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würde. Gerade unter dem Aequator und in wenigen Graden davon liegen hier nämlich eine Menge sehr hoher, schneebedeckter Berge, und unter ihnen der riesige Chimborazo, der fast mit einer Masse von 10,000 Fuß in die Schneeregion hineinreicht. Natürlich verbreiten diese ausgedehnten Schneefelder auch eine viel größere Kälte als dort, wo diese Kuppen nur vereinzelt emporragen, und müssen deshalb die Schneegrenze auch tiefer in das niedere Land drücken. Die nämliche Erscheinung, wenn auch natürlich in kleinerem Maßstab, haben wir schon mit der Schweiz und Tyrol, denn in dem letzteren Land, das keine so weite schneebedeckte Flächen hat, wie das erstere, liegt die Schneegrenze ebenfalls höher, und 9000 Fuß hohe Kuppen tragen hier nur im Winter Schnee, und auf dieser Höhe noch das zarteste und süßeste Alpengras.

Von hier ab senkte sich der Weg bald wieder bis zu etwa 14,000 Fuß nieder, führte aber nicht wieder, wie ich gehofft hatte, in fruchtbare Thäler hinab, sondern hielt sich auf diesen Höhen, die man hier punas nennt, und wo nur allein ein dürftiges, vom Reif nicht selten wie gesengtes Gras Schaf- und Llamaheerden am Leben erhält. Die Schafe haben wahrhaftig kein leichtes Brod, wenn sie sich an diesen Hängen ihre Nahrung suchen wollen, und die Llamas halten sich lieber in den tiefer gelegenen und sumpfigen Stellen auf, die das Schaf vermeidet. Denn das Llama hat breite Hufe oder vielmehr Schalen, mit denen es nicht so tief in den weichen Boden einsinkt, kann auch vielleicht eher das im Wasser wachsende und mehr sauere Gras vertragen, als das Schaf.

Diese Cordilleren sind die eigentliche Heimath des Llamas, das aber nicht mehr wild angetroffen wird, sondern überall in zahmen Heerden beisammen lebt. Das Vicuña dagegen, eine kleinere Gattung, kommt hier noch wild vor, und läßt sich entweder nicht zähmen, oder ist auch vielleicht zu schwach, irgend eine Ladung zu tragen. Früher soll es auch Guanácos gegeben haben, deren eigentliches Vaterland Patagonien bis zum 30. Breitengrade hinauf ist, diese sind aber jetzt ausgerottet oder nach dem Süden hinuntergetrieben, wo man sie noch in zahlreichen wilden Rudeln findet.

Die alten Ynkas, deren Erinnerung jetzt nur noch im Munde des Volkes lebt, während ihre einfachen Bauwerke selbst noch bis auf unsere Tage dem Zahn der Zeit getrotzt haben, hielten nicht selten große Jagden auf das Vicuña und zwar auf eine höchst eigenthümliche Weise, indem sie dieselben „verlappten“. Nach allen Beschreibungen nämlich scheinen sie wirkliche Federlappen gehabt zu haben, mit denen sie, wo sie ein Rudel dieser Vicuñas trafen, dasselbe einkreisten und den Ring immer enger und enger zogen, bis sie die einzelnen Thiere mit dem Lasso sichern oder mit ihren Pfeilen tödten konnten. Die Federlappen waren dabei gar nicht so hoch, aber kein Vicuña wagte es sie zu überspringen; nur wenn sich ein oder mehrere Guanácos mit im Rudel befanden, was ziemlich häufig scheint der Fall gewesen zu sein, so war die Jagd vergebens, denn diese letzteren übersprangen die Lappen, und sobald eines dieser Thiere hinübersetzte, blieben die Vicuñas auch nicht zurück, sondern folgten dem Beispiel. Die Indianer hüteten sich auch deshalb wohl ein Rudel einzukreisen, bei dem sie eines der klügeren Guanácos spürten.

Das wilde Guanáco hat eine bestimmte Farbe, wie überhaupt fast alle wilde Thiere – das gezähmte Llama dagegen findet sich von allen Farben, schwarz, weiß, braun, grau, gefleckt, ja selbst getigert, und es giebt kaum etwas Bunteres auf der Welt, als eine Heerde dieser hübschen, langhalsigen, zottigen Thiere, die nicht scheu, aber doch erstaunt den schönen Kopf emporwerfen, wenn ein einzelner Reiter auf diesen Höhen die stille Oede ihrer Weiden unterbricht. Es giebt aber gewiß nichts Herzigeres und Lieberes auf der ganzen Welt, als so ein junges Llama mit seiner seidenweichen und dichten Wolle, und ich hätte Gott weiß was darum gegeben, wenn ich eines dieser prächtigen kleinen Dinger hätte mitnehmen können. Aber ich hatte Mühe genug mich selber vorwärts zu bringen, und überhaupt können die Llamas auch das heiße, trockene Land der Küste gar nicht recht vertragen. Sie kommen allerdings dann und wann in einzelnen Heerden selbst bis nach Lima hinunter, aber man treibt sie stets wieder so rasch als möglich zurück in das höhere, kältere Land, das ihre eigentliche Heimath ist und dessen rauher Luft zu begegnen, sie einen ganz anständigen warmen Pelz auf dem Leibe tragen.

Mein Maulthier hatte sich oben in der feinen und dünnen Luft ziemlich gut gehalten; beim Bergsteigen schien ihm nur auch die Luft etwas zu fehlen, denn es schnaufte schwer und blieb oft stehen, sich auszuruhen. Um es nicht zu sehr anzustrengen, machte ich deshalb einen kurzen Tagesmarsch und blieb in dem ersten Tambo, der unten am Fuß des oberen Rückens ziemlich einsam in den Bergen lag. Diese Tambos, kleine, niedrige Lehmhütten, die in größeren Städten wohl auch dann und wann ein Bett für den Fremden und Reisenden haben, sind in dieser Wildniß natürlich nur einfache Nachtquartiere, in denen man höchstens Abends eine Kartoffelsuppe und – wenn man Glück hat – ein Stück Fleisch, aber sonst nicht die geringste weitere Bequemlichkeit findet. Wenn man schlafen will, wird einem für die Nacht ein halbes Dutzend trockener Schaffelle anvertraut, auf denen man wenigstens vor der Feuchtigkeit des Bodens geschützt ist; sonst muß man, wie gewöhnlich, seinen Sattel zum Kopfkissen, seinen Poncho zur Decke nehmen, und wenn die Luft recht kalt und eisig über die Schneeberge herüberstreicht, kann man nach Herzenslust unter der dünnen Decke schütteln und frieren.

Ueberreinlich sind dabei diese Nachtquartiere ebenfalls nicht, und wenn es nicht unumgänglich nöthig ist, sollte man sich nie in der Nähe des Heerdes aufhalten, wo die Suppe bereitet wird – vorausgesetzt nämlich daß man etwas eigen in Bereitung der Speisen wäre. Dennoch ist es kein Vergleich mit dem Innern von Ecuador, denn im Vergleich mit den Bewohnern dieses Landes sind die Peruaner wahrhafte Holländer. Das Hauptnahrungsmittel dieser Höhen sind Kartoffeln, die aber auch aus mehr „tropischen“ Gegenden eingeführt werden müssen, und Schaffleisch; Mais bekommen sie ebenfalls dann und wann herauf und dörren ihn mit Fett, wo er ihnen als Brod dient.

Von diesem Haus aus Casacaucha, wo ich übernachtete, brach ich am nächsten Morgen wieder ziemlich früh auf, ein kleines Städtchen Ualjay zu erreichen. Der Weg dorthin, der noch immer auf der Puna fortführte, war aber heute sehr schlecht, denn obgleich hoch in den Bergen und an grasigen Hängen hinführend, zeigte sich der Boden so weich und sumpfig, daß mein Maulthier ein paar Mal zu versinken drohte und von da an nur mit der äußersten Vorsicht weiter gebracht werden konnte. Allerdings hat der Staat, da dies der Hauptweg der ganzen Republik ist, den Weg verbessern und an den schlimmsten Stellen ordentlich pflastern lassen. Da dies aber nur mit sehr rauhen Steinen geschehen konnte, die noch dazu kein festes Lager fanden, so drückten sie sich natürlich theils in den sumpfigen Boden ein, theils schoben sie sich auseinander, und eine schönere Gelegenheit, die Beine eines Maulthiers zu zerbrechen, giebt es wohl auf keiner Straße der Welt.

Unterwegs sah ich nichts als zahlreiche Schaf- und Llamaheerden. Die Schäfer wohnen in kleinen, runden Hütten, deren etwa vier Fuß hohe Mauer von Steinen aufgebaut ist, auf denen ein spitzes Dach von dick aufeinander gelegten Binsen ruht. Als Brennmaterial dient ihnen dabei der an sumpfigen Stellen abgestochene und in der Sonne getrocknete Rasen, und sie haben im Innern aus Lehm roh zusammengeklebte und von ihnen selbst aufgestellte Oefen, die so trefflich geformt sind, daß sie tüchtig ziehen und eine höchst wohlthätige Temperatur im Inneren verbreiten. Rings im Inneren der Hütte läuft dann eine Bank von eben solchen Rasenstücken aufgestellt, die über Tag zum Sitz und Nachts zur warmen Lagerstätte dient. Der Rauch zieht natürlich durch das Dach, oder wo er eben sonst einen Ausweg findet – Schornsteine kommen nicht vor.

Ualjay erreichte ich etwa drei oder vier Uhr Nachmittags, und da ich von hier aus noch etwa acht Leguas bis Cerro hatte, beschloß ich hier die Nacht zu bleiben. Ein guter Tambo sollte ebenfalls im Ort sein; vergebens frug ich aber dort um Nachtquartier, vergebens hielt ich bei jedem nur einigermaßen anständigen Haus, das ich in dem kleinen Städtchen fand, quarto zu bekommen; Niemand wollte den Fremden beherbergen, und no hay quarto lautete der Bescheid. Wäre ich nun ein schüchterner, junger Reisender gewesen, so hätte ich jedenfalls diese Nacht müssen unter freiem Himmel zubringen – keinenfalls etwas Angenehmes, da es etwa eine Stunde später scharf zu graupeln anfing. Ich hatte aber schon genug von der südamerikanischen Race gesehen, um zu wissen, wie man sie behandeln muß, und sowie ich meinen Rundritt gemacht und nirgends ein Nachtquartier gefunden, ritt ich vor das beste Haus der Stadt. Dort stieg ich einfach ab, schnallte meinen Sattel ab und trug ihn in das Haus, stellte meine Büchse in die Ecke und erklärte dem Besitzer der mich vorher selbst ziemlich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 537. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_537.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)