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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Jubel und Freude. – Den Ihrigen bringen sie mancherlei Geschenke aus den Niederlanden mit und dazu auch einen hübschen Sparpfennig, als Sorgenbrecher für den Winter.

Auch die Armen werden dabei nicht vergessen, und gewöhnlich wandert einer der 60 oder 80 holländischen Gulden in die Armenbüchse. Dagegen vergißt sie dann auch der fromme Pastor des Orts nicht. Er spricht am Sonntage öffentlich vor der Gemeinde dem lieben Gott seinen Dank aus dafür, daß er die Hollandsgänger glücklich zurückgeführt habe. Und ebenso giebt er ihnen auch im nächsten Frühling zur Zeit des Auszugs seine frommen Kanzelwünsche mit auf den Weg für eine ergiebige Ernte in dem holländischen Aegypten.


Ein Ritt von Lima aus ins Innere.

Reiseskizze von Fr. Gerstäcker.

Es ist eine ganz eigenthümliche Thatsache, daß man die noch so getreue Beschreibung eines fremden, besonders überseeischen Landes mit der größten Aufmerksamkeit lesen mag, und sich doch ein ganz anderes und verschiedenes Bild von dem Lande selber machen wird, als man es später in Wirklichkeit findet. Man mag dabei noch soviel Erfahrung von anderen Ländern auf seiner Seite haben, es hilft Alles nichts; die Phantasie, selbst des trockensten Menschen, spielt uns stets einen Streich, und wir sehen uns dann plötzlich in Scenen versetzt, mit denen wir von vornherein vertraut zu sein glaubten, und die uns doch jetzt vollkommen unbekannt und fremd sind.

So ging es mir mit Peru, dessen Küste ich als dürr und steinig kannte, von dem ich aber geglaubt hatte, daß ich, wenn nur die ersten Hügel überschritten, die ersten Meilen hinter mir, ein herrliches, mit Vegetation bedecktes Land finden würde, und wie hatte ich mich darin getäuscht!

Am dritten Weihnachtsfeiertag, Morgens etwa um zehn Uhr, ritt ich aus und zwar auf einem guten Maulthier, das ich mir besonders zu dem Zwecke in Lima gekauft, meinen Revolver vorn im rechten Halfter, meine Doppelbüchse ebenfalls geladen an der Seite, denn eine Menge Mordgeschichten waren mir von diesem Wege erzählt und ich besonders gewarnt worden, die Tour nicht allein zu unternehmen. Thatsache ist es, daß viele Menschen schon in der Nähe von Lima, aber nicht weiter ab als sechs oder acht Leguas, angefallen und ermordet wurden, und es war deshalb immer besser, sich vorzusehen. Außerdem treiben sich auch, nach Aufhebung der Sclaverei, eine Unmasse von Negern hauptsächlich in Lima und dessen unmittelbarer Nähe umher, und diesen Burschen ist ebensowenig zu trauen, wie den Süd-Amerikanern selber, denn sie sind schon zu lange im Land gewesen, um nicht etwas wenigstens davon zu lernen.

Mein nächstes Ziel, Cerro de Pasco, jene berühmte Silberstadt und auch zugleich die höchste der Welt, für die ich irrthümlicher Weise Quito gehalten, liegt 5000 Fuß höher als letztere Stadt, und zwar 14,500 Fuß, schon an den Wassern des Amazonenstromes und in etwa nordöstlicher Richtung von Lima fort. Der Weg zieht sich auch aus Lima, wenn man die Brücke über den Rimac passirt hat, nördlich hinauf bis zu dem kleinen Bergstrome Chillon, dem er von da an treu bis zu der Wasserscheide der Cordilleren folgt.

In den Straßen von Lima selber sieht man dabei natürlich nur wenig von dem Charakter des Landes draußen, die dürren Küstenhügel ausgenommen, die kahl und nackt herüberschauen und eben nicht viel Tröstliches von der nächsten Umgebung versprechen. Und jetzt verläßt man diese Straße und betritt einen breiten Weg, der ebensogut ein trockenes Flußbett sein könnte, denn er ist mit großen, vom Wasser rund und glatt geschliffenen Kieseln bedeckt, deren Zwischenräume allein mit grauem Staub gefüllt sind. An beiden Seiten ist er mit einer niedrigen dicken Lehmmauer eingefaßt, hinter der hie und da Weiden und auch wohl Fruchtbäume stehen, denn eine der Wasserleitungen, die Lima mit frischem und gutem Wasser versehen, führt hier durch und begünstigt in etwas die Vegetation. Sonst ist Alles kahl, Alles dürr, todt und wüst und nicht ein Vogel – die eklen Aasraben Lima’s ausgenommen – zu sehen.

Draußen am äußersten Thore Lima’s steht noch ein Garten, in dem ein Deutscher einen Schankstand hat; es ist heute noch Feiertag und die schwarz-roth-goldene Fahne weht darüber – gegenüber flattern die italienischen Farben im Wind – eine kleine scherzhafte Illustration, wie friedlich die beiden Flaggen dicht neben einander wehen könnten, wenn jede nur ihr eigenes Wohl im Auge hätte – dahinter beginnt die Oede und hie und da, noch mehr zur Stadt, stehen nur ein paar kleine offene Lehmhütten, in denen Tschitscha, wie altbackenes Brod und Papiercigarren dem reisenden Publicum für schweres Geld zur Verfügung gestellt sind. Wer sich dadurch nicht verführen läßt, reitet weiter und sieht sich plötzlich am Ende des eingezäunten Weges und am Fuße jener dürren Hügel selber, die selbst da, wo sich ein Thal hineinöffnet, nichts, nichts weiter bieten, als Sand, Staub, Steine und hart gebrannte, dürre, rothbraune Erde, auf der die Sonne niedersengend liegt.

Soweit das Auge dabei die ebene Bahn bestrich, war kein menschliches Wesen zu sehen, nur hinter mir her kam in scharfem Trab ein einzelner Cavallerist, dessen Bahn von hier links ab nach einem kleinen Städtchen bog. Er zügelte sein Pferd ein, als er mich überholte, und frug, wohin ich so allein wolle. Ich nannte ihm mein Ziel, das weit hinter den Cordilleren lag, und er schüttelte den Kopf. „Ich solle mich in Acht nehmen“, meinte er, „denn es treibe sich wieder einmal böses Gesindel im Lande umher, dem sie bis jetzt vergebens nachgespürt hätten.“ Damit bog er seitab und verschwand wenige Minuten später in der Staubwolke, die sein eigenes Thier aus dem trockenen Boden schlug.

„In Acht nehmen!“ Ich hatte weiter gar nichts zu thun, zündete mir eine frische Cigarre an und trabte wohlgemuth meine Bahn entlang. Mich drängte es nur, die Nähe der Küste zu verlassen, und zwar nicht der möglichen Räuber, sondern dieser traurigen Scenerie wegen, die ja doch im Innern mit einer mehr freundlichen Umgebung wechseln mußte.

Eine kleine halbe Stunde mochte ich so durch diese Einöde geritten sein, als ich vor mir Staub aufwirbeln sah, und gleich darauf erkannte ich drei Reiter, die auf meinem Wege Lima entgegensprengten. Es waren, wie ich bald fand, Neger, und ich lenkte mein Pferd nach der rechten Wegseite hinüber, sie links an mir vorbeipassiren zu lassen. Eine feste Begrenzung des Weges fand aber hier gar nicht statt, wo die Bahn Hunderte von Fußen breit dalag, die Reiter theilten sich dabei, so daß ich zwei zur Linken und einen zur Rechten bekam, und dicht bei mir zügelten sie plötzlich ihre Thiere ein, während einer der Ersteren seinen Arm ausstreckte und Feuer für seine Cigarre verlangte.

Die Möglichkeit ist nun da, daß es ganz brave und harmlose Menschen waren, die nicht das geringste Böse im Schilde führten. Nach allen früher gehörten Mordgeschichten war ich aber nicht gesonnen, ihnen hier allein, Einer gegen Drei, den geringsten Vortheil über mich zu gestatten, denn „Gelegenheit macht Diebe“. Schon vorher hatte ich deshalb die Hand unter meinem Halfterdeckel, und den Revolver herausnehmend sagte ich dem Manne vollkommen ruhig: „das sei das einzige Feuer, das ich zu vergeben hätte.“

Er prallte mit seinem Maulthiere rasch zur Seite, und die andern Beiden lachten laut auf, ich aber gab meinem Thiere die Sporen, fest entschlossen, mich auf keine weitere Unterhaltung in Arms Bereich einzulassen, und als ich gleich darauf den Kopf nach ihnen zurückdrehte, sah ich, wie sie noch im Wege hielten. Ich wußte aber recht gut, daß sie mir jetzt nicht mehr folgen durften, denn das wäre ein offener Beginn von Feindseligkeiten gewesen, bei denen sie, meiner Doppelbüchse gegenüber, bös den Kürzeren gezogen hätten. Das mochten sie auch recht gut selber wissen, denn ich wurde nicht weiter von ihnen belästigt und hatte sie bald aus dem Gesicht verloren.

Mit meinem Maulthier war ich ziemlich zufrieden, wie alle diese Thiere aber, die vortrefflich in Gesellschaft gehen, war es allein zu faul, und ich hatte die Sporen nöthig. So erreichte ich denn auch bald den kleinen Bergstrom Chillon, dem ich von jetzt

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 521. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_521.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)