Wir sind hingefahren bis an die Gottesackerthür, und die Vesi ist hinein in die Kirchen; der Bauer aber ist sitzen geblieben, und wie drin die Orgel angegangen ist, sind wir wieder weiter gefahren, als wenn der böse Feind hinter uns wär’ …“

„Aber das ist doch merkwürdig – und wohin denn?“

„Es ist zum Lachen! Nach Unterammergau hinüber. „Ich hab’ ein wichtiges Geschäft dort beim Hunterwirth, das kein’ Aufschub hat,“ hat er gesagt … und was war das wichtige Geschäft? Er hat sich eine Flasche Wein geben lassen, und ist dahinter gesessen und hat kein Wort geredt, sondern immer vor sich hin geschaut auf Einen Fleck … und zuletzt hat er den Wirth gefragt, er möcht’ ein neues schönes Pferdgeschirr haben, ob er ihm keins verrathen könnt … Da hab’ ich mir’s vorgenommen, so gern ich die Prachtgäul’ hab – ich bleibe nit länger mehr in dem Haus, als ich bleiben muß …“ Damit verschwand er sammt den Pferden in der Stallthüre.

Der Bauer war indeß mit Vesi in die Stube getreten, von dem Wachtmeister und der Bäuerin begrüßt, welche ihm den Grund mittheilte, weßhalb dieser auf dem Durnerhof eingesprochen hatte. Er erwiderte nur kurz, und die Bäuerin, welche ihn zu gut kannte, um nicht zu sehn, daß ihm etwas Unangenehmes begegnet sein mußte, hielt es für das Gerathenste, wenn er Anlaß bekäme, sich auszusprechen. Sie fragte nach der Ursache seines Unmuths.

„Ach was!“ rief er, „es ist nicht der Mühe werth, aber ich habe mich doch geärgert über den miserabeln Kerl, den Friedl von Eschenlohe. Kommt auf mich zu mit dem Weinglas und will mit mir anstoßen und lobt meinen schönen Hof, und wenn er mir feil wär’, wollt’ er mir gleich dreißigtausend Gulden dafür auf den Tisch hinlegen! Himmelsacrament – Ein solches Schandgebot für einen schuldenfreien Hof, wie der meinige, der unter Brüdern seine fünfzig werth ist …“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 462. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_462.jpg&oldid=- (Version vom 30.1.2021)